Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach im KOMMUNAL-Interview: "Mit der Reform blieben die auf dem Land benötigten Krankenhäuser in den schwarzen Zahlen."
© Anikka Bauer

Medizinische Versorgung

Lauterbach: Krankenhausreform rettet Kliniken auf dem Land

31. Juli 2024
Immer mehr Kliniken in Deutschland gehen insolvent und 70 Prozent rechnen damit, 2024 Verluste einzufahren. Im Interview mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wollte KOMMUNAL wissen: Wie sollen Krankenhäuser im ländlichen Raum noch eine Chance haben, wenn die von ihm geplante Krankenhausreform kommt – und wie soll die Hausarztversorgung sichergestellt werden? Mit Lauterbach sprachen KOMMUNAL-Chefredakteur Christian Erhardt und Redakteurin Gudrun Mallwitz.

KOMMUNAL: Herr Lauterbach, die Krankenhausreform beunruhigt die Menschen vor allem im ländlichen Raum. Wie wollen Sie dort künftig eine wohnortnahe Versorgung sicherstellen?

Karl Lauterbach: Es ist gerade das Ziel der Reform, die Versorgung im ländlichen Raum zu erhalten. Ohne die Reform würden sehr viele ländliche Krankenhäuser in den nächsten Jahren nicht mehr klarkommen, schon weil Personal und Inflation die Kosten erhöhen. Wir haben im Moment den stärksten Kostenanstieg im Krankenhaussektor, den wir in Deutschland jemals hatten. Und das, obwohl 30 Prozent der Betten leer stehen. Würden wir die Reform nicht machen, wird sich die prekäre wirtschaftliche Lage vieler Krankenhäuser weiter verschärfen. Dann würden in absehbarer Zeit zwei von drei Krankenhäusern Defizite erwirtschaften, wie das auch jetzt schon ist. Mit der Reform bleiben die auf dem Land benötigten Krankenhäuser in den schwarzen Zahlen. Ich gehe somit davon aus, dass der größte Teil der Krankenhäuser im ländlichen Bereich erhalten bleibt.

Was ist aus Ihrer Sicht zumutbar an Wegen? 25 Kilometer bis zum Krankenhaus oder doch 40 Kilometer?

An den Entfernungen wird sich im ländlichen Raum für die Grundversorgung nicht viel ändern. Nur die Spezialversorgung wird dort nicht mehr stattfinden. Der Versicherte gewinnt, weil er für die Spezialversorgung dann in die Spezialklinik geht.  Die Akut- und Grundversorgung wird jedoch weiterhin vor Ort gewährleistet sein. Ähnliche Ziele werden jetzt auch schon in NRW verfolgt. 

Wenn dann mehr Patienten in Spezialkliniken behandelt werden – entstehen dann nicht auch noch längere Wartezeiten?

Nein. Wenn nur sinnvolle Eingriffe gemacht würden, reichen die Ressourcen. Verglichen mit anderen Ländern operieren wir aber viel zu häufig, zum Beispiel bei Knie- und Hüftgelenkprothesen. Und für die großen Krebsoperationen haben wir in den Universitätskliniken sowieso noch genügend Kapazitäten. Die Patienten kommen dort aber einfach nicht an.

Die Realität sieht doch so aus: Häufig werden die Menschen zuerst ortsnah operiert und dann ist ein späterer Eingriff in der Ferne erforderlich, der die Komplikation in den Griff bekommen soll."

Karl Lauterbach, Bundesgesundheitsminister

Das bedeutet: Krebsoperation nur noch in Metropolen und nicht mehr in den Klein- und Mittelstädten?

Ich frage Patienten oft konkret: Wollt Ihr die Wirbelsäulen-OP in Fahrradentfernung, könnt danach aber vielleicht nicht laufen oder habt Schmerzen? Oder wollt Ihr eine Wirbelsäulen-OP von wirklichen Fachleuten zwei Autostunden entfernt, die das Risiko von Komplikationen aber wesentlich minimiert? Dann ist die Antwort meist eindeutig. Die Realität sieht doch so aus: Häufig werden die Menschen zuerst ortsnah operiert und dann ist ein späterer Eingriff in der Ferne erforderlich, der die Komplikation in den Griff bekommen soll. Das nennen wir das Montags-Donnerstags-Prinzip. Montags wird der Eingriff gemacht, am Dienstag sieht man, da gibt es Komplikationen. Bis Mittwoch glaubt man, dass man das noch selbst in den Griff bekommt und donnerstags wird dann verlegt, nicht selten mit dem Hubschrauber.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach im Interview

Mit der geplanten Ausgestaltung der Reform befürchten Landräte und Bürgermeister, dass ihre Region medizinisch abgehängt wird. Führt das nicht politisch zu einer weiteren Frustration? Und somit zu Politikverdrossenheit mit all ihren Folgen?

