Simmertal ist eine beschauliche Gemeinde - Querdenker-Demos haben jedoch die vergangenen Monate geprägt - und nun zum Rücktritt der Bürgermeisterin geführt
Simmertal ist eine beschauliche Gemeinde - Querdenker-Demos haben jedoch die vergangenen Monate geprägt - und nun zum Rücktritt der Bürgermeisterin geführt
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Anfeindungen und Hetze

Streit um Querdenker: Bürgermeisterin tritt zurück

Querdenker und die Demonstrationen dieser Menschen weitgehend ignorieren oder forsch dagegen vorgehen? Das war eigentlich der Ausgangspunkt einer Diskussion in Simmertal im Kreis Bad Kreuznach. Der Falle erlebt seinen traurigen Höhepunkt nun mit dem Rücktritt der Bürgermeisterin. Wie eine Dorfgemeinschaft durch Querdenker gespalten wird, ein trauriges Beispiel.

Seit Wochen treffen sich in Simmertal in Rheinland-Pfalz Querdenker, um gegen die Corona-Politik zu demonstrieren. An sich nichts ungewöhnliches, für eine Ortsgemeinde mit nur knapp 2000 Einwohnern ist die Größe des Protestes aber schon ungewöhnlich. Run 80 Personen nehmen jede Woche an den Querdenker-Demos in dem Dorf teil. Und nach Angaben vieler Teilnehmer mischen sich unter die Demonstranten auch Reichsbürger, Rechtsextremisten und Menschen mit Verschwörungsideologien. Für die kleine Gemeinde, ihre Bürgermeisterin und den Gemeinderat stellt sich somit die Frage: Wie umgehen mit solchen Demonstrationen?

Querdenker-Demos spalten die Gemeinde 

Im Gemeinderat herrscht mehrheitlich die Meinung, das Thema nicht auch noch hochzuspielen. Man wolle sich neutral verhalten, wie es etwa der Beigeordnete Jürgen Tatzke in einem Interview mit dem Südwestrundfunk ausdrückte. "Schenkt man den Demonstrationen keine Beachtung, verlaufen sie im Sande", so Tatzke. Nur ging auch diese Strategie nicht auf, seit mehr als vier Monaten treffen sich die Querdenker nun schon jede Woche zum Protest, gefühlt werden die Demonstrationen immer größer. 

Die Bürgermeisterin, Christina Bleisinger, nahm von Anfang an eine andere Position ein. Sie forderte die Zivilgesellschaft und auch den Gemeinderat auf, sich der Bewegung entgegenzustellen. Konkret wollte sie Gegendemonstrationen organisieren, Spaziergänge organisieren, ein Zeichen gegen die Querdenker setzen. Denn mit zunehmendem Protest machten die Demonstrationen der Querdenker in den vergangenen Wochen auch überregional in Rheinland-Pfalz Schlagzeilen. Da der Gemeinderat die Gegenproteste aber nicht unterstützte, wollte sie es als "Privatperson" organisieren. Für eine Bürgermeisterin in Amt und Würden eine schwierige Trennung, wird sie doch immer mit dem Bürgermeisteramt verbunden. 

Die Situation eskaliert - Beschimpfungen und Bedrohungen, zerstochene Reifen.... 

Der Gemeinderat beschloss nach der Ankündigung der Bürgermeisterin einstimmig, nichts gegen die Demonstrationen der Querdenker zu tun. Auch eine Bürgerversammlung, wie Bürgermeisterin Bleisinger vorgeschlagen hatte, lehnte der Gemeinderat ab. In einem Beschluss hieß es: "Der Gemeinderat ist ein neutrales Organ mit offenem Ohr für alle Seiten und Meinungen. Wir positionieren uns weder für die eine noch für die andere Seite. Jeder sollte seine Meinung frei äußern dürfen."

Es folgten persönliche Auseinandersetzungen zwischen Gemeinderäten und der Bürgermeisterin im Gemeinderat. Bleisinger wörtlich: "Auch eine an mich gerichtete Rede über Linksextremismus musste ich mir im Gemeinderat anhören." Wenn jeder seine Meinung äussern dürfe, warum dann Sie als Bürgermeisterin nicht? 

