Bürgerversammlungen werden digital
Bürgerversammlungen werden digital

Stadtgespräche online

digitale Bürgerversammlungen: Eine Idee macht Schule

Bürgerversammlungen gehören seit jeher zu einer der wichtigsten, wenn auch für viele Bürgermeister gefürchteten Veranstaltungen im Ort. Staut sich Protest erst auf, bahnt er sich auf solchen Veranstaltungen schnell den Weg. Läuft es gut, bekommen Bürgermeister und Stadträte einen viel besseren Einblick in die Probleme und Befindlichkeiten ihrer Bürger und können zielgerichteter handeln. In Zeiten der Coronakrise fallen solche Formate oft flach - doch das muss nicht sein.

Bürgerversammlungen sind ein Instrument, das in seiner Form, anders als etwa Ratssitzungen mit seinen Abstimmungen, keinem festen Format folgen muss. Jede Gemeinde entscheidet für sich, wie und auf welche Weise sie das Instrument nutzt. Die Coronakrise hat dazu geführt, dass zahlreiche Kommunen Bürgerversammlungen, die bereits geplant waren, erst einmal abgesagt haben. Andere Kommunen haben die Chance genutzt, um sie ins digitale Zeitalter zu überführen. Bereits zum zweiten Mal fand etwa in dieser Woche in Form eines Stadtgesprächs eine solche digitale Versammlung in Hohen Neuendorf in Brandenburg statt. Gut 30 Bürger ließen sich von Bürgermeister Steffen Apelt informieren und stellten natürlich vor allem Fragen rund um die aktuelle Coronakrise und mögliche weitere Lockerungsmaßnahmen. Ein bereits gelerntes Format, fand diese Veranstaltung doch bereits zum zweiten Mal statt. Anfang Mai will die Stadt nun übrigens den nächsten Schritt gehen und plant die erste digitale Ausschusssitzung mit den Stadtverordneten. 

Die Teilnahme ist denkbar einfach und kann mit jedem audiofähigen Endgerät erfolgen. Einfach auf den Link klicken und die Plattform "zoom" öffnet sich.

Webseite der Stadt Hohen Neuendorf
 

An diesem Dienstag probierte sich auch in Baden-Württemberg erstmals ein Bürgermeister mit einer digitalen Bürgerversammlung aus. Das Format war hier im Vorfeld klar kommuniziert worden. 60 Minuten waren vorgesehen. Bürgermeister Marian Schreier aus Tengen lud seine Mitbürger im Vorfeld offiziell dazu ein. Im Anschluss resümierte er gegenüber KOMMUNAL: "Die Bürgerversammlung in Tengen war ein erfolgreiches Experiment".

Verfolgt hat die Sitzung in Tengen auch der Digitalpionier und regelmässige Gastautor von KOMMUNAL, Franz-Reinhard Habbel. Lesen Sie hier seinen Bericht: 



 

Digitale Bürgerversammlungen - ein Konzept, zum Nachmachen empfohlen

Marian Schreier kennt sich in der Welt der Digitalisierung aus. Er will bei der Oberbürgermeisterwahl der Landeshauptstadt Stuttgart antreten und setzt auf einen modernen digitalen Wahlkampf. Heute aber geht es um die Stadt im Hegau. Seit 2015 ist er dort Bürgermeister.  

In Tengen sollte Ende März der städtische Bürgerempfang durchgeführt werden. Corona macht das aber unmöglich. In der Stadt im Landkreis Konstanz gibt es wie in allen anderen Kommunen Ausgangsbeschränkungen. Gerade jetzt gibt es Informations- und Gesprächsbedarf. Mit der Einladung, die über die städtische Homepage angekündigt wird, wird eine detaillierte Anleitung für die virtuelle Veranstaltung mit veröffentlicht. Und auf eines weist Marian Schreier hin, „…anders als sonst üblich können wir Sie im Anschluss an die Veranstaltung leider nicht auf ein Glas Wein oder Bier einladen – das holen wir nach, versprochen. Dafür haben Sie die Möglichkeit – falls meine Ausführungen zu langatmig geraten sollten – mich jederzeit stumm zu schalten“. Seit 18.45 Uhr wählen sich die Bürger in die virtuelle Konferenz ein. Gegen 19.00 Uhr sind es bereits mehr als 50 Personen. Wie beim städtischen Bürgerempfang gibt der Bürgermeister zunächst einen Überblick über die aktuellen städtischen Projekte wie über die geplanten Windräder in Watterdingen, den Baustart und die Planungen für das Ärztehaus, neue Überlegungen bzgl. Schloss Blumenfeld und die Entwicklung von Baugebieten. Die Konferenzteilnehmer stellen anschließend Fragen. 124 Teilnehmer nehmen an der städtischen digitalen Bürgerversammlung teil, eine beachtliche Zahl. Bürgermeister Schreier begrüßt seine  Mitbürger. „Diese digitale Bürgerversammlung ist ein Experiment. Neben der Video-Session gibt es auch einen Livestream bei Facebook und eine Übertragung auf Instagram. Mit diesem Format wollen wir neue Wege gehen“, sagt er.