Nein, die Umfragen zeigen, dass die Leute gerne bereit sind, für einen spezialisierten Eingriff auch gewisse Strecken zurückzulegen. Für Notfälle und kleinere Eingriffe bleibt ja die Klinik vor Ort auch im ländlichen Raum. Ohne die Krankenhausreform würde das Krankenhaussterben weitergehen.

Wie viel Einfluss wird die Kommunalpolitik im ländlichen Raum dadurch aber auch verlieren?

Die Kommunen werden die Herrinnen des Verfahrens sein. Bei der Krankenhausplanung sind in erster Linie die Kommunen gefragt: Was kann ich zusammenlegen, wo kann ich Fachwissen konzentrieren?  Denn wenn die Defizite steigen, werden viele Kommunen das nicht mehr auffangen können und geraten so in zusätzliche Finanzierungsnot bei ihrer Aufgabenerfüllung. Durch die Reform werden sich die Häuser, die es gibt, stabilisieren. Das Problem ist: Wir haben eine klassische Überversorgung auch zulasten der Qualität, insbesondere in den westdeutschen Großstädten. Da brauchen wir einen Rückbau, weil wir für die Krankenhäuser, die wir derzeit haben, weder den Bedarf noch das Personal haben und haben werden

Die Kommunen werden die Herrinnen des Verfahrens sein."

Entscheiden aber nicht die Länder über die Krankenhausplanung und weisen dann den Kommunen die künftigen Leistungsgruppen wie etwa interventionelle Kardiologie zu?

Ja, aber die Kommunen können das vorher mit dem Land verhandeln.

Kommunalpolitiker und Krankenhausgesellschaft werfen Ihnen eine kalte Strukturreform vor. Es sei zu befürchten, dass viele Kliniken 2024 nicht überstehen werden, wenn nicht sofort mehr Geld fließt.

Der Vorwurf ist abwegig. Steigende Löhne und Pflegekosten werden ausgeglichen, dafür erhöhen wir den allgemeinen Krankenkassen-Beitragssatz nochmal. Und das, obwohl die gesetzlichen Krankenkassen im vergangenen Jahr nochmal fast sieben Milliarden für die Krankenhäuser draufgelegt haben. Aber wir können nicht fortwährend die Beitragssätze erhöhen und die Kommunen belasten, nur um eine ineffiziente Krankenhausstruktur zu erhalten

Das Defizit in strukturschwachen Regionen ist doch schon jetzt enorm.

Ich habe großen Respekt vor den Kommunen, die jetzt in dieser Übergangszeit nochmal sagen:  Wir investieren, wir geben nochmal was aus. Aber das ist natürlich keine Dauerlösung, das ist nicht durchzuhalten. Zumal, wenn dann an allen anderen kommunalen Aufgaben gespart werden muss, um die defizitären Häuser am Netz zu halten. Kann das richtig sein? Ich glaube nicht. Diesen Teufelskreis werden wir durchbrechen.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach

Noch stärker treibt die Kommunen der massive Hausärztemangel um. Wie groß wird das Problem in den nächsten Jahren und wie will der Bund gegensteuern?

Die Länder haben sich über mehr als zehn Jahre geweigert, mehr Medizinstudenten auszubilden, auch wenn jüngst ein trotzdem bei weitem nicht ausreichender Aufwuchs der Studienkapazitäten zu verzeichnen ist, den ich trotzdem ausdrücklich begrüße. Gleichzeitig drängt die Zeit, diese Bemühungen zu verstärken, denn bis Ende der 2030-er Jahre werden geschätzt bis zu 140.000 aller heute berufstätigen Ärztinnen und Ärzte und bis zu 80.000 Ärztinnen und Ärzte aus dem vertragsärztlichen Bereich altersbedingt aus dem Beruf ausscheiden. Bereits jetzt sind über 40 Prozent aller berufstätigen Ärztinnen und Ärzte und sogar mehr als zwei Drittel der Ärztinnen und Ärzte im vertragsärztlichen Bereich 50 Jahre oder älter.

Wie viele Ärzte werden Deutschland fehlen?

