Musikschulen sehen sich durch ein Urteil in ihrer Existenz bedroht - Kommunen vor massiver "Einstellungswelle"
Musikschulen sehen sich durch ein Urteil in ihrer Existenz bedroht - Kommunen vor massiver "Einstellungswelle"
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Grund ist ein Urteil

Musikschulen in ihrer Existenz bedroht

Ein Urteil des Bundessozialgerichts hat massive Auswirkungen auf die Integrationskurse in Kommunen. Und auch viele Musikschulen sehen sich in ihrer Existenz bedroht. Kommunen, die dazu in der Lage sind, stellen akutell Honorarkräfte massiv fest an - allein in Leipzig betrifft das 147 Musikschullehrer, die bisher freiberuflich tätig waren. Nun sind sie festangestellt. Anderen Kommunen drohen massive Nachzahlungen. Wir erklären die Gründe und was das für Ihre Musikschulen, Integrationskurse und gemeinnützigen Bildungs-GmbHs in ihrer Stadt bedeutet.

147 Honorarkräfte gab es bis vor wenigen Monaten in der Musikschule in Leipzig. Sie alle sind seit dem Frühjahr festangestellte Mitarbeiter. Bezahlt nach TvÖD. Und so wie in Leipzig passiert es in diesem Sommer in Musikschulen in ganz Deutschland. Etwa bei der Musikschule des Landkreises Harz mit ihren drei Standorten in Wernigerode, Quedlinburg und Halberstadt. 14 Honorarkräfte sind nun in Festanstellung tätig. So wie im Harz wollen mit Beginn des neuen Unterrichtsjahres Kommunen in ganz Deutschland künftig auf Nummer Sicher gehen. Doch der Reihenfolge nach:

Warum die Musikschulen um ihre Existenz fürchten 

Wer ein Instrument spielen will, muss lange üben - und beginnt meist in der Musikschule mit wöchentlichem Unterricht. Dort sind bisher fast immer Honorarkräfte tätig, die stundenweise Unterricht geben und entsprechend mit den Musikschulen abrechnen. Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts müssen die Lehrkräfte nun aber fest angestellt werden. 

Hintergrund: Eine Musikschule, beziehungsweise deren Trägerin, hatte die Deutsche Rentenversicherung verklagt, nachdem diese eine langjährige Honorarkraft dort als abhängige Beschäftigte eingestuft hatte. Attestiert die Rentenbehörde eine Scheinselbstständigkeit, werden teils horrende Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen fällig. Die Musikschule verlor den Rechtsstreit. Seitdem gilt: Ist eine Honorarkraft in Lehrpläne eingebunden, nutzt sie Räume der Schule und sucht ihre Schüler nicht selbst aus, befindet sie sich in einem abhängigen Arbeitsverhältnis. Nach alter Rechtsprechung wurde in der Praxis auch der Wille der Vertragspartner berücksichtigt, wenn sie ausdrücklich eine Beziehung auf Freiberufler-Basis wollten; das gilt nun nicht mehr.

Das stellt die Kommunen als Träger der öffentlichen Musikschulen vor große finanzielle Herausforderungen. Private Musikschulen kann dieses Urteil sogar die Existenz kosten. 

Eine Regelung, die übrigens auch viele Musiksschullehrer sich eigentlich nicht wünschen. Oda Michael beispielsweise gibt an der Musikschule in Halle Saxophon-Unterricht. Auch sie wurde nun fest angestellt, sagte dem MDR aber wörtlich: ""In dieser Form fest angestellt zu sein, bedeutet einen unheimlichen Verwaltungsaufwand." Als Honorarkraft sei man freier, könne unterschiedlich arbeiten. "Meine Meinung – ohne das werten zu wollen: Als Honorarkraft fahre ich besser. Ich mache das ja schon sehr lange und habe nicht das Gefühl, dass ich da nicht zurechtkomme." 

Kommunen fürchten drastische Gebührenerhöhungen für ihre Schulen 

In Leipzig hat der öffentliche Träger zunächst auf deutliche Erhöhungen der Gebühren in der Musikschule verzichtet. Aber die Festanstellung mit Rentenansprüchen, bezahltem Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall dürfte die meisten Musikschulen deutlich teurer zu stehen kommen als bisher.

Größere Sorgen bereitet den Trägern aber eine mögliche Nachzahlung für die Vergangenheit. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat in einem Gutachten zum Thema folgendes festgehalten: „Für alle Trägerinnen von Schulen besteht nun das Risiko einer Nachzahlung aufgrund der nicht geleisteten Sozialversicherungsbeiträge. Gerade Schulen, die auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 2018 vertraut haben, können nun Arbeitgeber im Nachhinein werden“.

Die Nachzahlung von Sozialleistungen für die vergangenen fünf Jahre droht also. Und für die Zukunft kommt noch hinzu, dass aktuell noch nicht final geklärt ist, ob Bildungseinrichtungen künftig auch der Mehrwertsteuer unterliegen könnten. 

