Zeitbombe Brücken
Einsturz in Dresden: Sind unsere Brücken noch zu retten?
Die Brücke gehört zu den Hauptverkehrsadern in Dresden - die Carolabrücke über der Elbe ist in der Nacht zu Mittwoch auf einer Länge von 100 Metern eingestürzt. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. Denn nachts um drei Uhr war auf der Brücke schier nichts los. Tagsüber hingegen fährt hier die Straßenbahn, zahlreiche Autos, Fußgänger und Radfahrer sind zur Rush Hour auf der Brücke unterwegs.
Die Brücke wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und zu DDR-Zeiten als vierspurgie Autobrücke wieder aufgebaut. Eingestürzt ist nun offenbar der Teil, der das alte Fundament mit den Bauteilen aus der DDR verbindet. Das zeigen Bilder der Feuerwehr Dresden am frühen Morgen sehr deutlich.
Am Morgen danach die bange Frage: Wie marode sind unsere Straßen- und Brückennetze, die Nervensysteme unserer Zivilisation? Dass von den 130.000 Brücken in Deutschland mehr als 20.000 Stück akut sanierungsbedürftig sind, ist eigentlich allen bekannt. Doch, wenn wie in der Nacht in Dresden sogar Brücken einstürzen, die bisher nicht als gefährdet galten, und solche eigentlich als "Sicher geltende" Brücken über mehr als 100 Meter einfach einstürzen, dann sind selbst Experten erschrocken.
Jede sechste Brücke in kommunaler Trägerschaft dringend sanierungsbedürftig
Aktuelle Zahlen über den Sanierungsstau zeigen die ganze Dramatik: Mehr als 11.000 Brücken allein auf Autobahnen und Bundesstraßen müssen aktuell ersetzt oder saniert werden, zeigen Zahlen des Bundesverkehrsministeriums. Davon mehr als 8000 Brücken auf Autobahnen. Viele der Autobahnbrücken wurden in den 1960er und 1970er Jahre gebaut. Schon Ende der 1970er Jahre war in Fachkreisen klar, dass diese Brücken nur rund 50 Jahre in Betrieb sein können. Sie sind durch den gestiegenen Verkehr und den schweren Lkw großen Belastungen ausgesetzt, so dass das Material mit der Zeit ermüdet. Trotzdem wurden grundlegende Sanierungen seit den 1990er Jahren zwar immer wieder angekündigt, aber nie im erforderlichen Maße umgesetzt.
Noch dramatischer ist der Sanierungsstau auf kommunalen Brücken: Rund 14.000 Brücken in kommunaler Trägerschaft ind in den Kommunen laut aktuellen Zahlen des Bundes sanierungsbedürftig. Dazu kommen noch rund 1000 Brücken, die im Besitz der Deutschen Bahn sind.
11 Milliarden Euro - so viel Geld wird benötigt, um nur die Straßenbrücken zu ersetzen, die von Experten aktuell als "dringend zu ersetzen" eingestuft werden. Denn jede sechste Brücke in kommunaler Trägerschaft muss DRINGEND ersetzt werden. Jede zweite Brücke ist einer Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik zufolge in einem schlechten Zustand. Hier müssen zumindest Brückenteile ersetzt werden.
Nur ein minimaler Teil des Geldes, das nötig ist, steht zur Verfügung
Und selbst das ist nur ein Teil des massiven Sanierungsstaus. Aktuelle Zahlen des Difu sprechen von einem Investitionsbedarf von rund 380 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 nur für die Vekrehrsinfrastruktur in Deutschland. Akut würden allein für Ersatzbauten 64 Milliarden Euro benötigt.
Und wie viel Geld ist vorhanden? m laufenden Jahr sind 4,6 Milliarden Euro für die Sanierung von Autobahnen, Fernstraßen und den dazugehörigen Brücken veranschlagt. Ab 2025 sollen es nach bisherigen Planungen fünf Milliarden Euro jährlich sein. Doch im Verkehrsetat stehen die Zeichen eher auf Kürzung, denn auf Investition.
Infrastruktur wird abgebaut, der Wert der Brücken buchhalterisch immer weniger. Eine Zahl der Bauindustrie dazu: Seit dem Jahr 2000 hat sich der Bestand an Brückenflächen mit "gutem Zustand" mehr als halbiert, der Anteil an Brücken, die als "gerade noch in ausreichendem Zustand" definiert ist, hat sich verdoppelt.
Einen Ausweg aus der Misere sieht Verkehrsminister Wissing in einem neuen Infrastrukturfonds, für den er auch privates Kapital mobilisieren will. Investoren aber erwarten Renditen. Ob Autofahrer für die Nutzung einer Brücke dann bezahlen müssten? Konkrete Planungen zu dem Fonds gibt es noch nicht, Priorität hat das Thema nicht.
So läuft die politische Diskussion zum Thema Brücken und Verkehrsinfrastrukur - eine Einschätzung
Selbst die geplanten vier bis fünf Milliarden Euro wirken angesichts der katastrophalen Zustände mehr als ernüchternd. Aber dann ist da auch noch der Wähler, der keine Lust auf neue Baustellen und somit noch mehr Staus hat. Aber Deutschland lebt seit Jahrzehnten vom Bestand einer Infrastruktur, die aus den 60er Jahren stammt. Damals gab es kaum 40 Tonnen LKW. Und ein 40 Tonner belastet eine Straße statistisch so stark, wie 60.000 PKW.
Doch was ist in Deutschland passiert? Infrastruktur wurde von den maroden Schienen auf die Straße verlagert, die zunehmenden schweren Lasten somit zusätzlich verlagert. Weil zu wenig Geld in die Schiene, zu wenig Geld in die Brücken auch auf den Kanälen und Schiffswegen investiert wurde. Bei der Gelgenheit wurden ganze Regionen von der Schiene abgetrennt, die ländlichen Räume somit ausgedörrt.
Wird Dresden das Land wachrütteln?
Wer jetzt noch nicht verstanden hat, was die Auswirkungen einer solchen Politik sind, der will es wohl nicht verstehen. Es ist schier Unsinn, maroden Brücken mit Tempolimits, Mindestabstandsregeln oder LKW-Fahrverboten zu begegnen.
Wenn die Kommunen weiterhin nicht genügend Geld haben, um endlich den Sanierungsstau aufzulösen, dann kann niemand wirklich ausschließen, dass die Geschichtsbücher neben dem Ort "Genua" bald um eine der rund 11.000 deutschen Städtenamen ergänzt werden muss. In Genua waren im Jahr 2018 beim Einsturz der Morandi-Brücke 43 Menschen ums Leben gekommen. Auch damals entbrannte in Deutschland kurzfristig eine Diskussion um die Sicherheit von Brücken. Passiert ist seither faktisch nichts ernsthaftes.
Nein, Panikmache ist nicht angesagt! Aber stattdessen ist dringendes Handeln angesagt! Lösen wir den Sanierungsstau endlich auf. Das kostet Milliarden (die der Bund aber hat) und verursacht vielleicht auch neue Staus, kann aber Tragödien verhindern! Dresden ist am Mittwoch nur knapp an einer Katastrophe vorbeigeschlittert!