Corona-Stigmatisierung-Hetze-Experte
Hans-Peter Erb, Professor für Sozialpsychologie in Hamburg zum Umgang mit Corona-Ängsten: "Sehr häufig wird ein Sündenbock gesucht."
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Tipps vom Psychologen

Hexenjagd auf Infizierte - Vergiftet Corona das Dorfklima?

Die Hilfsbereitschaft in der Corona-Krise ist groß. Auf den Dörfern und in den Städten wächst aber in Teilen der Bevölkerung massiv die Angst vor Ansteckung und schweren Corona-Verläufen. Der Ruf nach Ausgrenzung wird lauter. Zweitwohnsitzbesitzer sollen weg bleiben, Positiv-Getesteten wird mancherorts vorgeworfen, Corona womöglich eingeschleppt zu haben. Wie können Lokalpolitiker gegensteuern? KOMMUNAL hat darüber mit Dr. Hans-Peter Erb, Professor für Sozialpsychologie an der Helmut-Schmidt-Universität (HSU) Hamburg gesprochen.

KOMMUNAL: Herr Professor Dr. Erb, der Landrat von Freyung-Grafenau, Sebastian Gruber, hat öffentlich beklagt, dass Corona-Patienten an den Pranger gestellt werden, mit der Anschuldigung: „Die haben uns das Virus in den Ort gebracht“. Der Chefarzt einer Klinik warnt vor einer Hexenjagd in den sozialen Medien - und davor, dass Nachbarn Gerüchte in die Welt setzen, wer positiv getestet sei. Was tun?

Hans-Peter Erb: Erst mal ist es wichtig zu wissen, dass Abschottung eine ganz normale Reaktion auf eine Bedrohung ist. Wir kennen das aus dem Tierreich und auch von früheren Kulturen wie den Jägern und Sammlern: Für eine Gruppe, die überleben will, sind Schwache, also kranke Individuen, ein Hindernis. Das führte in der Vergangenheit sogar zu Morden. Jetzt haben wir es bei Covid 19 mit etwas Neuem zu tun, da entsteht sofort eine Art Stigma. Das führt dazu, dass man den betroffenen Menschen ungerechterweise auch noch andere negative Eigenschaften zuschreibt: Sie sind schwach, womöglich unhygienisch. Deshalb haben sie das Virus bekommen.

Was steckt dahinter?

Hans-Peter Erb: Dahinter steckt Frustration. Man hat Angst und ist unsicher. Deshalb kommt es sehr häufig dazu, dass bei negativen Entwicklungen ein Sündenbock gesucht wird. Wenn es der Firma schlecht geht, ist die Abteilung oder ein bestimmter Mitarbeiter schuld. Die Juden waren die Sündenböcke für die Pest im Mittelalter, als die Baumwollpreise in den USA fielen, hat man den Schwarzen die Schuld zugeschrieben.

Und wie ist das bei Corona?

Hans-Peter Erb: Zum einen haben wir dabei eine Gefahrensituation für Leib und Leben, zum anderen staut sich Frustration an. Das nimmt dadurch zu, dass sich die Menschen wegen der verschärften Ausgangsbeschränkungen nicht frei bewegen können. Immer mehr leiden an den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise. Und man sucht sich schwache Leute, das ist in solchen Zeiten dann oft der eigene Nachbar.

Was konkret können Lokalpolitiker tun, damit sich das Klima in ihrer Kommune nicht vergiftet?

Hans-Peter Erb: Mein Tipp: Sie sollten dieses Thema aufnehmen und ihren Bürgern klar machen: Ihr tut euch keinen Gefallen damit, wenn ihr einen Sündenbock in der Nachbarschaft sucht. Und auch auf Social Media klar signalisieren: Beschimpfungen und Hetze akzeptieren wir nicht.

Oft sind es aber auch nur Gerüchte, die ein Dorf belasten können.

Hans-Peter Erb: Lokalpolitiker sollten sich zuerst davor selbst hüten, sich an Spekulationen zu beteiligen oder Informationen über Bewohner preiszugeben. Das passiert oft, ohne nachzudenken, man kennt sich ja untereinander gut, je kleiner der Ort ist. Und sie sollten den Leuten klarmachen: Irgendwann werden wir die Corona-Krise überstanden haben. Dann sollten wir stolz darauf zurückblicken können, wie gut wir uns gegenseitig beigestanden haben.

Viele Bürger haben auch Angst, dass sich in ihrem Ort Corona zum Beispiel durch Großstädter verbreitet, die sich aufs Land in ihre eigenen Ferienwohnungen zurückziehen wollen. Das klingt doch nachvollziehbar.

Hans-Peter Erb: Wenn man glaubt, dass man bedroht wird, gewinnt die eigene Gruppe tatsächlich an Bedeutung. Denken Sie nur an einen Flugzeugabsturz. Wer bei uns liest: 10 Deutsche waren an Bord, reagiert betroffener, als wenn es sich um 10  Passagiere aus Spanien handelt. Dabei sollte es eigentlich keinen Unterschied machen, welche Nationalität das Opfer hat. So denken und fühlen wir aber.

Wenn aber die Krankenhauskapazitäten auf dem Land beschränkt sind?

Hans-Peter Erb: Dann ist die Angst umso verständlicher. Regionen, die sich jetzt abschotten oder dies planen, sollten aber bedenken: Jahrzehntelang haben sie sich gefreut, dass Touristen zu ihnen kamen und Geld in den Ort brachten. Deshalb könnten Gemeinden auf ihrer Homepage den Touristen mitteilen, dass sie sich freuen, wenn sie nach überstandener Corona-Krise wiederkommen. Und an die Besitzer von Zweitwohnungen können sie appellieren: Bleibt besser zuhause. Wenn alles überstanden ist, seid Ihr wieder herzlich willkommen.