Wurzel der Demokratie (Symbolbild) Baumwurzel
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Teilhabe

Wurzel der Demokratie pflegen - durch Beteiligung

In mehreren Bundesländern stehen in diesem Jahr neben der Europawahl und Landtagswahlen auch Kommunalwahlen an. Wie Lokalpolitiker Teilhabemöglichkeiten verbessern und Lust auf lokale Demokratien schaffen können – Tipps von unserem Kommunalrechtsexperten Oliver Junk.

Von den Kommunen als Wurzel der Demokratie wird gern gesprochen. Das fehlende Vertrauen in Demokratie und gewählte Repräsentanten hat aber inzwischen diese Wurzel erreicht. Um im Bild zu bleiben: Die Wurzel zieht nicht mehr hinreichend Wasser. Dieser Vertrauensverlust stellt eine ernstzunehmende Gefahr für unser demokratisches System und die Funktionsfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltung dar. Ehrenamtliche und hauptamtliche Verantwortliche sollten als Bringschuld begreifen, die Menschen breiter und intensiver einzubeziehen. Was heißt das konkret?

Demokratie: Tipps für mehr Beteiligung der Bürgerschaft

Ratsarbeit attraktiver machen: Mit Blick auf die anstehenden Kommunalwahlen am 26. Mai in Thüringen sowie am 9. Juni - gemeinsam mit der Europawahl – in Baden-Württemberg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt ist die Motivation zur Mitarbeit in den Vertretungen in den besonderen Blick zu nehmen. Warum gelingt es nur unzulänglich, zur Kandidatur bei den Kommunalwahlen zu begeistern? Wie kann Ratsarbeit attraktiver werden, insbesondere für junge Menschen in der sogenannten Rushhour des Lebens? Wie kann Ratsarbeit effektiviert werden? Handlungsansätze sind vielfältig: Es fängt bei A wie „Arbeit in kommunalen Gremien“ (Stichwort hybride und digitale Formen) an und hört bei Z wie „Zusammenarbeit und Wertschätzung“ unter Demokraten auf.

Teilhabeprozesse verändern: Gesellschaften entwickeln sich. Offenkundig hat sich das Informations- und Kommunikationsverhalten innerhalb weniger Jahre rasant verändert. Ehrenamtsstrukturen und Vereine als Träger der Zivilgesellschaft schwächeln. Deshalb ist es notwendig - auf der Basis unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung – auch die Ausgestaltung der Demokratien, insbesondere Teilhabeprozesse unabhängig von Wahlen, an diese veränderte Gesellschaft anzupassen.

Ohne Partizipation ist Demokratie nicht möglich, Partizipation und Demokratie sind Zwillinge.  Möglichst viele Menschen am politischen Geschehen beteiligen ist eine Grundvoraussetzung für Demokratie. „Democracy is the government of the people, by the people, and for the people.”  (Abraham Lincoln bereits 1863).  Durch Beteiligung von möglichst vielen Einwohnern und Bürgern werden politische Prozesse effektiver und schlüssiger, Lösungen tragfähiger und nachhaltiger, das Vertrauen in lokale Demokratien erhöht sich. Dabei ist die Palette auch neuer und digitaler Beteiligungsformen breit, in den Kommunen leider nicht immer ernst genommen und innovativ.

Jugend in den besonderen Blick nehmen: Unzulänglich werden vielerorts Kinder und Jugendliche in lokale Entscheidungsfindungsprozesse eingebunden, gesetzliche Vorgaben nur halbherzig oder überhaupt nicht erfüllt. Hinzu kommt, dass die gesetzlichen Vorgaben in den Kommunalverfassungsgesetzen der Länder zur Einbeziehung von Jugendlichen zumeist nur sehr allgemein und unverbindlich, mit anderen Worten unzureichend, gehalten sind.

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Mehr Wahlrecht für Jugendliche

„Führt nicht das Repräsentationsprinzip unserer Demokratie dazu, dass Jugendliche und ihre Anliegen fast schon systematisch aus den Prozessen des Aushandelns und der Willensbildung ausgeschlossen werden?“, fragt Michel Friedmann in seinem aktuellen Buch „Schlaraffenland abgebrannt“. Durch die (rechtlich zulässigen) normierten Wahleintrittsschwellen werden Jugendliche jedenfalls vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen, obschon das politische Interesse bei Jugendlichen jüngst gestiegen ist. Die rechtlichen Begründungen zur Einschränkung des Wahlrechtsgrundsatzes der Allgemeinheit der Wahl und damit den Ausschluss von Jugendlichen vom Wahlrecht bleiben fragwürdig.

Um so notwendiger ist es deshalb, den erforderlichen Transmissionsriemen zu den Repräsentanten in den Kommunen durch verstärkte Teilhabe zu sichern. Anderenfalls erleben wir weiterhin entgleiste Radikalisierungen durch sog. Klimakleber oder den Rückzug in die Gleichgültigkeit. Beides schlimm und sehr wohl durch Partizipationsangebote zu verhindern. Stichworte sind Jugendkonferenzen und lokale Jugendbeiräte, Werkstätten mit Workshopcharakter, Einbeziehung der Schulen und Hochschulen, Jugendhearing, projektbezogene Arbeit, Abkehr von tradierten Formen des Jugendparlaments. Der dauerhafte Dialogprozess muss aufgesetzt werden. Entscheidend ist: echte Mitsprache und Beteiligung, keine Simulation. Scheindemokratische Elemente machen nicht Lust auf Politik, sondern lösen Frust aus. Teilhabe muss – ohne erhobenen Zeigefinger – innovativer, attraktiver, ganz sicher auch digitaler gestaltet werden.

Schein­demokratische Elemente machen nicht Lust auf

Politik, sondern lösen Frust aus.“

Prof. Dr. Oliver Junk, Professor für Verwaltungsrecht an der Hochschule Harz.

Aufmerksamkeit der Jugendpartizipation in ländlichen Räumen widmen: Ländliche Räume sind ebenso vielfältig wie die sie bewohnenden Jugendlichen. Finanzielle und personelle Mittel für kluge Beteiligungsmodelle sind knapper, die Gestaltungsmöglichkeiten aufgrund der kommunalen Haushaltskonsolidierungszwänge insgesamt kleiner. Doch können nicht begrenzte personelle und finanzielle Ressourcen durch Gestaltungs- und Beteiligungsprozesse kompensiert werden? Ist damit nicht gerade das Potenzial verbunden, Demokratieverständnis zu erhöhen und Identifikation mit der eigenen Stadt, der eigenen Gemeinde zu erhöhen?

Vergessen werden sollte nicht, dass die Jugend selbst inhomogen ist. Politisches Interesse und die Bereitschaft sich in eine aktive Zivilgesellschaft zu integrieren, das hängt maßgeblich von sozialer Herkunft und dem Bildungsgrad ab. Kluge und wirksame Partizipation holt Jugendliche aller sozialen Milieus ab.

Fazit: Die Vitalisierung der lokalen Demokratien und die Aktivierung der Stadtgesellschaften ist die aktuell erste und wichtigste Herausforderung für die Kommunen. Nachzudenken ist nicht nur über die Verkehrs- und Klimawende, die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen. Vielmehr sollten Themen wie Teilnahme, teilhaben lassen, Mitgestalten, Mitwirken, Mitbestimmen, Mitverantwortung fokussiert werden. In den Kommunen werden mehr und andere Teilhabeformen zur Stärkung der lokalen Demokratien benötigt.

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Jugendthemen sind alle lokalpolitischen Themen

Besonders wichtig ist es, die Unterrepräsentation der Jugend bei Teilhabeprozessen abzustellen. Kinder und Jugendliche sind nicht zukünftige Bürger, die ihre Interessen in Zukunft gestalten, sondern Kinder und Jugendliche sind junge Menschen, die ihre Interessen jetzt für ihre Zukunft gestalten. Entscheidungen dürfen nicht für die junge Generation getroffen werden, sondern mit ihnen. Jugendthemen sind nicht nur die Skateranlage oder das Jugendzentrum. Vielmehr sind alle lokalpolitischen Themen deshalb auch Jugendthemen, weil sich Entscheidungen – gleichgültig in welchem Bereich – sich auf Kinder und Jugendliche heute und in Zukunft auswirken. Auch diese Bevölkerungsgruppe hat ein Recht auf gesellschaftliche Beteiligung. Zudem lernen Kinder und Jugendliche auf diese Art früh Formen der demokratischen Beteiligung kennen und können so Verantwortungsbewusstsein für ihre Kommunen, politisches Engagement und demokratische Spielregeln lernen.

Die Bedeutung des Themas verlangt besondere Sensibilität: Unüberlegte, inkompetent und mit unzureichenden personellen Ressourcen durchgeführte Teilhabeprozesse konterkarieren die gute Idee. In den Kommunen sollten zuerst die bestehenden parlamentarischen, offenen und projektorientierten Formen der Jugendbeteiligung analysiert und die Wirksamkeit geprüft werden. Daraus sollten – unter Beteiligung der Betroffenen selbst – die innovativen und digitalen neuen Beteiligungsprozesse entstehen.

Prof. Dr. Oliver Junk ist Professor für Verwaltungsrecht an der Hochschule Harz.