Frank-Walter Steinmeier empfängt DStGB-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg im Schloss Bellevue
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Steinmeier: "Anfeindungen immer wieder Thema"

Immer mehr ehrenamtliche und hauptamtliche Kommunalpolitiker erleben Anfeindungen und sogar körperliche Angriffe. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beobachtet diese Entwicklung mit großer Sorge. Im KOMMUNAL-Interview spricht er über die Gefahr, dass sich immer mehr Ehrenamtliche zurückziehen und über seine Vorschläge, wie dem entgegengewirkt werden kann.

KOMMUNAL: Herr Bundespräsident, Beleidigungen und Bedrohungen, vor allem in den sozialen Medien, nehmen in jüngster Zeit deutlich zu. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Steinmeier: Ich beobachte diese Entwicklung mit großer Sorge. Auf meiner Deutschlandreise, also bei meinen Antrittsbesuchen in den 16 Bundesländern, habe ich mit vielen Kommunalpolitikern gesprochen, und da waren Anfeindungen gegen sie immer wieder ein Thema. Deswegen habe ich einige direkt betroffene Bürgermeister zu einem Gespräch nach Berlin eingeladen: die Bürgermeisterin von Zwickau sowie die Bürgermeister von Kandel und Elmshorn. Ich wollte mir von ihnen persönlich schildern lassen, welchen Anfeindungen sie ausgesetzt sind und wie sie damit umgehen. Sie haben mir eindrücklich berichtet, wie nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Familien bedroht oder in sozialen Medien übelst beschimpft worden sind. Das sind wirklich schwierige Umstände, unter denen sie und vermutlich viele andere inzwischen arbeiten müssen. Das Treffen in Schloss Bellevue diente dem Austausch, aber ich wollte ausdrücklich auch meine Wertschätzung denjenigen gegenüber zum Ausdruck bringen, die – allen Widrigkeiten zum Trotz – Verantwortung übernehmen in ihrer Gemeinde. Ich denke, sie haben gespürt, dass sie nicht alleine sind. Sie konnten von den Erfahrungen der anderen Bürgermeister lernen und Ideen mitnehmen, wie man künftig mit bedrohlichen Situationen umgeht.

Viele Bürger ahnen gar nicht, was in ihrer Gemeinde fehlen und nicht stattfinden würde, wenn es nicht die vielen ehrenamtlichen vor Ort gäbe." Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident

KOMMUNAL: Vielfach sind auch kommunale Mandatsträger und Mitarbeiter in den Verwaltungen oder ehrenamtlich Engagierte betroffen. Wie wird sich das Ihrer Einschätzung nach auf die lokale Demokratie und das Miteinander vor Ort auswirken?

Steinmeier: Solche Ereignisse tragen natürlich zur Gefahr bei, dass immer weniger Menschen bereit sind, in den Kommunen Verantwortung zu übernehmen. Einer solchen Entwicklung – die ja in manchen Regionen schon Realität geworden ist – müssen wir entgegenwirken. Ohne engagierte Menschen lassen sich Kommunen nicht regieren. Deshalb will ich diejenigen würdigen und unterstützen, die für politische Ämter kandidieren. Ein öffentliches Amt zu übernehmen, ist ein Schritt, der Anerkennung verdient. Eine Demokratie lebt davon, dass Menschen sich beteiligen. Ohne das Engagement von Haupt- und Ehrenamtlichen in Städten, Landkreisen und Gemeinden geht es nicht, nimmt unsere Demokratie Schaden. 

KOMMUNAL: Wie können wir diesen Tendenzen, die teilweise in tätlichen Angriffen münden, entgegenwirken?

Steinmeier: Es muss vollkommen klar sein: Für solche Angriffe gibt es überhaupt keine Rechtfertigung. Punkt. Man kann sich in der Sache streiten, aber für Bedrohungen oder gar Gewalt ist in unserer Gesellschaft kein Platz – und seien die politischen Auffassungen noch so unterschiedlich. Wo dennoch Angriffe passieren oder angedroht werden, müssen sie konsequent geahndet werden. Auch das müssen wir klarstellen. Es führt kein Weg daran vorbei, die Mühen der Ebene – und somit die Mühen des Föderalismus und der Demokratie insgesamt – immer wieder zu erklären.

Die Gefahr ist, dass immer weniger Menschen bereit sind, in den Kommunen Verantwortung zu übernehmen" Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident 

KOMMUNAL: Erfährt kommunales Ehrenamt und gesellschaftliches Engagement ausreichend Wertschätzung? Was brauchen wir außerdem, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken?

Steinmeier: Auf die erste Frage: ein eindeutiges Nein! Viele Bürger ahnen gar nicht, was in ihrer Gemeinde fehlen und nicht stattfinden würde, wenn es nicht die vielen engagierten Menschen vor Ort gäbe, die sich in die Pflicht nehmen lassen. Ich werde weiterhin kommunale Mandatsträger würdigen und unterstützen, wo immer die Möglichkeit dazu besteht. In diesem Mai habe ich zum Beispiel Thomas Eulenberger, der seit 1993 Bürgermeister im sächsischen Penig ist, einen Verdienstorden verliehen. Er setzt sich seit Jahren dafür ein, dass seine Kleinstadt ein  attraktiver Wohnort bleibt – mit Arbeitsplätzen, guter Infrastruktur und Dialogforen, die für eine lebendige Debattenkultur in der Stadt sorgen. Die Reaktion von Bürgermeister Eulenberger war symptomatisch für wahrscheinlich viele seiner Kollegen: Es geht ihnen weniger um den eigenen Namen, sondern um das Amt, das Respekt und Anerkennung braucht, damit sich auch morgen noch genug Frauen und Männer für solche Funktionen entscheiden. Das Thema Zusammenhalt ist so vielschichtig, dazu könnten wir noch ein eigenes Interview führen. Auf meiner Deutschlandreise habe ich einerseits oft die Befürchtung gehört, dass der Zusammenhalt in unserem Land erodiert. Andererseits habe ich auch immer wieder beeindruckende Beispiele gesehen, wo er gelingt – von der inklusiven Kita bis hin zum Hospiz, in dem Menschen, die sonst ganz allein wären, in ihren letzten Stunden Zuspruch finden. Solche Beispiele zeigen: Es sind die Kommunen, in denen Zusammenhalt tatsächlich gelebt wird. Deshalb werden mir Besuche in den Kommunen, in kleineren und größeren Städten, in meiner Amtszeit wichtig bleiben – zu den Schwerpunkten der nächsten Monate gehört etwa der ländliche Raum. Die Besuchsreihe beginnt im Juli und Aktive in den Kommunen können mir direkt erzählen, was sie bewegt.