Grimma
Mit 65 Ortsteilen und einer Fläche von 218 Quadratkilometern ist die 29.000 Einwohner zählende Stadt mittlerweile die größte kreisangehörige Kommune Sachsens.
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Abschied

Grimmas Oberbürgermeister: Vom Stadthaus in den Landtag

Grimmas Oberbürgermeister Matthias Berger wechselt in die Landespolitik. Bei den jüngsten Landtagswahlen in Sachsen holte er auf Anhieb den Wahlkreis „Leipzig-Land“. Warum er sich dafür entschied!

23 Jahre lang saß er im Stadthaus von Grimma. Er erlebte Überflutungen, die Verlagerung des Kreissitzes nach Borna gegen den Willen der Stadt, aber auch erfreuliche Unternehmensansiedlungen. Matthias Berger will nicht länger Oberbürgermeister von Grimma sein: Bei den Landtagswahlen in Sachsen kandidierte er für den Landtag. Völlig überraschend gewann der Kommunalpolitiker seinen Wahlkreis “Leipzig-Land”. Als einziger Vertreter der Freien Wähler zieht er nun in den sächsischen Landtag ein.

Grimmas Oberbürgermeister kritisiert Finanzierung

Was hat Berger dazu gebracht, das Mandat im Land dem Amt auf kommunaler Ebene vorzuziehen?  „Sachsens Kommunen geht es schlecht”, sagt Berger. Die Finanzierung der Städte und Gemeinden im Freistaat sei schon seit Jahren nicht mehr auskömmlich. Mehr noch: Das Land lege immer wieder neue Standards fest, die die Kommunen erfüllen müssten, die aber immer öfter unbezahlbar würden.  „Seit zehn Jahren verspricht uns die Staatsregierung eine Dynamisierung der Kita-Beiträge”, sagt Berger. Doch statt die Kommunen mit mehr Geld auszustatten, beschließt die Staatsregierung, keine Kindertagesstätten im Land zu schließen. Die Städte und Gemeinden werden mit den weiter steigenden Personalkosten allein gelassen. „Über die Hälfte unseres Personals sind Erzieherinnen, die übrigens in den letzten zehn Jahren einen Zuwachs von 25 Prozent bei den Löhnen hatten“, so Berger.

Grimma mehrfach überflutet



Heute haben Sachsens Kommunen laut Berger pro Einwohner und Jahr rund 600 Euro zur Verfügung. „800 Euro müssten es aber sein, damit wir unseren Pflichtaufgaben nachkommen können”, sagt der Oberbürgermeister von Grimma. Deshalb war es für ihn klar, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Mangelverwalter wollte er nicht mehr sein – dafür hatte Matthias Berger in Grimma in den letzten Jahren auch zu viel erreicht.

Matthias Berger, Oberbürgermeister von Grimma

Ich will nicht mehr Mangel­verwalter sein.“

Matthias Berger, Oberbürgermeister von Grimma

Die Stadt, die in seiner Amtszeit mehrfach von den Fluten der Mulde überschwemmt wurde, verfügt mittlerweile über eine moderne Hochwasserschutzanlage. An der Autobahn A 14 ist ein neues Gewerbegebiet entstanden: Auf 54 Hektar Fläche sollen 1.200 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Staatliche Fördermittel nahm die Stadt dafür fast nicht in Anspruch. Doch insgesamt sei die Lage der Kommunen in Sachsen immer schlechter geworden. Berger erinnert an die spektakulär eingestürzte Dresdner Carolabrücke. „Das ist die Situation im Land”, sagt der Oberbürgermeister. „Die Infrastruktur verrottet und in der Politik werden populistische Vorschläge gemacht.”

Grimma

Kommune will Glasfasernetz betreiben



Verbittert wirkt Berger dabei allerdings nicht. Im Gegenteil.  Man spürt den Tatendrang des Politikers, der einst als Rechtsanwalt in Grimma tätig war. Auf die Frage nach seinem wichtigsten Thema nennt er die kommunale Daseinsvorsorge. Berger legt diesen Begriff weit aus, weiter als mancher Amtskollege: In Grimma wird etwa die Kommune Betreiberin eines Glasfasernetzes.  „Dadurch schaffen wir es aber, jedes Haus an Glasfaser anzuschließen, auch draußen in den Dörfern”, sagt Berger. „Wer sich dabei auf Private verlässt, der hat verloren.” Denn Grimma besteht heute nicht nur aus der kleinen Kaufmannstadt an der Mulde, die 1220 das Stadtrecht erhalten hatte. Mit 65 Ortsteilen und einer Fläche von 218 Quadratkilometern ist die 29.000 Einwohner zählende Stadt mittlerweile die größte kreisangehörige Kommune Sachsens – und von der Fläche her gesehen so groß wie Chemnitz.

"Krankenhaus-Privatisierung als Fehler"

 Zur Daseinsvorsorge gehört für Berger aber auch eine gute Ausstattung der Feuerwehren – oder der Betrieb von Krankenhäusern. Er nennt es „eine der größten Niederlagen“ seiner Zeit als Bürgermeister, dass sich der Kreis entschlossen habe, das Krankenhaus in Grimma zu privatisieren. „Das war ebenso ein strategischer Fehler wie die Privatisierung der Telekom”, sagt Berger. „Bestimmte Dinge müssen einfach in öffentlicher Hand bleiben.”

Pragmatischer Umgang mit der AfD



Ein Thema in Sachsen ist auch der Umgang mit der AfD. „Ministerpräsident Michael Kretschmer – oder die Rechtsextremen?” lautete die große Frage im letzten Landtagswahlkampf. Als Oberbürgermeister hat sich Berger stets für einen pragmatischen Umgang mit der AfD eingesetzt, die auch im Gemeinderat von Grimma vertreten war. „Ich habe immer gesagt: Leute, ich mache das, was die Verfassung von mir verlangt”, sagt Berger. „Ich lese die Vorlagen und ich folge meinem Gewissen.” Bei Abstimmungen gehe es ihm um die Sache: „Da gucke ich nicht nach links oder rechts, wie die anderen abstimmen, sondern ich hebe meine Hand.” So wolle er es auch im Landtag halten:  „Alles Andere würde ich als völlig grotesk empfinden.” Doch für den Oberbürgermeister ist auch klar: „Hätte ich den Wahlkreis nicht gewonnen, wäre er an die AfD gegangen.” Denn die Menschen in der Region Grimma würden sich eine „bürgerlich-konservative Politik” wünschen.  „Und das bildet die CDU bei uns in Sachsen nicht mehr ab”, meint Berger.

Dann drängt die Zeit des Oberbürgermeisters. Ein weiterer Termin steht an. Wie hält er sich bei dem ganzen Chaos eigentlich fit? Matthias Berger muss bei dieser Frage lachen. „Wenn ich Zeit habe, nehme ich meinen Hund und gehe zur Jagd”, sagt er. Denn lange vor dem Jurastudium hatte er eine Ausbildung zum Forstwirt absolviert. Die Liebe zum Wald und zur Natur hat sich der Kommunalpolitiker auch in der flächenmäßig größten Stadt von Sachsen erhalten können. Und er zeigt sich zuversichtlich: „Als Abgeordneter im Landtag wird das ganz sicher auch so bleiben.“

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