In vielen Gemeinderäten fehlt es an Kandidaten - was zu tun ist
In vielen Gemeinderäten fehlt es an Kandidaten - was zu tun ist
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Vor den Kommunalwahlen

Kommunalpolitik: So gewinnen wir mehr Menschen für den Gemeinderat

In Deutschland könnten bald Hunderte Bürgermeisterposten unbesetzt bleiben. Aber auch für viele Gemeinderäte finden sich kaum noch genügend Kandidaten. Dramatisch ist die Situation vor allem in Rheinland-Pfalz mit seinen vielen kleinen Gemeinden - dort finden im Juni Kommualwahlen statt. Aber auch in den acht anderen Bundesländern, in denen in diesem Jahr Kommunalwahlen anstehen, sieht es teils dramatisch aus. Was ist zu tun? Wie die Ratsarbeit vor allem auch für jüngere Menschen attraktiver werden kann - Prof. Oliver Junk ist der Frage nachgegangen. Seine Ergebnisse stellt er im KOMMUNAL-Gastbeitrag vor.

Die Demokratie ist unter Druck. In vielen Bundesländern stehen Kommunalwahlen an. Gerade hier, es geht nicht um attraktive Berufspolitikerämter, wird die Krise unserer repräsentativen Demokratie dramatisch sichtbar. Das Interesse für kommunale Selbstverwaltung nimmt mehr und mehr ab. Es finden sich vielerorts nicht mehr hinreichend viele Kandidaten für die ehrenamtliche Übernahme von Verantwortung in den Städten und Gemeinden. Vor dem Hintergrund demographischer und gesellschaftlicher Veränderungen sind immer weniger Menschen bereit, sich insbesondere dann für die eigene Gemeinde zu engagieren, wenn die Kinder, die Familie, der Partner und der Beruf Zeit benötigen. Kommunalpolitik mit kleinen Kindern, Ratsarbeit in der sogenannten Rushhour des Lebens, findet nicht statt. Und doch sind es gerade die Themen der jungen Mütter und Väter, die maßgeblich das Bild und die Zukunft einer Kommune prägen müssen: Kindertagesstätten, lokaler Klimaschutz, Spielplätze, Schulen, ÖPNV-Verbindungen – wichtige Aufgaben mit großen Herausforderungen.

Auch die Länder haben die Zeichen in der Kommunalpolitik verschlafen 

Wie reagieren die Landesgesetzgeber auf die Krise? Die Botschaft in den Parlamenten ist angekommen, mag man zunächst glauben. Unter dem Motto „guter Rat ist teuer“ ist das Kommunalrecht sichtbar in Bewegung. So etwa im Land der Frühaufsteher; in Sachsen-Anhalt wird aktuell das Gesetz zur Fortentwicklung des Kommunalrechts beraten. Der Süden war schneller. Die Kommunalrechtsnovelle in Bayern ist bereits zum 1. Januar in Kraft getreten.  Die Ziele sind identisch. Die Übernahme von ehrenamtlichen Mandanten soll attraktiver werden, die Lust auf lokale Demokratie steigen, Menschen sollen für die Kommunalpolitik begeistert werden. Folgende Aspekte rücken dabei in den Vordergrund:  Der Zugang für Mandatsträger zu kommunalen Gremiensitzungen darf in Zukunft auch digital erfolgen (Zulässigkeit von hybriden Sitzungen), am Geld für Babysitter soll das kommunale Mandat nicht mehr scheitern, Sitzungen werden live gestreamt und in Zukunft auch in einer Mediathek für alle Interessierten bereitstehen.

Kann so die Demokratie in den Kommunen gerettet werden? Wohl kaum, denn alle Regelungen zur Attraktivierung der Ratsarbeit leiden unter einem zentralen Problem: Es wird der Zuständigkeit der Kommunen selbst überlassen, ob von den gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Attraktivitätssteigerung Gebrauch gemacht.

