Städte
Städte sind motivierter, globale Probleme zu lösen, weil sie schneller ihr Opfer werden können, so Daniel Dettling.
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Zukunftsforscher

In Zukunft machen die Städte Europa

Wofür Staaten Jahre brauchen, können Städte schneller schaffen. Die Diplomatie der Zukunft ist kommunal. Während die Völker der demokratischen Welt in diesen Wochen vor allem auf Kiew blicken, muss Europa die Zeit nach dem Krieg denken, sagt Zukunftsforscher Daniel Dettling.

Städte sind die Staaten von morgen. Global wohnen immer mehr Menschen in Städten und machen sie zu den mächtigsten Orten und Problemlösern einer globalisierten Welt. Weltweit leben bald 80 Prozent der Bevölkerung in Städten und urbanen Ballungsgebieten. Die Städte der Welt vernetzen sich und werden zum neuen globalen Player. Ihre neue Macht entscheidet über die zentralen Herausforderungen unserer Zeit: Klima, Integration, Sicherheit und Freiheit. Und auch über die Zukunft Europas. Putins Krieg gegen die Ukraine richtet sich vor allem gegen die Städte. Die jüngsten Bilder aus Butscha bei Kiew und anderen Städten belegen dies auf brutale Art und Weise. Der Historiker Karl Schlögel spricht von „Urbizid“. Der Krieg gegen die ukrainischen Städte und ihre Bürgerinnen und Bürger gilt der europäischen Idee der Stadt.

Bürgermeister kooperieren miteinander

„Wenn Bürgermeister die Welt regierten, wären viele globale Probleme längst gelöst“ schrieb der im letzten Jahr verstorbene US-amerikanische Professor für Zivilgesellschaft Benjamin Barber in seinem letzten Buch. Städte, so Barber, reagieren schneller, konkreter und bürgernäher auf Krisen und Herausforderungen wie Klimawandel, Integration, Sicherheit oder Mobilität. Barber gründete das „Global Parliament of Mayors“, das globale Parlament der Bürgermeister. Über 60 Städte und Netzwerke sind dort vertreten. Aktueller Vorsitzender ist der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz. 

Stadtpolitik effektiver als nationale Politik

Zentraler Auslöser der Weltbürgermeister war die gemeinsame Erkenntnis: Stadtpolitik ist effektiver und zukunftsorientierter als nationale Politik. Städte sind motivierter, globale Probleme zu lösen, weil sie schneller ihr Opfer werden können. So zum Beispiel bei der Bekämpfung des Klimawandels. 80 Prozent der CO2-Emissionen kommen aus den Städten. 90 Prozent der Städte weltweit liegen am Meer, einem See oder Fluss. Für immer mehr Städte ist die schlechte Luftqualität das größte Umwelt- und Gesundheitsrisiko.  Die Bürgermeister von London, Paris, Los Angeles, Kopenhagen, Barcelona, Mexico-Stadt und Mailand haben sich daher dazu verpflichtet, ab 2025 nur noch Elektrobusse zu kaufen. Bis 2030 wollen sie weitgehend emissionsfrei sein.

Städte führen keine Kriege untereinander

Was für den Klimawandel gilt, gilt auch für den Krieg. Städte führen keine Kriege untereinander. Städte können Kriege weder erklären, noch beenden, weil sie nicht souverän sind. Ihre „Abwesenheit von Souveränität“ hat Benjamin Barber als den zentralen Grund ihrer Problemlösungsfähigkeit beschrieben. Ihr „Mangel an formeller Macht eröffne ihnen Möglichkeiten des Netzwerkens“. Auf diese Möglichkeiten wird es in Zukunft mehr denn je ankommen. In den 27 Mitgliedsländern der EU gibt es fast 100.000 Gemeinden. Etwa 20.000 von ihnen, jede fünftem hat eine Städtepartnerschaft. Die Mehrheit wurde nach 1945 zwischen Deutschland, Frankreich, England und Polen gegründet.  Nach 1990 ist es still um sie geworden. Das vermeintliche „Ende der Geschichte“ führte zu einer Renaissance des Nationalen. Um die neue autoritäre Versuchung weltweit zu bekämpfen, wird es wieder auf die Städte Europas ankommen. Freiheit und Frieden leben von emotionaler Nähe, die wiederum Solidarität erzeugt.

Das 19. Jahrhundert war das Zeitalter der Weltreiche, das 20. Jahrhundert das Zeitalter der Nationalstaaten und das 21. Jahrhundert wird das Zeitalter der Städte sein. Dieses Zitat des früheren Bürgermeisters von Denver ist aktueller denn je."

Zukunftsforscher Daniel Dettling

Zukunft Europas wird in europäischen Städten entschieden

In den europäischen Städten wird die Zukunft Europas entschieden, das Regionale und das Globale verschmilzt zum Glokalen. Die Städte und ihre Bürgermeister sind es, die die Idee der Weltoffenheit vor dem Neo-Nationalismus retten. Die neue „urbane Demokratie“ hat ihre Wurzeln in der alten antiken Demokratie und setzt wie diese auf Demokratie von unten. Die Zukunftsthemen Klimaschutz, gesellschaftlicher Zusammenhalt, Integration und Friedenssicherung können nicht allein durch zentralstaatliches Handeln gelöst werden.

Die Keimzellen der Demokratie sind die Kommunen. Sollte es zu einem echten Frieden in der Ukraine kommen, braucht es für den Wiederaufbau des Landes auch die Unterstützung der Städte. Ein breites Netzwerk an neuen Städtepartnerschaften kann den Kommunen in der Ukraine schnelle und direkte Hilfe bringen und die Menschen zusammenführen. 36 Städtepartnerschaften gibt es heute zwischen Deutschland und der Ukraine. Dass heute ukrainische Fahnen an deutschen Rathäusern hängen, ist ein schönes Zeichen der Solidarität. Was der Ukraine mehr helfen würde, ist die europäische Flagge auf den eigenen Rathäusern.

Die Diplomatie der Zukunft ist kommunal

Wofür Staaten Jahre brauchen, können Städte schneller schaffen. Die Diplomatie der Zukunft ist kommunal. Während die Völker der demokratischen Welt in diesen Wochen vor allem auf Kiew blicken, muss Europa die Zeit nach dem Krieg denken. Europa, zeige Flagge, schau auf Deine Städte und lass sie machen.

Der Jurist und promovierte Verwaltungswissenschaftler Daniel Dettling gründete das Institut für Zukunftspolitik und leitet das Berliner Büro des Zukunftsinstituts.