Symbole für Ukraine und Deutschland bei der Jugendbegegnung 2016
Erinnerung an friedliche Zeiten - die deutsch-ukrainische Jugendbegegnung in Gudensberg 2016
© Stadt Gudensberg

deutsch-ukrainische Freundschaft

Was die russische Invasion in der Ukraine für Städtepartnerschaften bedeutet

Die russische Invasion in die Ukraine bewegt die Welt. Doch was bedeutet die dramatische Enwicklung für Städtepartnerschaften? KOMMUNAL hat mit dem Koordinator für kommunale Entwicklungspolitik gesprochen, der die Städtepartnerschaft zwischen Gudensberg und Schtschyrez begleitet.

Gudensberg ist eine knapp 10.000 Einwohner-Gemeinde in Hessen. Seit dem Jahr 2016 pflegt sie eine Städtepartnerschaft mit der Ukraine. Eine von noch wenigen Partnerschaften zwischen Kommunen in Deutschland und der Ukraine. Rund 40 soll es bisher geben. Schtschyrez, gesprochen Schires, liegt im äußersten Westen der Ukraine. Im Jahr 2010 gab es die ersten Kontakte, im Jahr 2016 wurde die Städtepartnerschaft besiegelt. Zahlreiche gegenseitige Besuche gab es bereits. Vor allem Jugendtreffen fanden mehrfach statt. Auch der Männerchor aus Gudensberg war schon in der ukrainischen Partnerstadt. Als die beiden Städte Partner wurden, war der Ukraine-Konflikt bereits lange im Gange. Seit 2014 dauert der ukrainisch-russische Krieg schon, stetige Schritte der Eskalation durch Russland mit der Ukraine zeichnen das Bild. Entsprechend gab es schon vor der offiziellen Partnerschaft immer wieder auch Hilfslieferungen aus Gudensberg mit Möbeln, Kindergarten- und Spielplatzgeräten, Computern und etwa einem Feuerwehrfahrzeug. Wenige Stunden vor dem Angriff auf die Ukraine hat Eberhardt Kettlitz, der  Koordinatorder der Städtepartnerschaft zwischen Gudensberg und Schtschyrez, sich noch einmal mit den Partnern ausgetauscht.

Lage in der Ukraine ist dramatisch - in der Partnerstadt laufen Evakuierungspläne

Was Kettlitz nach dem Gespräch mit dem Bürgermeister der ukrainischen Partnerstadt berichtet, ist dramatisch. Es werden bereits Reservistenübungen durchgeführt. Auch Evakuierungspläne etwa für die öffentlichen Gebäude wurden schon durchgespielt. Es gibt seit Monaten Bombendrohungen gegen öffentliche Gebäude und Einrichtung. Laut dem Bürgermeister hat man diese Drohanrufe zurückverfolgt und sehr stark vermutet, dass sie russischen Ursprungs sind.

Lesen Sie hier das Original-Interview mit Eberhardt Kettlitz: 

KOMMUNAL: Herr Kettlitz, Sie hatten erst am Mittwoch, also kurz vor dem Angriff, eine Videoschalte mit den ukrainischen Partnern. Welchen Eindruck haben Sie dabei gewonnen?

Die drohende Kriegsgefahr war da in Schtschyrez schon direkt zu spüren. Als Reaktion auf die Anerkennung der „Volksrepubliken“ durch Putin in der Ostukraine und den Einmarsch der Truppen in diese Gebiete, war von der Regierung in Kiew ja bereits die Teilmobilmachung erlassen worden. Das hat auch unsere Partnerstadt ganz konkret betroffen. So wurden Maßnahmen begonnen wie die Einbestellung der Reservisten der ukrainischen Armee, eine Sammelstelle dafür befindet sich in Schtschyrez. Wie Bürgermeister Oleh Vasylyshyn erzählte, wurden bereits Reservistenübungen durchgeführt. Gleichzeitig wurden Evakuierungspläne für die öffentlichen Einrichtungen, vor allem für die Schulen aufgestellt, hat man sich mit Trinkwasser bevorratet und die Schulkinder üben lassen, wo bei Alarm Sammelpunkte sind.

Die Bedrohung war also auch in Schtschyrez, weit entfernt von der Ostukraine, greifbar?

Ja, sehr konkret. Eine andere Sache waren die Bombendrohungen, die seit ungefähr drei Monaten immer wieder gegen öffentliche Gebäude und Einrichtung in der Ukraine eingegangen sind. Laut dem Bürgermeister hat man diese Drohanrufe zurückverfolgt und sehr stark vermutet, dass sie russischen Ursprungs sind. Zudem kann man in der Ukraine ja die russischen Medien empfangen und da wurden wohl sehr viele Falschmeldungen lanciert und wurde offensichtlich versucht, richtig Propaganda zu betreiben.

Wie war das Stimmungsbild in Schtschyrez?

