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Der große Leerstand in den Flüchtlingsunterkünften

11. April 2016
Durch die Schließung der Balkan-Route sind in den Flüchtlingsunterkünften der Bundesländer mehr als 160.000 Plätze frei. In acht Bundesländern ist weniger als ein Drittel der Kapazitäten belegt.

Die Schließung der Balkan-Route hat zu einer deutlichen Entlastung der Bundesländer geführt. Nach Recherchen von KOMMUNAL sind in den Flüchtlingsunterkünften der Bundesländer mehr als 160.000 Plätze frei. In acht Bundesländern ist weniger als ein Drittel der vorhandenen Plätze belegt: in Baden-Württemberg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen. Die bundesweit niedrigste Belegungsquote hat Thüringen mit 15 Prozent. In Sachsen und Niedersachsen sind jeweils nur 19 Prozent der Plätze belegt. So kann etwa Niedersachsen zwar bis zu 40.000 Flüchtlinge unterbringen, doch nur rund 7700 Flüchtlinge wohnten zum Stichtag 1. April in den Unterkünften. Hintergrund für die geringe Auslastung ist nach Aussage der zuständigen Ministerien neben der Verteilung auf die Kommunen auch die Schließung der Balkan-Route und die schlechte Witterung im Winter. In den vergangenen Wochen sind relativ wenige neue Flüchtlinge in Deutschland angekommen. Und diejenigen, die bereits in Deutschland sind, werden auf die Städte und Gemeinden verteilt. Ein Sprecher des Innenministeriums Schleswig-Holstein sagte: „Nach sechs Wochen Aufenthalt in den Landesunterkünften werden die Flüchtlinge weiter auf die Kreise und kreisfreien Städte verteilt.“ Es sind also vor allem die Kommunen, die bei der Unterbringung gefordert sind. Der Deutsche Landkreistag fordert, dass Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive nicht auf die Kommunen verteilt werden. Asylbewerber ohne Chance auf Anerkennung sollten für die gesamte Dauer des Asylverfahrens in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder bleiben. Reinhard Sager, Präsident des Landkreistages, sagte: „Die Länder müssen Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat bis zur Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge über den Asylantrag und im Falle der Ablehnung des Antrags bis zur Ausreise in einer Erstaufnahmeeinrichtung unterbringen.“ Angesichts zurückgehender Flüchtlingszahlen sei dies möglich. „Wir müssen dazu übergehen, wie gesetzlich vorgesehen die Verfahren während der Erstaufnahme abzuschließen, damit nur noch Flüchtlinge mit Bleibeperspektive auf die Landkreise, Städte und Gemeinden verteilt werden“, sagte Sager. Relativ angespannt ist die Situation in den Stadtstaaten. Während in den Flächenländern die Kommunen für die dezentrale Anschlussunterbringung der Flüchtlinge zuständig sind, übernehmen die Stadtstaaten diese Aufgabe selbst. Auch deshalb sind in Hamburg 83 Prozent der rund 39.000 Plätze belegt. Rund 270 Flüchtlinge leben sogar noch in Zelten, welche nach Angaben der Hansestadt winterfest und beheizbar sind. Die bundesweit höchste Belegungsquote hat Berlin: Dort sind 92 Prozent der Plätze belegt, zusätzlich wohnen 355 Asylsuchende in Hostels. Außer in Hamburg leben Flüchtlinge auch in Baden-Württemberg, Bremen und Sachsen noch in Zelten. Mit rund 980 Asylsuchenden wohnen die meisten von ihnen in Bremen. Mehrere Bundesländer nutzen außerdem noch Leichtbauhallen. Insgesamt lebten Anfang April allein in den Unterkünften, die die Bundesländer betreiben, rund 204.000 Flüchtlinge. Das ist das Ergebnis einer Umfrage von KOMMUNAL unter den Bundesländern. Unterkünfte der Kommunen sind dabei nicht mitgerechnet. Wer von den Bundesländern wissen will, wie viele Flüchtlinge in den Einrichtungen der Kommunen leben, erfährt vor allem eins: wenig. Denn die meisten Bundesländer wissen nicht, wie viele Flüchtlinge dort wohnen. Zentrale Übersichten fehlen. Die Länder wissen auch nicht, ob Kommunen die Schutzsuchenden in Turnhallen, Zelten oder Häusern unterbringen. Klar ist, dass in den kommunalen Unterkünften mehrfach so viele Flüchtlinge wohnen wie in den Erstaufnahmeeinrichtungen, Not- und Gemeinschaftsunterkünften der Bundesländer. Brandenburg gab zum Beispiel an, dass bereits Ende Januar in den kommunalen Unterkünften 22.530 Flüchtlinge lebten. Zum Vergleich: In den Unterkünften des Bundeslandes Brandenburg lebten zum Stichtag 1. April nur 1817 Menschen. In den Gemeinschaftsunterkünften und Wohnungen der Kommunen in Sachsen-Anhalt lebten Anfang März rund 27.000 Asylsuchende. Der Deutsche Landkreistag stellt fest, dass die Unterbringung der Flüchtlinge in einigen Teilen Deutschlands die ohnehin angespannte Wohnungssituation weiter verstärkt. Die Chancen von Geringverdienern auf angemessenen Wohnraum würden sich dadurch verschlechtern. Die Bundesländer könnten die Situation in den Kommunen entlasten, indem sie mehr neue Sozialwohnungen schaffen. Doch tatsächlich haben sechs Bundesländer im Jahr 2014 nur sehr wenige neue Sozialwohnungen gefördert, wie aus Aufstellungen der Bundesländer hervorgeht. Demnach hat Mecklenburg-Vorpommern sowohl im Jahr 2013 als auch 2014 keine einzige neue Sozialwohnung geschaffen. Auch Brandenburg, Bremen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und das Saarland haben im Jahr 2014 nur sehr wenige Neubauten gefördert, obwohl die Länder jährlich viele Millionen Euro Entflechtungsmittel erhalten, die ursprünglich dem Wohnungsbau dienen sollten.