Die Energiekrise kann überwunden werden - eine Vertrauenskrise können wir uns nicht erlauben
Die Energiekrise kann überwunden werden - eine Vertrauenskrise können wir uns nicht erlauben

Leitartikel

Energiekrise: Das wird ein kalter Entzug

Die Energiekrise hat eine Vertrauenskrise ausgelöst. Sie bedroht auch die Kommunen in ihren Grundfesten. „Statt Verzicht zu predigen sollten wir die Vorteile einer nachhaltigen Politik erklären. Der Überheblichkeit der Bundespolitik müssen wir dafür vor Ort einen neuen Pragmatismus entgegensetzen“, meint Christian Erhardt.

Es ist Heuchelei, wenn heute viele so tun, als hätte uns die Energiekrise kalt erwischt. Dabei sind wir absehbar hineingelaufen. Doch wer vor einem Jahr vor einem Blackout gewarnt hat, galt als Verschwörungstheoretiker. Heute gilt als unsozial, wer sein E-Auto mit Strom volllaufen lässt. Ein vermeintlicher Luxus auf Kosten derjenigen, die kaum mehr ihre Energierechnung bezahlen können. So hatte ich mir das nicht vorgestellt, als wir vor vier Jahren zunächst unseren Zweitwagen und vor gut einem Jahr auch unser Hauptfahrzeug auf Elektromobilität umgestellt haben. Nun erfordert eine völlig neue weltpolitische Lage neue Antworten. „Geiz ist Geil“ sollte aber nicht die Antwort ausgerechnet von Politikern sein, die sehenden Auges die Lage herbeigeführt haben. Deutschland hat seine Energie an Russland „outgesourced“. Der Ausbau der erneuerbaren Energien bei gleichzeitigem Ausstieg aus Kohle und Atomkraft war nur möglich, weil wir Gasspeicher angelegt haben, die ausreichten, um Deutschland mehrere Monate zu versorgen. Denn anders als für Gas reichen alle Speichertechnologien für die erneuerbaren Energien in Deutschland zusammengerechnet nicht einmal aus, um das Land eine Stunde lang zu versorgen. Selbst wenn es einige Politiker immer wieder sturr behaupten: Die Sonne scheint trotzdem nicht nachts um drei! In der Energiepolitik hat Deutschland moralisch und politisch größte Töne gespuckt. In der Realität fiel man aber aus allen Wolken, als nach Einführung des 9 Euro Tickets die Züge überfüllt waren. Und während in diesen Tagen die Berliner Polizei Einsatzpläne für einen Blackout probt, diskutiert Politik über Begrifflichkeiten wie „Streckbetrieb“ oder doch lieber „Einsatzreserve“ für Kraftwerke. Immerhin: Zwei der drei Atomkraftwerke bleiben nun vorerst am Netz. Ein Schelm, wer behauptet, das dritte noch in Betrieb befindliche AKW, das zufälligerweise in Niedersachsen steht, werde nach der dortigen Landtagswahl im Oktober ebenfalls in die Verlängerung gehen. 

Erzwungener Verzicht löst die Energiekrise nicht, schafft aber neue Vertrauenskrise 

Auf explodierende Energiepreise hingegen reagiert Politik, als handle es sich um Kosten für eine Kugel Eis. Sie ruft zum Sparen auf, lehnt aber einen Preisdeckel etwa nach französischem Vorbild ab. Begründung: „Dann fällt der Anreiz zum Energiesparen weg“. Ich übersetze mal: „Bei hohen Preisen können sich Menschen nicht mehr alles leisten und verhalten sich dadurch wie politisch gewünscht. Denn eigentlich will ich auch dein Elektroauto nicht, das meinem Lastenrad den Parkplatz wegnimmt.“

Kein Wort, dass der Einkaufspreis beim Strom nur ein Viertel des Gesamtpreises ausmacht und die restlichen Kosten hausgemacht sind. Schöngeistige Begriffe helfen da nicht weiter. Ein erzwungener Verzicht aufs Auto ist keine „Freiheit von Kosten“ und drei Minuten mit Waschlappen kalt zu duschen ist kein „verantwortliches Handeln gegenüber dem Planeten“. Wer solche Terminologien verwendet muss sich nicht wundern, dass Menschen skeptisch reagieren, wenn staatlich regelbare Fernwärme im Gegensatz zur Gasheizung im Einfamilienhaus nicht von der Gasumlage betroffen ist. Mündige Bürger werden ungerne zu steuerbaren Verbrauchern. Und sie reagieren mit massivem Vertrauensverlust.

Vertrauenskrise

Wir brauchen einen Schutzschirm für die Stadtwerke - um in der Energiekrise nicht die Wirtschaftskrise noch zu pushen

Solche Einspartipps sind am Ende ohnehin nur Schnellschüsse. Sie werden in ihrer Wirkung auf die Energiekrise ebenso schnell verpuffen, wie das Gas, das Kriegstreiber Putin lieber abfackelt als nach Europa zu liefern. Den Kommunen, die bisher pro Jahr rund fünf Milliarden Euro für Energie ausgegeben haben, hilft das bei einer Verzehnfachung der Kosten nicht weiter. In Krankenhäusern, Schulen und Seniorenheimen lässt sich auch nur sehr bedingt Energie einsparen. In vergangenen Jahren gab Deutschland 0,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Erdgas aus, in diesem Jahr könnten es – bei leicht sinkendem Verbrauch – acht Prozent sein.

Russland führt neben einem Angriffskrieg auf die Ukraine auch noch einen Wirtschaftskrieg gegen Europa. Deutschland hat mit 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr reagiert. Wir brauchen ein ähnliches Szenario für die Energiewirtschaft. Die Stadtwerke brauchen einen Schutzschirm, damit sie Ihren Kunden die bisherigen Preise weiter garantieren können. Die Differenz wird aus Steuergeldern kommen müssen. Mit solchen Maßnahmen kann Politik die Unsicherheit der Menschen reduzieren. Risiken sind kalkulierbar, Unsicherheiten aber nicht. Auch das ist eine Lehre aus der Panik an den Finanzmärkten vor knapp 15 Jahren. Die Vertrauenskrise darf nicht zu Panik führen und damit meine ich nicht das Hamstern von Toilettenpapier.

Vertrauen zurückgewinnen können in dieser Situation nur die Haupt- und Ehrenamtlichen vor Ort. Statt Ängste vor einem Blackout zu schüren sollten wir herausstellen, was wir bereits tun, damit Energiewende gelingen kann. In unseren Rathäusern arbeiten 1300 Botschafter für das Klima, nämlich unsere Klimamanager. Fast jede Kommune hat gelungene Beispiele, wie sie die Energiewende aktiv vorantreibt. Mit der Bürgersolaranlage oder Aktionen wie „Wer hat den ältesten Kühlschrank?“ oder der kostengünstigen E-Ladesäule am Busbahnhof – wer, wenn nicht die Kommunen treiben die Energiewende seit Jahren voran? Statt Verzicht zu predigen sollten wir die Vorteile nachhaltiger Politik aufzeigen. Einen kalten Entzug durch ein Gas-Embargo mögen wir verkraften, einen nachhaltigen Entzug des Vertrauens in die Kommunalpolitik nicht!