Man wusste noch nicht, was passieren wird, aber die Gefahr wurde bereits als sehr real eingeschätzt und die Ängste waren sehr groß. Der Bürgermeister meinte, sie würden einfach nur in Frieden in ihrer Heimat leben und arbeiten wollen und seien für jegliche internationale Unterstützung auf diplomatischer Ebene sehr dankbar. Das Letzte, was die Bevölkerung will, ist ein Krieg. Und jetzt ist dieser tatsächlich da.

Wie geht es den Bürgern in Gudensberg angesichts dieser dramatischen Entwicklung?

Die Sorgen und die Betroffenheit sind sehr zu spüren Diese Partnerschaft lebt sehr stark in der Zivilgesellschaft, es gibt einen eigenen Partnerschaftsverein und viele Menschen in Gudensberg und Schtschyrez, die sich persönlich kennen. Zudem sind da die vielen Jugendlichen aus Gudensberg, die schon in Schtschyrez waren und Kinder aus Schtschyrez, die in Gudensberg waren… Dadurch sind persönliche Beziehungen entstanden und alle hier sind sehr bestürzt angesichts der aktuellen Entwicklung.

Was bedeutet die Zuspitzung der Lage für die Zukunft der Städtepartnerschaft?

Wir haben eigentlich viele Projekte für 2022 geplant, eine Unternehmerreise in die Ukraine, einen gemeinsamen Projektchor mit Sängern aus der Ukraine, aus Polen und Gudensberg und eine internationale Jugendbegegnung, wie wir sie seit einigen Jahren einmal jährlich durchführen. Das steht nun alles völlig in Frage.

Steht die Städtepartnerschaft im schlimmsten Fall in Frage?

Auf keinen Fall. Egal was passiert, wir wollen unbedingt in Kontakt bleiben. Beide Bürgermeister, Frank Börner und Oleh Vasylsyhyn, waren sich einig, dass die Planung der gemeinsamen Entwicklungszusammenarbeit fortgeführt wird und wir nicht den Kopf in den Sand stecken. Aber in der Videokonferenz so konkret zu hören, was es bedeutet, wenn bei den Menschen in Schtschyrez tatsächlich der Krieg vor der Türe steht, war sehr bedrückend. Das ist etwas ganz anderes, solche Nachrichten aus der Presse oder dem Fernsehen zu bekommen, als tatsächlich mit Freundinnen und Freunden zu reden, die davon direkt betroffen sind.

Bau des Abwasserkanals in der ukrainischen Partnerstadt Schtschyrez
Bau des Abwasserkanals in der ukrainischen Partnerstadt Schtschyrez

Seit 2016 pflegt die Stadt Gudensberg die Städtepartnerschaft mit Schtschyrez in der Ukraine. Wie wurde diese in den vergangenen Jahren gelebt?

Sehr intensiv. Anfangs ging es vor allem um den Kulturaustausch, es gab Treffen der Bürgermeister und der lokalen Gremien. Bald aber hat sich die Partnerschaft deutlich vertieft. Der Hintergrund war das Assoziationsabkommen der EU mit der Ukraine. In diesem Kontext gab es spezielle Förderprogramme, die sogenannten „Schnellstarterpakete“. Diese haben wir genutzt und mit den Partnern in Schtschyrez gemeinsam herausgearbeitet, wo wir helfen können. Dabei wurde schnell deutlich, dass nicht nur die finanziellen Förderungen gefragt sind, sondern vornehmlich die fachliche Unterstützung, also der Knowhow-Transfer und Erfahrungsaustausch.

Welche konkreten Projekte sind daraus entstanden?

Erstmal haben wir Schtschyrez beim Aufbau einer freiwilligen Feuerwehr unterstützt. Das geschah in fachlicher Hinsicht durch die FFW Gudensberg, durch materielle Spenden von Feuerwehrfahrzeugen und Ausrüstungsgegenständen und gemeinsame Übungen.

Dann haben wir gemeinsam ein Großprojekt in Angriff genommen, nachdem wir festgestellt hatten, dass es in Schtschyrez keine zentrale Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung gibt. Unterstützt von mehreren Förderprogrammen wurde ein Generalplan für eine solche Versorgung aufgestellt und schließlich ein 2 Kilometer langer Abwasserkanal gebaut, an den auch gleich städtische Einrichtungen wie die Kindertagesstätte angeschlossen werden konnten. Zudem gibt es nun Toiletten im Rathaus, wo vorher nur ein marodes Plumpsklo im Garten stand, und als nächster großer Schritt ist die Planung einer Kläranlage geplant.

Außerdem haben wir mit einem Förderprogramm vom BMZ eine topografische Vermessung und Kartierung der Gemeinde vorgenommen, die nun die Grundlage für die weitere Stadtentwicklung bildet.

 

Fest in Gudensberg zur deutsch-ukrainischen Partnerschaft
Gemeinsame Feste und Begegnungen prägten die Städtepartnerschaft in der Vergangenheit.

Fotocredits: Stadt Gudensberg