Smart City-Projekte werden in Deutschland immer weiter voran getrieben

Digitalisierungsstrategie für Mittelstädte

Die nordrhein-westfälische Stadt Lemgo will eine Digitalisierungsstrategie erstellen, die in Zukunft auch jede andere mittelgroße Stadt für sich nutzen kann…

Von Barcelona über Wien, Münster, Berlin, bis nach Bad Birnbach – auf der ganzen Welt werden Smart City-Projekte ins Leben gerufen. Sie sollen das Leben der  Bürger angenehmer machen. Etwa, in dem der Verkehr besser vernetzt, die Straßenbeleuchtung automatisiert oder die Kommunikation mit den Ämtern digitalisiert wird. Viele Smart City-Projekte entstehen jedoch in Asien, in Megastädten mit extrem hohen Einwohnerzahlen, dichtem Verkehr und erheblichen Platzproblemen. Das Problem dabei: Die Ergebnisse eines asiatischen Smart City-Projekts, wie zum Beispiel aus der 38.000.000 Einwohnerstadt Tokio können häufig nicht direkt auf eine deutsche Stadt mit weniger als 100.000 Einwohner übertragen werden. Dazu sind die Anforderungen und Probleme zwischen einer Megacity und einer Mittelstadt zu unterschiedlich. Das hat auch das Fraunhofer-Institut IOSB-INA im nordrhein-westfälischen Lemgo erkannt. Und will deshalb am Beispiel der Alten Hansestadt eine Umsetzungsstrategie für eine Digitalisierung entwickeln, die auch andere deutsche Mittelstädte nutzen können. Dafür sollen alle Beteiligten an einem Strang ziehen. So sollen Bürger, Einzelhändler, Unternehmen und Kommunen gemeinsam die Alltagsprobleme identifizieren und anschließend Lösungen entwickeln. Drei Jahre lang soll das Projekt LEMGO DIGITAL laufen und dabei die Themen Mobilität, Umwelt und stationärer Einzelhandel umfassen. Dafür hat das Land Nordrhein-Westfalen 2,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Die gleiche Summe kommt auch  vom Fraunhofer Institut IOSB-INA und Unternehmen.

Für das Projekt tauschen sich Experten auf einem Kick-Off-Event aus!

„Starten werden wir erst einmal mit einem Kick-Off Event, auf das wir Experten wie Verkäufer, Mitarbeiter aus dem Stadtmarketing und Bürger einladen. Auf dem Event wollen wir die dringendsten Probleme besprechen, aber auch schon erste Ideen für die Zukunft sammeln“, erklärt Professor Jürgen Jasperneite, Leiter des Lemgoer Fraunhofer Instituts, der das Projekt entwickelt hat. Anschließend soll eine Expertenrunde über technologische Lösungsansätze diskutieren. Zeitgleich starten aber auch mehrere Impuls-Projekte: „Für das erste Impuls-Projekt werden wir die Fahrer des Stadtbussystems besser untereinander vernetzen. Sodass jeder Fahrer weiß, wo sich sein Kollege aufhält und ob sich ein Bus verspätet oder nicht. Jeder, der den ÖPNV nutzt, kennt das Problem, dass sich ein Bus nur um wenige Minuten verspäten muss und man dadurch seine Anschlussverbindung verpasst“ weiß der Professor. Doch durch die neue Technik könnte der Anschlussbus einige Minuten länger warten. „Oder wir schalten die Ampeln in der Innenstadt so, dass die verspäteten Busse schneller durch den Verkehr kommen“, fügt er hinzu. Zusätzlich will Lemgo den ÖPNV aber auch stärker an die Bedürfnisse der Bürger anpassen: Auf bestimmten Strecken sollen die Busse nicht nur noch zu fest geregelten Zeiten fahren. Stattdessen sollen sich die Bürger per App einen Bus rufen, wenn sie ihn brauchen.

Die Digitalisierung soll auch den Autofahrern zugute kommen

„Das zweite Impulsprojekt betrifft den Autoverkehr: Autofahrer müssen in der sehr engen Innenstadt häufig mehrere Runden drehen, um einen freien Parkplatz am Strassenrand zu finden. Dabei stören sie den Verkehrsfluss. Die Suche soll durch Sensoren und eine App unterstützt werden, die immer anzeigt, wo der nächste freie Parkplatz ist“, erklärt Professor Jasperneite. Für das dritte Impulsprojekt im Bereich Einzelhandel werden in der Innenstadt Sensoren aufgestellt, die messen, wie viele Menschen sich in Lemgo aufhalten. „Damit können wir anonymisiert und in Echtzeit herausfinden, ob die Stadt an Feiertagen oder Veranstaltungen stärker besucht ist und ob spezielle Rabattangebote wirklich mehr Menschen in die Innenstadt ziehen“, erklärt Jürgen Jasperneite.

Drei Jahre, mehrere Kommunen und eine Digitalisierungsstrategie

In den drei Jahren Laufzeit will das Fraunhofer-Institut IOSB-INA mit seinen Partnern genug Erfahrungen sammeln, um eine Digitalisierungs- und Umsetzungsstrategie für andere Kommunen zu erstellen: „Dafür brauchen wir einen engen Austausch mit den Bürgern als Nutzer der digitalen Dienste. Weshalb wir ein Projektbüro am Marktplatz von Lemgo eröffnet haben, in das jeder, der mehr über das Projekt erfahren will oder Ideen hat, vorbei kommen kann“, berichtet Jasperneite. Das Feedback zum Lemgoer Digitalisierungsprojekt ist bisher positiv. Doch angesichts der anhaltenden Diskussion um die Frage, ob Kommunen die Hoheit über anfallende Daten haben sollten, drängt sich eine Frage auf. Nämlich, ob Kommunen solche Projekte wirklich aus der Hand und an private Unternehmen geben sollten?

Digitalisierung: Wer sollte die Datenhoheit haben?

Jens Libbe, der Leiter für den Bereich Infrastruktur, Wirtschaft und Finanzen vom Deutschen Institut für Urbanistik mahnt zur Vorsicht: „Immer mehr IT-Dienstleister klopfen an die Tür von Rathäusern und bieten Lösungen für Alltagsprobleme an. Prinzipiell kann eine Kooperation für Kommunen sehr vorteilhaft sein, sofern die Unternehmen über notwendige Kompetenzen und Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Kommunen verfügen. Wie bei jeder anderen öffentlich-privaten Partnerschaft auch ist es wichtig, dass die Kooperation auf Augenhöhe erfolgt und Unternehmen wie Kommunen ihre Interessen einbringen können. Kommunen sollten sich ihren Partner also ganz genau auswählen und bereits im Vorhinein vertraglich regeln, wer die beispielsweise die Datenhoheit hat. Denn gerade bei sensiblen Daten sollte eine Stadt immer die Datenhoheit besitzen, sodass ein Projekt später auch ohne Kooperationspartner fortgeführt werden kann“. 

Auch von Njema Drammeh