Die Demografie-Wende - wie Kommunen erfolgreich die Krise Fachkräftemangel meistern!
Die Demografie-Wende - wie Kommunen erfolgreich die Krise Fachkräftemangel meistern!
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Divers, flexibel und länger

Forschung: So können Kommunen dem Fachkräftemangel begegnen

Für Unternehmen und Kommunen ist der Fachkräftemangel bedrohlicher als Inflation, Gas- und Ukraine-Krise zusammen. Millionen Mitarbeiter werden fehlen. Was Deutschland jetzt braucht: Einen Dreiklang aus Zuwanderung, flexiblen Arbeitsmodellen und mehr Weiterbildung, sagt unser Zukunftsforscher Daniel Dettling.

Der Fachkräftemangel wird zum größten Risiko der privaten und öffentlichen Wirtschaft. Bis zum Jahr 2030 fehlen Millionen Arbeitskräfte, insbesondere Erzieher, Lehrer, Gesundheitsberufe und Pflegekräfte. In diesem Jahrzehnt gehen mit über 1,3 Mio. mehr als ein Viertel der öffentlich Beschäftigten in den Ruhestand. Das stellt auch die deutschen Städte und Gemeinden vor Herausforderungen. Im Vergleich zur Privatwirtschaft sieht die öffentliche Verwaltung „alt“ aus. Der Altersdurchschnitt ist mit 46 Jahren um vier Jahre höher als in der Privatwirtschaft. Der öffentliche Dienst braucht einen Dreiklang aus Zuwanderung und Diversität, flexiblen und gesunden Arbeitsmodellen und Leistungsorientierung und Durchlässigkeit. Die Kommunen können zum Vorreiter des Wandels werden, wenn der öffentliche Dienst bunter, flexibler, gesünder und durchlässiger wird. Die Potenziale bei Beschäftigten mit Migrationshintergrund, Frauen und Älteren sind enorm. Das sind die drei Erfolgsfaktoren gegen den Fachkräftemangel: 

Erfolgsfaktor 1 gegen den Fachkräftemangel: Zuwanderung! 

Was wäre Deutschland ohne Migration? Jeder vierte in Deutschland lebende Mensch hat Migrationshintergrund, Tendenz steigend. Migration bedeutet im Kern Mobilität. Die Weltwirtschaft funktioniert nur, wenn Güter und Menschen mobil sind oder sein dürfen. Migration als Form menschlicher Mobilität ist ein klassisches Win-Win: ein Gewinn für Herkunfts- wie Zielländer. Arbeitsmigranten überweisen laut Weltbank jährlich fast 600 Milliarden Dollar nach Hause, das entspricht dem dreifachen Betrag der staatlichen Entwicklungshilfe. Seit 1990 hat sich dieser Betrag um den Faktor 60 erhöht, im selben Zeitraum stieg die weltweite Entwicklungshilfe lediglich um das Dreifache. Zuwanderung macht unsere Gesellschaft innovativer, wie das Beispiel der beiden BioNTech-Gründer Uğur Şahin und Özlem Türeci, deren Firma den weltweit ersten hochwirksamen Impfstoff gegen Covid-19 entwickelten, zeigt. Viele Branchen sind heute ohne ausländische Arbeitskräfte nicht mehr überlebensfähig. Der Anteil ausländischer Arbeitnehmer aller sozialversicherungspflichtiger Beschäftigten hat sich in der Privatwirtschaft seit 2010 von 1,9 Mio. auf 4,2 Mio. in 2020 mehr als verdoppelt. Auch bei den MINT-Berufen wie Elektrikern oder Ingenieuren ist die Beschäftigungsdynamik fast viermal so hoch wie bei den deutschen Fachkräften. Während der Anteil der Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung zuletzt bei gut 18 Prozent lag, liegt er bei Beschäftigten mit Migrationserfahrung mit 9 Prozent nur bei der Hälfte. In der Privatwirtschaft beträgt der Anteil dagegen bereits 26 Prozent. Die öffentliche Verwaltung muss bunter werden, in den Kommunen bis hin zur Bundesverwaltung. Eine Quote, wie sie der Berliner Senat vor zwei Jahren forderte, wäre wenig erfolgversprechend, rechtlich wie gesellschaftlich. Mehr Diversität lässt sich auch durch kreative Stellenbeschreibungen und Ausschreibungen und einen Wettbewerb um die besten Köpfe erreichen. Die gehen zunehmend zu jenen Arbeitgebern, die im Kampf gegen den Fachkräftemangel mehr bieten als nur einen sicheren Arbeitsplatz und gute Gehälter.  

Erfolgsfaktor 2 gegen Fachkräftemangel: Schluss mit alten Arbeitsmodellen! 

