Städte machen krank
Wie gute Stadtplanung gegen Einsamkeit und Krankheiten hilft
Eine gute Stadtplanung ist ein zentrales Element dafür, dass sich Menschen in ihrer Umgebung wohl fühlen. Spätestens seit der Corona-Krise hat sich gezeigt, dass sich Menschen auf dem Land deutlich wohler fühlen, als Menschen in der Stadt. Ganz neu ist diese Erkenntnis aber nicht. Die Gründe dafür, dass sich Menschen in der Stadt weniger wohl fühlen, sind vielfältig. Sie geben vor allem aber auch Stadtplanern in kleineren Kommunen Ideen an die Hand, wie sie ihre Städte und Gemeinden noch attraktiver und lebenswerter gestalten können.
Beginnen wir beim sogenannten "Glasgow-Effekt". Der Begriff ist in medizinischen Sachbüchern seit Jahren Standard. In der Stadt sterben die Menschen deutlich früher als überall sonst in Europa. In einzelnen Stadtteilen liegt die Lebenserwartung bei 53 Jahren und damit rund 25 Jahre niedriger als im Durchschnitt. Die Sterberate ist in Glasgow übrigens unabhängig vom finanziellen Status in allen Einkommensklassen um 15 Prozent höher als im Schnitt. Das hat nicht nur mit traditionellen "Saufgelagen" zu tun sondern vor allem auch damit, wie die Stadtplanung in Glasgow erfolgte. Glasgow ist vor allem funktional gestaltet, zwischen Wohnblöcken gibt es immer wieder einzelne große zentrale Grünflächen. Genau hier liegt nach Meinung vieler Wissenschaftler und Stadtplaner ein Grundproblem in der Gestaltung.
Büros sollten im gleichen Gebäude sein, wie einzelne Wohnungen und möglichst ein Café. Die verschiedenen Räume und Menschen müssen sich begegnen können.
Stadtplanung muss Kommunen eine Seele geben
Die großen, zentralen Flächen bieten, so sind sich Stadtplaner heute einig, keine wirkliche Erholung. Grünflächen und Erholungsorte müssen in direkter Umgebung der Menschen sein, sich in ein Wohnquartier eingliedern und nicht zentral in zwei Kilometern Entfernung sein. Der dänische Stadtplaner Jan Gehl, er gilt als einer der renommiertesten Experten auf dem Gebiet der modernen Stadtplanung, beschreibt das in seinem Buch "Städte für Menschen" wie folgt: Ein lebendiges Stadtviertel braucht kurze Wege und viel soziale Mobilität. Damit meint er begrünte Fußgängerzonen und vor allem durchmischte Wohnkonzepte. Das heißt: Es dürfen nicht reine Mehrfamilienhäuser entstehen, in einem Quartier nebenan ein Gewerbegebiet und noch ein Quartier weiter eine Einkaufsmeile. Die verschiedenen Wohnformen müssen sich vermischen. Konkret: Büros sollten im gleichen Gebäude sein, wie einzelne Wohnungen und möglichst ein Café oder neben dem Gebäude ein kleiner Freiraum mit viel Grün. Die verschiedenen Räume und Menschen müssen sich begegnen können.
Ganz ähnlich beschreibt es Nikolas Müller, Professor an der Hamburger School oft Business Administration. Er spricht von der "Seele einer Stadt". Auf dem Reißbrett geplante Quartiere in vielen Großstädten haben seiner Meinung nach zu viel funktionale Aspekte und zu wenig Sozialräume geplant.
Mannheimer Studie zu Folgen "seelenloser Städte"
Menschen in Städten haben grundsätzlich ein zwei mal so hohes Risiko, schizophren zu werden, wie Menschen in ländlichen Räumen. Das ist ein Ergebnis einer Studie des Zentralinstituts für seelische Gesundheit in Mannheim. Demnach beeinflussen viele Faktoren das Seelenwohl. Das Ergebnis der Studie zeigt, dass vor allem wenig Grünflächen, wenig Raum für Erholung und wenig "kreative" Ziele Menschen einsam und krank machen können. Faktoren, die vor allem auf Großstädte - auch in Deutschland zutreffen. Städte wie Gelsenkirchen oder Duisburg wurden durchaus ähnlich funktional geplant wie Glasgow. In Deutschland wird immerhin seit vielen Jahren versucht, die damalige funktionale Planung durch Neuplanungen zu durchbrechen.
