Bürgerprotesten begegnen
Ich bin so wütend, ich hab sogar ein Schild gebastelt!
Von wegen, die Menschen werden immer unpolitischer. Während früher die Anti AKW-Proteste oder die Friedensbewegung Menschen auf die Straße trieb, sind es heute meist lokale Ereignisse. Die kleinen Themen vor Ort bewegen die Menschen heute sehr viel stärker als etwa eine Krise in Europa. Lokal statt global scheint das Motto. Das ist umso erstaunlicher, als dass sich bei Kommunalwahlen deutlich weniger Menschen mobilisieren lassen als bei einer Bundestagswahl. Nur wenige Menschen interessieren sich für die „normale Arbeit“ eines Lokalpolitikers, bei Aufregerthemen ist das Interesse dann aber sehr groß. Gerade weil es für Ehrenamtliche oft frustrierend ist, dass ihre Arbeit vor Ort zu wenig wertgeschätzt wird, fehlt dann oft das Verständnis, warum gerade dieses Thema Wellen schlägt. Genau das kann aber den Prozess dann hochschaukeln. Denn nichts mobilisiert die Menschen vor Ort stärker, als wenn etwas als ungerecht empfunden wird. Wenn etwa die Kommunalpolitik nicht umgehend auf eine Forderung reagiert. Auch kleinstes vermeintliches Fehlverhalten lässt dann Bewegungen schnell und stark wachsen. Teilweise hat die Diskussion dann mit dem eigentlichen Problem nur noch wenig zu tun. Beispiel Hamburg: Dort begann ein Streit um die Busbeschleunigung auf der Uhlenhorst recht klein mit einigen Anwohnern, die um ihre Parkplätze fürchteten. Die Diskussion wuchs jedoch zu einem Grundsatzkonflikt um Verkehrsmittel und angeblich bedrohte Bäume aus und endete mit Androhung eines Volksentscheids. Immerhin konnte dieser dann noch abgewendet werden. Hinter verschlossenen Türen einigten sich die Kontrahenten. Wirkliche Bürgerbeteiligung sieht anders aus.
Bürgerproteste: über frustrierte Akademiker und Partikularinteressen
Apropos Beteiligung: Es ist schon auffällig, wer sich in Deutschland so in Bürgerinitiativen engagiert. Sie entstammen nach Aussage von Forschern überdurchschnittlich häufig dem bürgerlichen Milieu, sind gut ausgebildet, nicht selten mit akademischen Titeln versehen und haben in der Zivilgesellschaft einen angesehenen Stand. Übertrieben könnte man das Bild vom frustrierten Akademiker malen, der sich über den Lärm auf der Straße vor seiner Villa beschwert. Gepaart wird dieser Typus gerne mit dem Typus „Partikularinteressenvertreter“. Die klassische Anwohnergemeinschaft, der es nur um die Parkplätze vor der eigenen Haustür oder die Beteiligung an den Kosten beim Ausbau der eigenen Straße geht. Nicht selten sind es Bürger, die sich sonst für die Politik vor Ort kaum interessieren, sich in ihrem konkreten Fall aber von der Politik allein gelassen fühlen. Gerade im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik sind viele Ehrenamtliche auf solche Bürger gestoßen. Einer von Ängsten geplagten, eher konservativen Ober- und Mittelschicht. Zusammengenommen stellen zwanzig Bürger, die dann geschlossen in der Einwohnerfragestunde im Stadtrat erscheinen, eine mindestens gefühlte, geballte Macht da. Sind die Initiativen professionell, so vernetzen sie sich zudem im Internet und schaffen eine schnelle Mobilisierung. Dabei suchen Sie sich ihr konfrontatives Thema selbst aus und spitzen es dann zu.
Wer hat die Macht in der Stadt?
Überlassen Kommunalpolitiker diesen Interessensvertretern die Deutungshoheit über Themen? Schließlich wird man mit jeder kontroversen Aussage gegenüber den Bürgern spätestens im nächsten Wahlkampf wieder konfrontiert und wohlmöglich abgestraft.
Wer das zulässt, der unterstützt die Kampagnen der verborgenen Partikularinteressen. In dem Moment orientiert sich Politik nur noch an den Aktiven und Vernehmbaren, während die Stillen und die Passiven übergangen werden.
Kommunikation mit Protestlern muss seine Grenzen haben
Natürlich müssen Kommunalpolitiker Prävention und Kommunikation in den Mittelpunkt stellen. Nur so werden sie Konflikte frühzeitig erkennen und noch vor Gründung von Bürgerinitiativen die unterschiedlichen Interessen befrieden können. Dabei steht die frühzeitige Information und Einbindung der Bürger durch die Verwaltung natürlich im Mittelpunkt. Wenn aber 60 Prozent der Bürgermeister in Deutschlands Großstädten in einer Exklusiv-Umfrage für KOMMUNAL sagen, Bürgeriniativen seien ein großes oder sehr großes Investitionshemmnis, dann stoßen Kommunikation und Partizipation eben auch an Grenzen. Daher ist es gut, dass wir eine parlamentarische Demokratie haben. Am Ende entscheidet der demokratisch gewählte Gemeinderat. Und der sollte im Interesse aller handeln und nicht nur derjenigen, die am lautesten schreien! Stuttgart 21 hat gezeigt: Nicht immer sind die in der Mehrheit, die am Lautesten sind und sich in der Mehrheit fühlen. Politik braucht eben oft viel Mut!