Bürgerversammlungen sind Führerkennungssystem für Herausforderungen in der Stadt 

Professionell informiert er in seinem Vortrag, untermauert mit einer Präsentation, über die aktuellen kommunalpolitischen Themen in der Stadt und geht auch auf die Corona-Krise ein. Souverän und kompetent beantwortet er die Fragen aus der Bürgerschaft. Gefragt wird nach dem Ausbaustand von Glasfaser, nach Geschwindigkeitsbeschränkungen oder „Werden Bauanträge derzeit bearbeitet oder bleiben sie wegen der ausfallenden Gemeinderatsversammlung liegen?“, fragt ein Bürger im Chat. Ein anderer erkundigt sich danach, ob es auch digitale Gemeinderatssitzungen geben wird. Schreier sagt, dass der Landtag per Gesetz die Gemeindeordnung entsprechend ändern wird, er aber Präsenzveranstaltungen beim Gemeinderat bevorzuge und in Tengen die nächste Sitzung am 7. Mai stattfinden wird. Die hygienischen Bedingungen und das Abstandsgebot lassen das zu.

Bürgerversammlungen: So geht es technisch 

Bereits eine halbe Stunde vor Beginn der Versammlung erklärt Schreiner die technischen Möglichkeiten, Fragen zu stellen und gibt Auskunft über den Datenschutz. Sein Vortrag wird aufgezeichnet und später auf der städtischen Webseite zur Verfügung gestellt. Vermutlich ist die heutige Veranstaltung im Internet die erste offizielle digitale Bürgerversammlung in Baden-Württemberg. Nach einer Stunde ist die virtuelle Versammlung in der Stadt Tengen zu Ende. Erstaunlich die Resonanz. In Krisenzeiten steigt das Bedürfnis nach Kommunikation. Die Zusammenkunft im Internet kann die physische Nähe zwar nicht ersetzen, dennoch stärkt sie die Zusammengehörigkeit der Bürgerinnen und Bürger in der Stadt.

Soweit der Erfahrungsbericht aus Tengen von Franz-Reinhard Habbel. Was müssen nun Kommunen wissen, die ebenfalls solche Sitzungen digital abhalten wollen?



 

Die Technik: So hat sie Hohen Neuendorf barrierearm gelöst - und auch in Bühl gibt es eine einfache technische Lösung 

Viele Systeme setzen voraus, dass sich Bürger vorab eine Software oder eine App auf Ihr Handy oder ihren Computer laden müssen. Das macht es umständlich und grenzt zahlreiche Bürger von Anfang an aus. Die Stadt Hohen Neuendorf etwa nutzt daher für seine Stadtgespräche das System Zoom. Das gibt es zwar auch als App fürs Handy, kann aber direkt über einen Link, den die Stadt vorab auf ihrer Homepage bekannt gibt, über jeden Internetbrowser geöffnet werden, ohne dass ein Bürger umständlich Technik installieren muss oder ein Programm bezahlen muss. Denn zumindest für den "Zuschauer" ist das System kostenfrei, lediglich die Städte als Administratoren der Konferenz zahlen - unter bestimmten Bedingungen und nur für Zusatzdienste - eine monatliche (geringe) Gebühr. So erklärte die Stadt ihren Bürgern auf der Homepage die Einwahl in das Stadtgespräch so: "Auf der Plattform wählt man sich kostenfrei über einen Link ein:  HIER STAND DER (jetzt veraltete) Link. Die Teilnahme ist denkbar einfach und kann mit jedem audiofähigen Endgerät erfolgen. Einfach auf den Link klicken und die Plattform "zoom" öffnet sich. Dann wird man automatisch mit dem Meeting des Bürgermeisters verbunden. Die anderen Teilnehmer sehen den Namen desjenigen der sich anmeldet. Man kann allerdings sehr leicht den angezeigten Namen in ein Alias oder einen fiktiven Namen verändern. Unter Datenschutzgesichtspunkten gilt zoom aktuell als die Plattform, die den europäischen Normen am besten gerecht wird."

Zudem hatte die Stadt die Möglichkeit geschaffen, vorab bereits Fragen einzureichen, die dann beantwortet wurden. 

Noch einen Schritt weiter ist übrigens die Stadt Bühl gegangen. Sie hat zwar noch keine Bürgerversammlung per Video durchgeführt, wohl aber eine Plattform für Vereine und Verbände der Stadt geschaffen. "Eine digitale Nähe trotz physischer Distanz schaffen" hat sich die Stadt Bühl in Baden-Württemberg das Projekt "Palim Palim" einfallen lassen. Schon der Name erinnert natürlich an die legendäre Sendung mit Dieter Hallervorden. Die Stadt sagt, der Ton soll an den "die Klangfolge einer Türglocke wie früher oft in Tante-Emma-Läden" erinnern. Kurzum: "Der analoge Plausch beim Einkauf in der Stadt soll in das digitale Zeitalter gehoben werden", wie es Bühls Oberbürgermeister Hubert Schnurr ausdrückt. 

Die Technik dahinter ist denkbar einfach. Jeder, der ein Handy oder einen Computer hat, kann über seinen Browser auf die Seite der Stadtverwaltung gehen. Von dort kann er eine sichere Videokonferenz starten, ohne irgendwelche zusätzlichen umständlichen Programme installieren zu müssen. Der Vorteil: Es ist sehr niederschwellig und die Stadt verspricht zudem hohe Datensicherheit. Vor allem aber: Jeder kann mit nur einem Klick ein eigenes Gespräch starten und eigene Räume einrichten.