Der klassische Acht-Stunden-Tag wird in Zeiten von Homeoffice und mobilem Arbeiten zum Auslaufmodell. Zum Treiber des Wandels wird das neue Verhältnis der Geschlechter. Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung  kommen zu dem Ergebnis, dass sich die Arbeitszeitwünsche von Männern und Frauen in den letzten Jahren immer mehr angenähert haben. Während viele vollzeitbeschäftigte Frauen und Männer ihre Arbeitszeit gerne reduzieren würden, wollen teilzeitbeschäftigte Männer und Frauen sie aus finanziellen Gründen lieber aufstocken. Viele Paare wollen ihre Arbeitszeit gleichmäßiger aufteilen. Zum neuen Modell wird die „100:80:100-Arbeitsgesellschaft“. 100 Prozent Produktivität bei 80 Prozent Wochenzeit und 100 Prozent Lohn. Während Deutschland die Spitzenverbände der Wirtschaft die 42-Stunden-Woche fordern, gehen Unternehmen in Großbritannien den umgekehrten Weg und setzen auf die 32-Stunden-Woche. Flexible, bedürfnisgerechte Arbeitszeiten, kombiniert mit Homeoffice, reduzieren auch die Gesundheitskosten, weil sie die mentale und körperliche Gesundheit verbessern. Programme zur Verbesserung der mentalen Gesundheit erleben seit Corona einen enormen Boom. Studien zeigen, dass sich die Lebensqualität der Angestellten verbessert und Stress, Burnout und Krankheitstage bei kürzeren Arbeitszeiten zurückgehen. Dabei liegt der Erfolg weniger in starren denn in flexiblen Zeitmodellen. In Belgien können die Beschäftigten beispielsweise wählen, ob sie die vorgegebenen 40 Wochenstunden an fünf wie bislang oder an vier Tagen leisten wollen. Umfragen zufolge würden mehr als zwei Drittel bei gleicher Stundenzahl lieber 4 als 5 Tage die Woche arbeiten. Auch Mehrarbeit bei höheren Gehältern muss möglich sein. Ein moderner öffentliche Dienst bietet seinen Beschäftigten die gesamte Breite an Arbeitszeitmodellen an: Von der Teilzeit über die 4-Tage-Woche bis hin zur längeren Vollzeit. Das gilt auch für den Arbeitsort. Homeoffice, hybrides und mobiles Arbeiten wie Büroarbeit müssen sich ergänzen und nicht ausschließen.

Nicht nur von den großen Unternehmen kann die öffentliche Verwaltung lernen, auch Startups zeigen, worauf es in Zukunft in Zeiten von Fachkräftemangel ankommt. Das Berliner Startup Einhorn bietet allen Mitarbeitern ein Sabbatical an. Jeder kann pro Jahr Betriebszugehörigkeit einen Monat Auszeit nehmen und das vollbezahlt. Instrumente wie eine flexible 4-Tage-Woche und Sabbaticals erhöhen die Zufriedenheit, Produktivität und Gesundheit der Erwerbstätigen. In einer Gesellschaft des langen Lebens wird damit ein weiteres Modell zum Auslaufmodell: die Rente oder Pension mit 65 oder 67. Wer weniger arbeitet oder öfter längere Auszeiten nimmt, wird freiwillig über die bisherigen Altersgrenzen hinaus arbeiten. Bereits heute sind ältere Menschen häufiger erwerbstätig als noch vor 10 Jahren. Ihr Anteil hat sich verdoppelt: von vier Prozent im Jahr 2009 auf acht Prozent im Jahr 2019. Längeres Arbeiten wird dank der gestiegenen Lebenserwartung für immer mehr Angestellte auch in der öffentlichen Verwaltung möglich sein. Bis zum Jahr 2060 werden 65-jährige Männer weitere 22 Jahre und 65-jährige Frauen weitere 25 Jahre im Schnitt vor sich haben.

Erfolgsfaktor 3 gegen Fachkräftemangel: Weiterbildung! 

Diverses, flexibles und längeres Arbeiten braucht mehr Weiterbildung. Qualifizierung wird zur neuen sozialen Frage in der Arbeitswelt. Wenn die engen Grenzen bei Arbeitsort und Arbeitszeit wegfallen, wird Eigenverantwortung und agiles Arbeiten in Teams wichtiger. Führungsarbeit wird demokratischer und immer mehr zur Dienstleistung. Die Mehrheit der OECD-Länder verfügt über durchlässige Dienstlaufbahnen und moderne Amts- beziehungsweise Dienstbezeichnungen. Der deutsche öffentliche Dienst ist hier Nachzügler. Das Prinzip der abgestuften Dienstlaufbahnen nach gehobenem, mittlerem und höherem Dienst sollte aufgehoben und durch eine „Leistungslaufbahn“ ersetzt werden. Ziel sind mehr Leistungsorientierung, Heterogenität und Durchlässigkeit und bessere Aufstiegschancen sowie eine Angleichung an die Privatwirtschaft.

Hinweis: Dieser Artikel ist Teil der monatlichen Kolummne des Zukunftsforschers Daniel Dettling exklusiv für KOMMUNAL. Einen Auszug aus dem Artikel haben wir vorab der Tageszeitung Welt zur Verfügung gestellt, die den Artikel in Kurzform am 7. August veröffentlicht hat. Das Original erscheint in der September-Ausgabe des Magazins KOMMUNAL (Auflage: 101.000 Stück), die unseren Abonnenten bis zum 25. August zugestellt wird.