wissenschaftliche Studie
Modellprojekt: Öffnungen hatten keinen Einfluss auf Infektionszahlen
Augustusburg scheint wie gemacht für ein solches Modellprojekt: Die Kleinstadt in Sachsen liegt mit rund 5000 Einwohnern im Durchschnitt der deutschen Kommunen. Immerhin rund 8000 der rund 11.000 Städte und Gemeinden in Deutschland haben 5000 oder weniger Einwohner. Mitten im Sachsen gelegen gibt es durchaus größere Städte im Umkreis, Chemnitz etwa ist nur rund 17 Kilometer entfernt. Und doch ist Augustusburg mit seinem malerischen Schloss ländlich geprägt. Einzige Besonderheit: in die Kleinstadt kommen überdurchschnittlich viele Touristen. Und gerade deshalb war Augustusburg für ein solches Modellprojekt wie gemacht. Und so startete am ersten April ein wissenschaftlich begleitetes Projekt. Alle Geschäfte, Kultureinrichtungen, Hotels und weitere durften unter Einhaltung der besonderen Hygienemaßnahmen öffnen. Wer etwa ins Theater wollte, brauchte jedoch einen Schnelltest. Wissenschaftler begleiteten das Projekt, sammelten vor allem massiv Daten wie etwa die Postleitzahlen aller Getesteten. Das gibt erheblich tiefere Einblicke als die sonst meist erhobenen anonymen Daten. Auch weitere Merkmale wurden statistisch erfasst, so dass die Wissenschaftler ein genaues Bild über das Pandemiegeschehen malen konnten. Mit Start des Bundeslockdowns musste das Projekt dann aber am 23. April vorzeitig abgebrochen werden, es durfte durch die Bundesvorgaben nicht fortgeführt werden. Ein Umstand, den die Wissenscahaftler in ihren jetzt vorgestellten Gutachten bedauern. Denn das Ergebnis ist eindeutig: Das Modellprojekt in Augustusburg war kein Pandemie-Herd.
Wir sehen, dass wir nichts sehen!"
Modellprojekt: Das sagen die Wissenschaftler im Details zum Erfolg
Das Modellprojekt hätte aus Sicht der Wissenschaftler fortgeführt werden können. Trotz der auch in Sachsen damals deutlich steigenden Infektionszahlen. Zu diesem Schluss kamen die Wissenschaftler der Gutenberg-Universität in Mainz in einer Online-Pressekonferenz auf der sie in dieser Woche ihre Ergebnisse vorstellten. Der zuständige Professor Klaus Wälde sagte wörtlich: "Es gibt so gut wie keine Effekte des Modellprojekts auf die Infektionszahlen". Und weiter: " Der Modellversuch hatte keine Effekte auf die 7-Tage Inzidenz in Augustusburg. Wir sehen, dass wir nichts sehen", so Wälde.
Die Forscher der Uni Mainz haben Augustusburg dabei mit einem "synthetischen Zwilling" vergleichen, um die Veränderungen abbilden zu können. Konkret passierte das nach Aussage der Wissenschaftler wie folgt: Mehrere Kommunen wurden untersucht und daraus ein synthetischer Zwilling für Augustusburg erstellt. Kriterien des Vergleichs waren etwa die Bevölkerungsdichte, die Entwicklung der Pandemie vor Ort und die Ärztedichte. Mehrere Kommunen in Mittelsachsen und im Erzgebirge wurden mit Augustusburg vergleichen, darunter die Kommunen Sayda, Brand-Erbisdorf, Wechselburg und Thalheim. Das Ergebnis fasste Klaus Wälde so zusammen: "Zwar liegen stärkere Schwankungen vor, jedoch verlaufen die Inzidenzen in Augustusburg und den synthetischen Gemeinden im Schnitt identisch". Kurzum: Einen Einfluss auf das Infektionsgeschehen hatten die Öffnungen unterm Strich nicht.
Modellprojekt zeigt auch Probleme bei der Datenerhebung auf
Nicht ganz umspannend auch für andere Kommunen ist ein Fakt, auf den die Wissenschaftler ebenfalls hinwiesen. Auf die oft falschen Daten, die übermittelt werden. Sie haben festgestellt, dass die Inzidenzzahlen oft sehr schnell hoch und wieder runter gingen. "Das kann aber bei Inzidenzen nicht sein. Auf dem Weg zwischen dem Gesundheitsamt und dem Sozialministerium gehen Inzidenzen verloren", so Klaus Wälde. Die Fehler seien auffällig, hätten unterm Strich aber die Ergebnisse nicht verfälscht.
In Augustusburg gab es bis zu 1400 Tests am Tag, die meisten davon waren Touristen, im Schnitt drei Viertel derjenigen, die einen Schnelltest gemacht haben. Die Bereitschaft zum Testen sei groß gewesen, erklärte auch der Bürgermeister von Augustusburg, Dirk Neubauer in dem Online-Pressegespräch. "Die Leute haben das alles akzeptiert, weil die Belohnung direkt hinten dran kam", so Neubauer. Der Bürgermeister hatte erst vor wenigen Tagen in einem KOMMUNAL-Gastbeitrag einen dramatischen Appell an Landes- und Bundespolitiker gerichtet. Mit Blick auf das abrupte Ende des Modellprojekts aber auch aus seiner Erfahrung als Bürgermeister heraus forderte er darin: "Wir brauchen dringend mehr Entscheidungsgewalt in der kommunalen Selbstverwaltung. Sie ist ein bedrohtes Gut. Unsere Demokratie droht zu sterben", so Neubauer.
Die Erkenntnisse aus dem Modellprojekt und wie es nun weitergeht...
Was hat nun das viele Testen und das Öffnen realistisch gebracht? "Wertvoll war, dass durch die vielen Tests einige symptomlose Fälle entdeckt wurden", so Professor Wälde. Denn "Wer noch ein paar Tage herumläuft, steckt wieder andere an", so auch Bürgermeister Neubauer. Die Forscher der Uni Mainz empfehlen als Ergebnis des Modellprojekts vor allem drei Dinge: 1. regelmässiges Testen und 2. eine bessere Erfassung der Individualdaten. Damit lasse sich das Geschehen sehr viel besser kontrollieren. Und 3. müssen die Messfehler bei den Daten ausgemerzt werden.
Trotz des Abbruchs bleibt Bürgermeister Neubauer hoffnungsfroh für den Neustart des Modellprojekts. Er plant bereits mit einer Fortsetzung. Die Genehmigung des Landes dafür liegt auch bereits vor. Auch vier weitere Modellprojekte sind in Sachsen geplant: In Oberwiesenthal, in Freiberg, in Dresden und in Leipzig. Allerdings verlangt der Bund, dass vorher die Inzidenzzahlen weiter sinken. Zudem fehlt aktuell auch noch die Zustimmung des Landesdatenschutzbeauftragten. Mit etwas Glück kann Augustusburg - wieder mit wissenschaftlicher Begleitung - sein Modellprojekt schon im Juni fortsetzen.