Boris Kühn
Boris Kühn forscht an der Universität Hildesheim zu Migration.
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Umfrage

Flüchtlinge - Kleine Kommunen stärker belastet

Gerade in kleinen Kommunen gibt es oft keine Fachstrukturen und jemand muss das Thema mitmachen, der vielleicht noch keinerlei Erfahrungen hat, sagt der Wissenschaftlicher Boris Kühn im KOMMUNAL-Interview. Das könnte auch erklären, warum die empfundene Belastung bei der Migration von Flüchtlingen laut einer Umfrage dort höher als in den großen Kommunen.

Deutschlands Kommunen sind die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig. In den Städten und Gemeinden entscheidet sich auch maßgeblich, wie schnell und gut die Neuankömmlinge sich integrieren. Die Kommunen haben immer wieder darauf hingewiesen, dass sie bei der Bewältigung der Aufgaben Unterstützung brauchen, vom Bund wie auch von dem jeweiligen Bundesland. Die Forschungsgruppe Migrationspolitik an der Universität Hildesheim hat zusammen mit dem Mediendienst Integration im Herbst 2023 eine bundesweite Umfrage zur Situation in den Kommunen durchgeführt. Über die Ergebnisse sprach KOMMUNAL mit dem Wissenschaftler Boris Kühn.

KOMMUNAL: Herr Kühn, wie kommen die Kommunen zurecht mit der Aufnahme der Flüchtlinge  – diese Frage haben Sie im vergangenen Herbst in einer bundesweiten Umfrage gestellt. Über 600 Kommunen haben geantwortet. Was waren hier die überraschendsten Ergebnisse?

Boris Kühn: Die Mehrheit der Kommunen, an die 60 Prozent, sprach zwar von einer herausfordernden, aber insgesamt machbaren Lage. Das war durchaus überraschend, nachdem in den Medien ja viele Notstandsberichte vorherrschend waren. Außerdem unerwartet war: Nur ganz wenige Kommunen haben tatsächlich auf Sporthallen als Unterbringungsorte zurückgegriffen – dabei waren diese ja auf allen Titelseiten. Hier hat man deutlich eine krasse Verzerrung durch die Bildgebung und die mediale Berichterstattung gemerkt.

Welchen Einfluss hatte die Art der Unterbringung auf die empfundene Belastungslage in den Kommunen?

Interessanterweise kaum einen. Manche Kommunen haben sich überfordert gefühlt, obwohl dort ausschließlich reguläre Unterbringungen genutzt wurden, andernorts wurde die Lage als gut bewältigbar wahrgenommen, obwohl Notunterkünfte gebraucht wurden.

Welche Rolle spielt für die Bewältigung der Migration vor Ort das Personal?

Wie man personell aufgestellt ist, ist absolut entscheidend. Gerade in kleinen Kommunen gibt es oft keine Fachstrukturen und irgendjemand muss das Thema mitmachen, der vielleicht noch keinerlei Erfahrungen hat. Das kann auch erklären, warum die empfundene Belastung dort höher war als in den großen Kommunen.

Inwieweit helfen die Erfahrungen von 2015/16 den Kommunen?

Sie helfen vor allem dann, wenn man die Strukturen von damals nicht wieder abgebaut hat. Kommunen, die diese bewusst aufrechterhalten haben, haben jetzt definitiv profitiert. Dabei geht es nicht nur um die Unterbringung, sondern auch zum Beispiel um die Ehrenamtsbegleitung und die gesellschaftlichen Netzwerke. Wenn man da wieder bei Null anfangen muss, kostet das viel Zeit und Energie.

Auffällig war bei Ihrer Studie, dass das Fachpersonal die Gesamtlage weniger dramatisch bewertet hat als die Bürgermeister. Wie erklären Sie sich das?

Das ist durchaus plausibel. Die Fachebene kümmert sich darum, dass das Geschäft läuft und merkt, dass vieles gar nicht schlecht funktioniert. Die Führungsebene befindet sich im politischen Diskurs um mehr Geld und letztlich braucht sie da das Narrativ der Überforderung, um Entlastung zu bekommen. Das kann natürlich auch dazu führen kann, dass kommunale Erfolge kleingeredet werden. Auf der anderen Seite sehen Bürgermeister und Landräte natürlich auch den Gesamtkontext kommunaler Belastungen – und da kommen gerade viele Herausforderungen zusammen.

Sollen Bürgermeister also positiver über die Situation berichten?

Wie sich die politische Spitze positioniert, ist ausgesprochen wichtig und die Rhetorik spielt hier eine große Rolle. Es macht einen großen Unterschied, ob in den kommunalen Narrativen Zuwanderung nur als Überlastung und Überforderung auftaucht oder auch von Chancen und Entwicklungspotential die Rede ist. Die Effekte davon sind natürlich schwer messbar, aber es gibt sicherlich Unterschiede, die auch eine Wirkung haben für die Öffentlichkeit und darauf, wie die gesamte Verwaltung agiert. Hier gibt es ja in allen Bereichen Ermessensspielräume und wie diese genutzt werden, ist sehr unterschiedlich.

Seit der Umfrage im Oktober ist politisch einiges passiert. Hat sich Ihrer Einschätzung nach etwas verändert?

Die Lage scheint sich etwas beruhigt zu haben. Die Kopfpauschalen-Finanzierung gibt den Kommunen zumindest eine gewisse Sicherheit, weil sie sich automatisch an den Zuzugszahlen orientiert. Dadurch können die Kommunen besser kalkulieren und müssen nicht mehr fürchten, dass sie komplett auf den Ausgaben sitzen bleiben. Aber das löst natürlich nicht alle Probleme.

Sie selbst haben als Integrationsbeauftragter in Mössingen gearbeitet und zudem eine wissenschaftliche Sichtweise auf die Thematik – was hilft den Kommunen aus Ihrer Sicht am meisten, um die Migration gut zu bewältigen und auch als Chance zu nutzen?

Am wichtigsten ist es aus meiner Sicht, nachhaltige Strukturen aufzubauen und den Bereich Migration von der Förderlogik zu lösen. Das kann entweder über eine dauerhafte strukturelle Förderung geschehen oder man definiert Integrationsarbeit tatsächlich als Pflichtaufgabe, was ja auch diskutiert wird. Letztlich geht es darum, dass Kommunen Strukturen auch qualitativ weiterentwickeln können und nicht nur schauen müssen, wie sie Geld fürs nächste Jahr bekommen.

Boris Kühn ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Migrationspolitik an der Universität Hildesheim. Zusammen mit dem Mediendienst Integration hat diese im Herbst 2023 eine bundesweite Umfrage zur Situation in den Kommunen durchgeführt. Lesen Sie, was die aktuelle Studie "Integration als Pflichtaufgabe - Holzweg oder Königsweg zu krisenfesten kommunalen Strukturen" ergeben hat: