Wohnraum schaffen
Mit Denkmalagentur erfolgreich
Innen- vor Außenentwicklung ist in aller Munde, jedenfalls in Sonntagsreden. Während aber wochenends darüber fabuliert wird, werden werktags häufig dennoch neue Wohngebiete ausgewiesen – mit entsprechendem Verlust kostbarer landwirtschaftlicher Flächen. In Marburg-Biedenkopf wollten wir wirklich was für Innenentwicklung und gegen Leerstand tun. Damit haben vor allem die unter Denkmalschutz stehenden Dorfkerne zu kämpfen. Kreative Sanierungs- und Nutzungskonzepte könnten diese wieder attraktiv(er) machen, weil aber die bestehenden Förder- oder Beratungsangebote nicht oder allenfalls zu spät genutzt werden, gehen Chancen verloren.
So entstand die Denkmalagentur
Was also tun? So entstand die Idee Denkmalagentur: Wenn die Menschen nicht zur Beratung gehen, kommt die Beratung eben zu ihnen. Faktisch haben wir die aufsuchende Arbeit aus der Sozialpolitik auf den Denkmalschutz übertragen. Im Jahr 2018 starteten wir – zunächst als Modellprojekt – die Denkmalagentur: Jede der sechs zum Start teilnehmenden Kommunen konnte je drei leerstehende oder von Leerstand bedrohte Gebäude benennen („Shortlist“), um die sich die Agentur dann proaktiv kümmerte, indem sie auf Eigentümer oder potenzielle Investoren zuging und mit ihnen Strategien entwickelte, Fördermöglichkeiten aufzeigte und Kontakte vermittelte. Daneben konnten die Kommunen beliebig viele Vorschläge für Objekte machen (Longlist), die dann in den Fokus rückten, wenn zum Beispiel Kauf-Interessenten oder Investoren nach spannenden Objekten fragten.
Die Agentur bleibt auch in der Realisierungsphase aktiv, wenn es unvorhergesehene Rückschläge gibt. Ungezählte Beratungen wurden vor Ort, bei Dorfbegehungen, aber auch spontan „über den Gartenzaun“, auf Messen und dergleichen durchgeführt und es wurde in kommunalen Gremien geworben. Mit Plakaten wie „Ich bin ein Denkmal, mich können Sie erwerben“ hat die Agentur die Objekte offensiv vermarktet.
Ein Glücksfall war, dass „Denkmalagent“ Carsten Fehr gewonnen werden konnte, der als Architekt mit kreativen Umgestaltungsideen selbst für Häuser, um die man sich seit Jahren vergeblich bemüht hatte, Lösungen fand. Ein wichtiger Gelingens-Faktor ist, dass er nicht im Denkmalamt, sondern in der Stabsstelle des Dezernenten angesiedelt ist: Das macht die Gespräche mit Eigentümern offener, weil man mit einer Agentur und nicht mit der (Genehmigungs-)Behörde spricht.
Sorgengebäude konnten verkauft werden
Obwohl teils jahrzehntelang leerstehende „Sorgengebäude“ benannt wurden, haben wir das Ziel, binnen drei Jahren mindestens ein Drittel einer neuen Nutzung zuzuführen, schnell übertroffen: Etwa 50 Prozent der Objekte hatten neue Perspektiven, so dass das Projekt schnell Regelangebot wurde. Mittlerweile wurden über 30 Gebäude erfolgreich an den Mann oder die Frau beziehungsweise an den Investor oder die Investorin gebracht. Zunächst mag das wenig klingen, da aber jede Denkmalsanierung vor Ort auf Aufmerksamkeit stößt und oft Nachahmer findet, gibt es eine erhebliche Hebelwirkung.
Denkmalagentur schuf Wohnungen für bis zu 100 Menschen
Eine andere Zahl macht den Wirkungsgrad noch anschaulicher: In vielen Gebäuden, die vorher leer standen oder anders genutzt wurden, kann heute wieder gewohnt werden. Nimmt man für jedes Haus auch nur drei bis vier Bewohner an, ist mithilfe der Denkmalagentur Wohnraum für 80 bis 100 Menschen entstanden – ohne zusätzliche Flächen zu versiegeln. Da der Landkreis außer den Personalkosten für den Denkmalagenten keinen Cent dazu bezahlt, sprechen wir beim Landkreis Marburg-Biedenkopf augenzwinkernd von der Denkmalagentur als der effizientesten Form kommunaler Wohnraumschaffung.
Ein weiterer Effekt ist fast noch stärker: Es ist ein Ruck durch den Kreis gegangen, Denkmalbesitzer (und Investoren) sehen historische Häuser wieder als Lust und nicht als Last. Dies ist mit gerade mal einer Personalstelle und geringen Sachkosten gelungen, wirkt aber in die ganze Region.
Denkmalagentur Marburg-Biedenkopf ausgezeichnet
Nun lässt sich das Modell sicher nicht beliebig skalieren. Aber es lohnt sich, den aufsuchenden Ansatz weiter zu verfolgen, weil in ihm Einfühlungsvermögen, Kreativität und Netzwerkarbeit besser zur Geltung kommen. Vor allem Empathie erweist sich als wichtig, weil Denkmalbesitzer, aber auch potenzielle Käufer oft viel Emotionalität mit den Gebäuden verbinden. Dies in der aufsuchenden Beratung kreativ aufzunehmen und mit den Beteiligten zu innovativen Ideen machen zu können, ist vielleicht der wesentliche Vorteil des Konzeptes Denkmalagentur gegenüber anderen Formaten der Leerstandsbekämpfung.
Die Denkmalagentur Marburg-Biedenkopf wurde 2023 mit dem Hessischen Demographiepreis ausgezeichnet. Wir kamen mit unserem Konzept auf den 2. Platz, worauf wir sehr stolz sind. In der Begründung der Jury hieß es: „Die Denkmalschutzagentur ist bisher in dieser Form deutschlandweit einzigartig.“