Spätestens seit der Coronakrise ist die Suburbanisierung eingeläutet - das Landleben hat Zukunft, der Wunsch nach mehr Freiraum wächst
Spätestens seit der Coronakrise ist die Suburbanisierung eingeläutet - das Landleben hat Zukunft, der Wunsch nach mehr Freiraum wächst

Leitartikel

Boom auf das Landleben: So werden sich unsere Städte verändern

Die Zeit der Reurbanisierung ist vorbei, Suburbanisierung ist das Zeichen der Stunde. Das heißt: Wir brauchen viel mehr Grün in unseren Kommunen und gleichzeitig steigt der Bedarf an Wohnfläche. Ein Spagat für Städte und Gemeinden, meint Christian Erhardt.

Als wir vor neun Jahren unser Haus planten, war für mich ein eigenes Büro existenziell. Damals wurde ich dafür von Freunden und Kollegen eher belächelt. Zitat eines Freundes damals: „Ok, auf dem Land ist nen Zimmer mehr nicht so teuer, aber muss schließlich auch alles geputzt werden“. Der Freund wohnt heute in einer 2 Zimmer-Wohnung in Köln und schaut spätestens seit Corona in unseren Videokonferenzen ziemlich neidisch in mein Arbeitszimmer mit Blick auf die alte Eiche in meinem Garten. „Ich hab mich jetzt auch mal in den Dörfern der Landkreise im Umland umgeschaut, schon schick dort“, meinte er neulich. Tja, Zeiten ändern sich, Post-Corona wird mit der Zeit davor nicht vergleichbar sein. 

Wenn das eigene Zuhause Hauptaufenhaltsort für die ganze Familie ist, wächst der Wunsch nach Ruheinseln."

KOMMUNAL-Chefredakteur Christian Erhardt

Der Boom auf das Landleben sorgt für massive Veränderungen - wie Kommunen jetzt reagieren müssen

Doch darauf müssen Städte und Gemeinden reagieren. Und zwar schnell. Die Zeit der Reurbanisierung ist endgültig vorbei, es kommt zu einer Suburbanisierung. Raus aus den Städten, raus aufs Land. Schon vor Corona gaben bei einer Umfrage nur elf Prozent der Deutschen an, dass sie gerne in der Großstadt leben wollen. Aus dem Wunsch nach mehr Landleben wird nun ein Boom auf das Landleben werden. 

Gleichzeitig wird sich nach den Erfahrungen der Corona-Krise ein anderer Trend verstärken: Der nach steigender Wohnfläche. Schon heute lebt jeder Deutsche statistisch betrachtet auf 45 Quadratmetern, Tendenz seit Jahren weiter steigend. Gedämpft wurde der statistische Wert bisher nur durch einige Großstädte, in denen Wohnraum immer teurer wurde, Menschen daher nach kleineren Wohnungen suchten. Beim Planen des Hauses wird künftig die gemachte Erfahrung, dass Rückzugsmöglichkeiten wichtig sind, immer mitschwingen. Wenn das eigene Zuhause Hauptaufenhaltsort für die ganze Familie ist, wächst der Wunsch nach Ruheinseln. 

Und attraktiv wird das Landleben zudem vor allem durch die neuen technischen Möglichkeiten wie Home-Office. Womit wir wieder bei meinem Büroraum wären, in dem nicht zuletzt auch gerade dieser Text entsteht – bei schönem Wetter mit Blick auf die alte Eiche und einem Eichhörnchen, das gerade am Baum hochklettert. 

Ein Spagat: Mehr Grünflächen UND mehr bebaute Flächen? Wie wollen wir das Landleben organisieren? 

 

Dafür braucht es Platz, dafür braucht es in den Kommunen eine Diskussion um die Bebauung von Grünflächen. Ein Spagat, denn gleichzeitig wird das Dorf immer mehr zum Wohnzimmer werden. Sah man noch vor einiger Zeit meist „junge hippe, dauergestresste Stadtmenschen“ mit dem Latte-Macchiato Becher in der Hand durch die Stadt ziehen, sind es immer häufiger auch viele Eltern und Großeltern, die zwischendurch gerne das Stadtgrün nutzen, mit ihrem Kaffeebecher auf einer Parkbank verweilen, den Stadtpark zum Entspannen in der Mittagspause nutzen oder den Wald zum joggen. Das mediterrane Lebensgefühl hält langsam aber sicher auch Einzug zwischen Nordsee und Alpenvorland. Städte und Gemeinden tun also gut daran, mehr Bänke im Grünen zu organisieren, mehr Freiflächen zu begrünen, Kernstädte aufzuwerten, vom Verkehr zu befreien und vieles mehr. Das wird eine Mammutaufgabe werden. Die Menschen wollen ins Grüne ziehen, gleichzeitig aber die Vorteile der Stadt nicht missen. 

Dank der Bewegungsprofile und anderer Daten war es möglich, nicht gleich ganze Länder in den Shutdown zu schicken, sondern „nur“ einzelne Städte oder gar Stadtteile „herunterzufahren“.

Dazu gehört vor allem die Verkehrssituation. Während in den Städten der öffentliche Personennahverkehr eine feste Größe ist, gibt es auf dem Land weiter vergleichsweise wenige Angebote. Das zu ändern funktioniert im ländlichen Raum aber nicht mit der Brechstange. Diesen Fehler haben schon viele Großstädte gemacht. Weiter vollgestopfte Straßen zeugen davon, dass der „Verbotswahn“ wenig erfolgreich war. Der Versuch, Autos gegen Fahrräder und ÖPNV gegen Individualverkehr auszuspielen, ist gründlich daneben gegangen. In den Städten war es zumeist nur der Druck der verstopften Straßen, der einen Teil der Bürger auf Busse und Bahnen umsteigen ließ. Freiwilligkeit sieht anders aus. Freiwilligkeit geht nämlich nur mit den Bürgern zusammen. Auf dem Land gibt es den Druck der verstopften Straße in der Form nicht, der ÖPNV muss also mit Qualitäten punkten und nicht nur mit Alternativlosigkeit. Der Individualverkehr wird hier immer eine wichtige Rolle spielen und ist auch und gerade vor dem Hintergrund einer älter werdenden Bevölkerung auch nötig. Hier spielt uns die Digitalisierung in die Hände. Das autonome Fahrzeug wird hier die Revolution sein – als Individualverkehr ebenso wie als öffentliches Verkehrsmittel. 

Ohne Digitalisierung kein Landleben - warum smart Cities die Coronakrise besser überstanden haben...

Diese Digitalisierung muss sich jetzt vor allem auf dem Land beschleunigen. Denn eine Erfahrung aus der Coronakrise war doch auch, dass besonders smarte Städte, etwa in Südkorea oder Singapur sehr viel besser durch die Pandemie gekommen sind als andere. Dank der Bewegungsprofile und anderer Daten war es möglich, nicht gleich ganze Länder in den Shutdown zu schicken, sondern „nur“ einzelne Städte oder gar Stadtteile „herunterzufahren“. Eine effektive Methode, die zugleich die Entscheidungshoheit der Kommunen massiv stärkt und aufwertet. Genau das brauchen wir – die Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden vor Ort wissen am Besten, was zu tun ist und welche Maßnahmen wirklich sinnvoll sind!