In Leipzig können die Bürger auf einem Bürgerbahnhof handwerken. Das Projekt kommt gut an.

DIESE Bürgerinitiative sorgt für Glücksgefühle

21. Februar 2018
Ein alter Güterbahnhof wird zur Begegnungsstätte für Jung und Alt. Aus dieser Vision ist in Leipzig Wirklichkeit geworden. Mit Hilfe einer Bürgerinitiative und vor allem viel Engagement der Nutzer. Das KOMMUNAl-Praxisbeispiel.
  Kinder bauen Häuser aus Lehm, Erwachsene ernten Möhren, Sportler hangeln sich an Boulderfelsen entlang, während ein paar Jugendliche Graffitis an Wände sprühen. Etwas weiter hinten finden Workshops über gesunde Ernährung und Persönlichkeitsentwicklung statt. Sport, Gärtnern, Bauen - All das können die Leipziger auf einem stillgelegten Güterbahnhof in Leipzig tun. Die angebotenen Aktivitäten wurden von Bürgern für Bürger auf die Beine gestellt. Das Schöne daran: die Auswahl ist riesig. Sie zieht unterschiedliche Menschen an. „Die Freiflächen in Leipzig werden immer knapper. Doch obwohl hier immer mehr Menschen auf engem Raum zusammen wohnen, leben wir längst nicht mehr in einer Gemeinschaft zusammen. Stattdessen gehen die meisten ihren eigenen Weg, bleiben in ihren eigenen vier Wänden und haben wenig Kontakt zu ihren Nachbarn“, erklärt Mehnert von der Stiftung „Ecken wecken.“
Doch genau das wollten er und die Mitstreiter der Initiative Bürgerbahnhof Plagwitz im Jahr 2009 ändern. Ihre Vision: Einen Ort zu schaffen, an dem sich Menschen aus allen Milieus treffen, an dem sie sich mit ihren Nachbarn austauschen und an dem sie das Gefühl haben, selbst etwas zu bewegen. Eine neue Bürgerinitiative. Gemeinsam mit der Stadtverwaltung begann ein gemeinsamer, mehrjähriger Planungs- und Umsetzungsprozess für den stillgelegten Güterbahnhof. Rund 15 Hektar lagen hier brach. „Eine riesen-große ungenutzte Fläche, die wir wieder in die Stadt integrieren wollten“, erklärt Mehnert von „Ecken wecken.“ Heute heißt dieser Güterbahnhof Bürgerbahnhof Plagwitz und bietet viele Aktionsbereiche, die von verschiedenen Vereinen und Institutionen genutzt werden und die für alle im Quartier offen sind. „Wichtig war uns, dass wir hier nicht nur eine Art neue Spielwiese bauen. Sondern dass ein Ort entsteht, an dem die Menschen eigene Projekte umsetzen können. Dafür müssen sie sich mit den anderen abstimmen, wodurch Gespräche entstehen, die über den typischen Smalltalk hinausgehen“, erklärt Mehnert. Er glaubt, dass die Menschen, die sich hier engagieren, sich auch stärker mit der Stadt identifizieren. „Das Glücksgefühl, das Menschen durchströmt, wenn sie selbst etwas erschaffen und sich zugehörig zu einer Gruppe fühlen, hilft der Gesellschaft, Wutbürgertum abzubauen, weil man sich von der Gruppe angenommen und wertgeschätzt fühlt“, beschreibt Mehnert die Bürgerinitiative.

Bei dieser Bürgerinitiative kommen alle Menschen zusammen

Er weiß, dass hier am Bürgerbahnhof Kinder spielen, die aufs Gymnasium und nachmittags zum Klavierunterricht gehen. Genauso wie Kinder, die aus ärmeren Verhältnissen stammen. Auf dem Bahnhof jedoch treffen sich ihre Welten. Sie alle unterstützen dasselbe Projekt und arbeiten gemeinsam an einer Sache.  Menschen, die eigene Ideen auf dem Bürgerbahnhof umsetzen wollen, können sich bei der Stiftung „Ecken wecken“ melden. Hier können sie direkt Vorschläge machen und der Nutzerrat, der aus jeweils einem Vertreter aus jeder Gruppe besteht, kann abstimmen, ob das Projekt zum Bürgerbahnhof passt oder nicht. „Uns ist es wichtig, dass auf dem Bahnhof alle Gruppen friedlich zusammenarbeiten, sodass das hier ein Ort bleibt, an dem jeder mitbestimmen kann und an dem man einander hilft“, erklärt Mehnert. Wie die Zusammenarbeit gelingen kann, erklärt er am Projekt Boulderfelsen: Unternehmen sorgten für große Findlinge aus dem Tagebau inklusive Anlieferung, Mitglieder eines Klettervereins unterstützten bei Bauplanung und Statik und bearbeiteten die Findlinge, die Stadt Leipzig finanzierte Fundamente, Fallschutz, TÜV und Aufstellung. „Uns liegt sehr viel an der Zusammenarbeit, einfach weil wir glauben, dass intensivierte Beziehungen zwischen Menschen und Institutionen vor Ort zu Lösungen für künftige gesellschaftliche Herausforderungen beitragen können – etwa in den Bereichen Bildung, Pflege, Migration und viele andere“, erklärt Mehnert und schließt ab: „Denn dann entsteht eine Stimmung, in der Vertrauen, Neugierde und Freude am gemeinsamen Tun wieder Platz finden.“