Trotzdem zog die Bürgermeisterin mit Gleichgesinnten die Gegenproteste durch. Wörtlich sagte Bleisinger dazu: "Trotz allem habe ich gemeinsam mit unserer Pfarrerin weiterhin den Gegenprotest organisiert. Aufgrund dessen wurde von Seiten der Querdenker versucht uns zu diffamieren. Wir wurden beschimpft, beleidigt und bedroht. Bereits nach der ersten Gegendemonstration gab es in Form von platt gestochenen Reifen und Schmierereien an einer Hauswand konkrete Reaktionen."

Emotionaler Rücktritt im Gemeinderat 

In der vergangenen Woche nun eskalierte der Streit über den Umgang mit den Querdenkern auch im Gemeinderat. Die größte Fraktion - eine unabhängige Wählergemeinschaft - fordert den Rücktritt der Bürgermeisterin. Was folgt ist in dieser Woche im Gemeinderat eine emotionale Rede der Bürgermeisterin mit ihrer Rücktrittsankündigung. Sie erhebt dabei heftige Vorwürfe gegen die größte Fraktion im Gemeinderat. 

Wörtlich sagte Christina Bleisinger: "Die seit Wochen laufende Verleumdungskampagne richtet sich einzig gegen meine Person und nicht gegen meine Amtsführung. Sie dient offensichtlich reiner Parteipolitik sowie persönlichen Ambitionen.Wenn man weiß, dass es enge familiäre sowie freundschaftliche Verbindungen zwischen mehreren Mitgliedern der FWG-Fraktion und Aktiven der Querdenkerdemonstrationen gibt, kann ich ihre Reaktionen mir gegenüber sogar nachvollziehen. Der Sohn der Fraktionsvorsitzenden läuft fast regelmäßig mit. Mein Erster Beigeordneter trinkt am Rande der Dienstagsdemonstration ein Gläschen Sekt mit der Anmelderin der Querdenker-Demo.Auch auf der Facebookseite der Querdenkerbewegung wird kräftig für die Feste der FWG-Fraktion im Ort geworben und darauf hingewiesen, dass sie gerne dort erscheinen."

Im weiteren Verlauf ihrer Rede wirft sie aber auch den anderen Fraktionen - so auch ihrer eigenen Partei - fehlende Unterstützung vor. Doch zu kitten gibt es offenbar nicht mehr viel, Bleisinger beendet ihre Rede mit diesen Worten: "Zum Abschluss wünsche ich Ihnen, liebe Simmertalerinnen und Simmertaler, einen Gemeinderat, der Rückgrat zeigt und Position bezieht und bei seinen Entscheidungen Gemeinwohl vor Eigennutz stellt. Ich war sehr gerne Ihre Bürgermeisterin."

Die Diskussion geht unvermindert scharf weiter 

Ihren Rücktritt hat die Bürgermeisterin daraufhin auch auf ihrem Facebook-Kanal veröffentlicht. Dort sind in den letzten beiden Tagen schon mehr als 300 Kommentare auf ihren Post hinterlassen worden. Neben zahlreichen Danksagungen und Bedauerungen geht auch hier die Diskussion über die Querdenker-Demos in unverminderter Härte weiter. Nicht wenige der Kommentare sind diffamierend und im Sprachduktus unterirdisch und hetzerisch, so dass wir sie hier lieber nicht wiedergeben. 

Unser Kommentar zum Rücktritt 

Der Rücktritt zeigt aber einmal mehr, wie sehr auch kleine Teile einer Gesellschaft das Klima in einer Gemeinde vergiften können. Es sind eben nicht immer nur die Querdenker, die den Diskurs vergiften. Immer wieder tragen auch Gemeinderäte und andere Ehrenamtliche selbst - ob bewusst oder unbewusst - ihren Teil dazu bei, dass die Stimmung sich aufheizt und Hetze möglich wird. Der Hass auf die Kommunalpolitik von außen ist schlimm genug und unerträglich. Nicht mehr in den Griff zu bekommen ist er, wenn es vor Ort nicht gelingt, dass wenigstens die Ehrenamtlichen untereinander einen Weg finden, sachlich und persönlich wertschätzend Argumente auszutauschen. Unsere Umfragen von KOMMUNAL zu Hass und Gewalt gegen Ehrenamtliche zeigen, wie schlimm die Situation seit Jahren ist. Wir sollten uns alle immer wieder bewusst machen, dass wir Hetze und diffamierende Äusserungen nicht auch noch anheizen - bei aller Härte in der inhaltlichen Auseinandersetzung.