Und gerade die Nachzahlung von Sozialleistungen ist nicht fiktiv, wie das Beispiel Hessen zeigt: Rund zwei Drittel der 2.700 Lehrkräfte, die an 66 öffentlichen Musikschulen im Land tätig sind, arbeiten dort ohne Festanstellung. Die Deutsche Rentenversicherung kündigte nach dem Urteil des Bundessozialgerichts an, die Honorarverträge sukzessive zu prüfen und nicht gezahlte Sozialversicherungsbeiträge nachzufordern. Auf Hessens Musikschulen käme dann nach aktuellen Berechnungen ein Betrag von bis zu 18 Millionen Euro zu, wie der Hessische Rundfunk berichtet. 

Um außerdem Problemen mit rechtswidriger Scheinselbstständigkeit auch künftig aus dem Weg zu gehen, müssten die Musikschulen ihren Lehrkräften Festangestellten-Verträge anbieten. Das würde mindestens weitere 3,5 Millionen Euro pro Jahr bedeuten. Allein in Hessen. 

Noch dramatischer ist die Situation bei privaten Musikschulen. Sie bekommen keine Zuschüsse von öffentlicher Hand und müssten ihre Gebühren drastisch erhöhen. Andreas Ilgenstein, Betreiber einer privaten Musikschule in Halle beschreibt die Situation seiner Schule wie folgt: "Ich muss die Heizung bezahlen, den Strom, die Grundsteuer, die Straßenreinigung, und wenn ich jetzt noch die Lehrer fest anstellen soll und noch mal 70 bis 80 Prozent drauflege, müsste ich die Kosten für die Eltern fast verdoppeln. Das hätte zur Folge, dass die Schülerzahl enorm sinkt. Wenn jemand wenig Geld hat, kann er nicht das Doppelte bezahlen. In der Folge hat der Lehrer oder die Lehrerin dann keinen Nebenjob."

Auch Integrationskurse und andere Bildungseinrichtungen sind betroffen 

Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zeigt nun zudem auf, dass von dem Urteil nicht nur Musikschulen betroffen sind. Laut dem Gutachten betrifft das Urteil sämtliche Bildungseinrichtungen. Im Gutachten heißt es: "Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dürfte für „alle weiteren Beschäftigungsverhältnisse ebenso gelten“.

Sprich: Dozenten etwa, die im Auftrag der Arbeitsagentur tätig sind - um beispielsweise berufsunfähige Bäcker umzuschulen. Oder auch: Dozenten in Integrationskursen.

Die Tageszeitung "Welt" zitiert die Sprecherin des Berufsverbandes für Integrations- und Berufssprachkurse, Jeannette Langner, wie folgt: „Sprachkursträger müssen nach der neuen Rechtsprechung möglicherweise hohe Nachzahlungen leisten. Nachzahlungen, die nicht vorhersehbar waren und daher nicht einkalkuliert werden konnten.“ Laut ihren Angaben sind rund 70 Prozent der Lehrkräfte in den Integrationskursen bisher freiberuflich tätig. 

Der Verband der Volkshochschulen fordert nun von der Bundespolitk klare neue Regelungen. Gegenüber der Welt sagte der Verband, es sei unzulässig, in Bildungseinrichtungen automatisch eine abhängige Beschäftigung anzunehmen. Wenn überhaupt, könne eine solche abhängige Beschäftigung nur im Einzelfall festgestellt werden. An Volkshochschulen etwas seien „zahlreiche nebenberuflich tätige Lehrkräfte bereits über ihre hauptberufliche Tätigkeit sozial abgesichert“. Geboten sei nun, Rechtssicherheit zu schaffen, damit Träger wie die Volkshochschulen zukünftig nicht den Auslegungen von Verwaltung oder Gerichten ausgeliefert sind. 

Warum sich private Schulen auch an die Kommunen wenden 

Auf Seiten von privaten Schulen macht durch die Welle der Festanstellung nun zusätzliche Sorge breit. Etwa die Musikschule Pfaffenwinkel. Es handelt sich um einen eingetragenen Verein, also keine städtische Musikschule. Sie warben jüngst in der Gemeinderatssitzung in Hohenpeißenberg (81 Menschen aus der Gemeinde sind Schüler in der Musikschule) um Zuschüsse von der Gemeinde. „Ihr macht eine wertvolle Arbeit und sorgt dafür, dass unsere Kapellen guten Nachwuchs kriegen," kündigte Bürgermeister Thomas Dorsch die Vertreter der Musikschule in der Sitzung an. 

Die Musikschule bat daher um folgendes Modell, wie der Münchner Merkur berichtet: 

Die Gebühren noch weiter zu erhöhen, sei keine Lösung. Diese Idee hätten auch schon andere Musikschulen gehabt. Das Ergebnis sei, dass die Schülerzahlen erheblich sinken würden. „Bei meinen Berechnungen bin ich auf das 12 Euro-Modell gekommen“, sagte der Musikschulleiter. Wenn jede Kommune, in der die „Musikschule Pfaffenwinkel“ Schüler unterrichte, 12 Euro pro Schüler und Monat an Zuschuss geben würde, dann könnten die Musiklehrer so bezahlt werden, dass sie es sich leisten könnten, weiter an der „Musikschule Pfaffenwinkel“ tätig zu sein. Für Hohenpeißenberg würde das bedeuten, dass die Gemeinde 972 Euro pro Monat an die Musikschule zahlen würde, im Jahr wären das rund 11 700 Euro.

Der Gemeinderat stellte inzwischen entsprechende Zuschüsse in Aussicht.