Wie moderne Stadtplanung konkret aussehen kann
Ein Glücksfall in dieser Hinsicht ist die Stadt Tübingen. Hier haben die französischen Alliierten Anfang der 90er Jahre bei ihrem Abzug einen ganzen Stadtteil hinterlassen. Die Stadt hat dieses Gebiet komplett umgeplant und vor allem die Ideen von Stadtplaner Jan Gehl Umgesetzt. Bis dahin war das Gebiet Kaserne für die Franzosen. 1991 ging das Gelände dann in den Besitz der Stadt über. Die Kommunalpolitik gab daraufhin Grünes Licht für die Schaffung von neue Wohnraum. Entstanden ist unter anderem ein Studentendorf mit Wohnheimen und vielen kleinen Läden und Cafés. Es wurde dabei übrigens nicht alles abgerissen. Einige Gebäude wurden saniert, andere entstanden neu. So wurde aus der früheren Panzerhalle eine offene Mehrzweckhalle, die häufig als Basketballfeld oder als Spielwiese benutzt wird. In den ehemaligen Pferdeställen sind heute Restaurants und Geschäfte untergebracht.
Neben Studenten ziehen auch viele junge Familien in das Quartier, zumal es eine eigene Kindertagesstätte und mehrere Spielplätze gibt. Inzwischen hat der Stadtteil, das sogenannte Französische Viertel, die höchste Bevölkerungsdichte der Stadt. Und trotzdem gilt es als besonders lebenswert. Denn unterschiedliche Bauherren formten sehr prägnante Gebäude. Die Häuser sind stark verwinkelt und mit natürlichen Elementen verbunden. Sowohl als Baustoff an den Häuserwänden (etwa großflächige Holzeinlangen) aber aber auch durch Gärten und Bäume. Ein weiteres auffallendes Highlight: Die bunten Farben der Gebäude.
Was passiert eigentlich, wenn ein Parkplatz tageweise für andere Zwecke genutzt wird? Ein großes Fest am Sonntag, ein Parkplatz als Beachvolleyball-Feld...
Mehrfachnutzungen machen Projekte lebenswert und günstiger
Was die Stadt Tübingen etwa mit ihrer früheren Panzerhalle gemacht hat, ist ein Trend, der in der Stadtplanung immer häufiger Einzug hält. Nämlich die Idee der Mehrfachnutzung von Flächen. Das spart nicht nur kostbaren Raum sondern auch Ressourcen. Vor allem aber entkommen Stadtplaner damit dem Korsett der Freizeitplanung, der immer enger wird. Eine vielseitige Nutzung eines Platzes kann dabei helfen, Dinge spontan zu tun, auf die Bürger gerade Lust haben.
Ein spannendes Projekt dazu gab es in Bern. Dort hat ein Unternehmen gemeinsam mit der Kommune ein Projekt gemeinsam mit Bürgern organisiert. Ein großer Parkplatz in der Stadt sollte für mehrere Zwecke genutzt werden. Denn realistisch parkten dort nur einige Stunden am Tag viele Autos. Insbesondere am Wochenende stand der Parkplatz leer, war ein grauer, langweiliger Ort mitten in der Stadt. Die Idee des Stadtplanungsunternehmens und der Stadtverwaltung für den großen Parkplatz in Bahnhofsnähe: Was passiert eigentlich, wenn ein solcher Platz tageweise oder auch mal wochenweise für andere Zwecke genutzt wird? So fand auf dem Parkplatz für einen Sonntag ein großes Fest mit vielen Bänken statt, an dem die Menschen essen konnten. Für einige Zeit wurde der Parkplatz als Beachvolleyballfeld umfunktioniert. An anderen Tagen wurde der Platz für Bürger und ihre Ideen "verschiedene Spiele darauf zu veranstalten" freigeben. Die Hoffnung der Planer: Die Menschen sollten erleben können, wie sie sich eine Leerstelle informell aneignen können, ohne dass die Nutzung bereits vorgegeben ist". Die Gestaltung des Lebensumfeldes selbst in die Hand nehmen, nannten sie das.
Freiraum - ein Thema, das gerade in Corona-Zeiten ohnehin ganz neue Bedeutung bekommen hat. Die Chance, solche neuen Ideen in die Stadtplanung zu integrieren, ist daher so groß und so nötig, wie nie zuvor.