Pro Jahr haben wir seit über zehn Jahren, 5.000 Studienplätze zu wenig und daher werden in den nächsten zehn Jahren um die 50.000 Ärzte fehlen. Bisher konnten wir das durch ausländische Ärzte kompensieren. In der Vergangenheit profitierte das deutsche Gesundheitswesen noch von einer massiven Zuwanderung aus dem Ausland, so dass wir inzwischen 64.000 Ärztinnen und Ärzte haben, die ihre Ausbildung im Ausland gemacht haben. Sich auf diesen Zuzug zu verlassen, ist jedoch auch angesichts der alternden Bevölkerung und absehbar steigenden Behandlungsbedarfe keine Dauerlösung. Wir versuchen daher jetzt die Zahl der Medizinstudienplätze zeitnah substanziell zu erhöhen um die Versorgung in der Breite auch zukünftig sicherzustellen.

Die Ärzte und Ärztinnen gehen oftmals lieber als Angestellte mit geregelten Arbeitszeiten in die Kliniken statt das Risiko einer Selbstständigkeit mit massiven Investitionskosten zu wagen.

Diese Kosten werden aber überschaubarer mit unserer Reform. Wie bei Kinderärzten soll es künftig auch bei Hausärzten keine budgetierte Leistungsvergütung mehr geben. Die Budgets führten dazu, dass nicht alle erbrachten Leistungen der Ärzte auch vollständig bezahlt wurden. Das schaffen wir für Hausärzte ab. Auch der Regress für vermeintlich zu viel verschriebene Arzneimittel fällt weitgehend durch unser neues Gesetz. Das entlastet die Ärzte auch von sehr viel Bürokratie. Praxisgründungen werden vielerorts gefördert. So wird sich manch einer überlegen, ob er sich nicht doch für den Aufbau oder die Übernahme einer hausärztlichen Praxis entscheidet. Zudem wird die Gründung von MVZ durch Kommunen erleichtert, so dass es auch mehr Perspektiven für diejenigen gibt, die sich eine Selbständigkeit nicht vorstellen können.

Die Ärzte gehen lieber in die Städte – wo sie an den Universitäten ausgebildet wurden, wo sie ihre Studienzeit verbracht haben. Warum nicht mehr Studiengänge in ländlichen Regionen?

Die Länder haben die Möglichkeit, die praktischen Anteile des Medizinstudiums auch im ländlichen Bereich anzubieten. Die Universitäten können den praktischen Anteil des Studiums in die Fläche bringen, das machen ja auch einige. Aber die Wahrheit ist, man kann keine Medizinfakultäten in dünn besiedelten Regionen gründen.  Wir bauen ja auch die Telemedizin auf. Dann kann man also in Berlin oder Rostock leben und etwa an zwei Tagen in der Woche vor Ort beispielsweise in der Uckermark sein und an den anderen Tagen per Telemedizin arbeiten.

Kliniken sollen künftig eine hausärztliche Versorgung einrichten. Was ist das für ein Konstrukt?

Das ist ein Beitrag zur Lösung des ländlichen Versorgungsproblems. durch sektorenübergreifende Versorgung. Kleine Kliniken werden eine wichtige Versorgungseinrichtung auch für den ambulanten Bereich insbesondere auf dem Land sein.  Dort kann dann auch tatsächlich in der Klinik die ambulante Versorgung angeboten werden. Und dort können dann sogar Hausärztinnen und Hausärzte ausgebildet werden.

Noch ein Thema, das die Kommunen bewegt:  Sie sagen: Wir können diesen Regelungswust gar nicht kontrollieren. Sind sie mit den sehr detaillierten Regeln zur Cannabis-Freigabe übers Ziel hinausgeschossen? Kommt da eine Vereinfachung?

Das ist in der Summe eigentlich ein relativ unbürokratisches Verfahren. Bisher war es viel schwerer, weil Kontrollen gemacht und Ermittlungsverfahren und Strafverfahren eingeleitet werden mussten. Das hat sogar die Gerichte überlastet.

Aber das war Sache der Polizei mit weitgehenden Befugnissen und nicht Aufgabe des Ordnungsamtes, die keine Wohnungsdurchsuchung machen dürfen.

Ja, aber wir haben doch hier ein gemeinsames Ziel. Wir wollen den Schwarzmarkt zurückdrängen. Die Frage ist doch: Wollen wir den Markt den Clans überlassen, wie jetzt den sogenannten Mocro-Clans in NRW, oder wollen wir, wie in Kanada, den Schwarzmarkt mit einer Teillegalisierung zurückdrängen? Die Ordnungsbehörden kriegen das hin. Das ist auch das, was ich von vor Ort höre.