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Die Möglichkeiten in der Kommunalpolitik werden vor Ort zu wenig genutzt 

Und das führt dazu, dass hybride Sitzungen vielerorts nicht angeboten werden, obwohl sie zulässig sind. Sitzungen werden nicht live gestreamt oder stehen „on-demand“ zur Verfügung, obwohl auf diese Weise das Interesse an Kommunalpolitik gesteigert wird.  Und Kinderbetreuungskosten für ehrenamtliche Ratsmitglieder werden nicht übernommen, obwohl der gesetzliche Rahmen für entsprechende Regelung gegeben ist. Die Öffnung der Kommunalpolitik für die jungen Menschen, gerade für Frauen, gelingt so nicht.

Warum? Es gilt auch hier der Mark Twain zugesprochene Satz: „Wenn man einen Sumpf trocken legen will, darf man damit die Frösche nicht beauftragen.“ Durch die Ausgestaltung der Kommunalverfassungen wird die sogenannte Attraktivität von Ratsarbeit von den Menschen definiert, die bereits im Rat sind. Positiv formuliert wird die Veränderung der Ratsarbeit dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht überlassen. Kritisch betrachtet bedeutet das aber, dass die Menschen über notwendige Veränderungen zu befinden haben, die zumeist ein Interesse daran haben, dass alles so bliebt wie es ist. Sie haben keine Lust auf Veränderung, sondern vielmehr Interesse daran, dass ihnen das Ratsmandat nicht von Menschen streitig gemacht werden kann, die aktuell noch nicht die Möglichkeit einer Kandidatur haben, etwa weil sie Kinder zu betreuen oder Eltern zu pflegen haben.  

Welche Schritte in der Kommunalpolitik es nun zwingend braucht 

Den aktuell positiven Ansätzen der Landesgesetzgeber fehlen deshalb die weiteren zwingenden Schritte:

Zunächst müssen die Kommunen verpflichtet werden, kommunale Selbstverwaltung und Arbeit in kommunalen Gremien attraktiver zu gestalten. Konkret heißt das, dass es nicht von kommunalen Mehrheitsentscheidungen abhängig sein darf, ob beispielsweise hybride Gremiensitzungen die Vereinbarkeit von kommunalem Mandanten, Arbeit und Familie ermöglichen. Mobile Arbeitsformen für Ratsarbeit sind kein „nice to have“, sondern „must have“; nicht Kür, sondern Pflicht.

Und ferner müssen die Kommunen in die Pflicht genommen werden, kommunale Selbstverwaltung transparenter, offener und einladender gegenüber einer lokalen Öffentlichkeit zu gestalten, die sich mehr und mehr von der lokalen Politik entfernt. Die Erfüllung des Öffentlichkeitsgebotes kommuner Gremiensitzungen und die Schaffung von Teilhabeprozessen sind kommunale Pflichtaufgaben, keineswegs lästige Zusatzaufgaben. Die digitale und leistungsfähige Informations- und Kommunikationstechnologie erlaubt es heute nicht nur, sondern zwingt dazu, kommune Gremienarbeit zu übertragen, auf Abruf in einer Mediathek bereit zu stellen und mehr noch, zur Interaktion einzuladen.

Es geht um viel: Sicherung der Qualität der politischen Entscheidungen vor Ort, politische Kultur, die Bewahrung einer lebendigen Demokratie und die Sicherstellung der kommunalen Selbstverwaltung als der Keimzelle der Demokratie.

Die Attraktivierung der Ratsarbeit und die Verstärkung des Öffentlichkeitsgebotes sind kommunale Pflichtaufgaben. Dazu müssen die Landesgesetzgeber mehr als nur Möglichkeiten schaffen.

Zum Thema bietet die Fachhoschschule Harz in Zusammenarbeit mit KOMMUNAL am 13. März eine Fachtagung an. Die Teilnahme ist kostenfrei. Hier finden Sie alle Informationen und die Möglichkeit zur Anmeldung: