
Arbeitgeber
Tarifabschluss: „Der zusätzliche freie Tag tut weh“
KOMMUNAL: Frau Welge, wie bewerten Sie den erzielten Tarifabschluss aus Arbeitgebersicht?
Karin Welge: Es waren langwierige und anstrengende Verhandlungen mit vier Runden und einer Schlichtung. Mit dem Ergebnis können wir Arbeitgeber gerade noch leben. Es ist kein billiger Abschluss geworden.
Welches Zugeständnis fiel den Arbeitgebern am schwersten?
Der zusätzliche freie Tag für alle tut uns als Arbeitgeber schon sehr weh. Denn im Moment sind wir in der Situation, dass jede Arbeitsstunde für uns zählt. Wir haben als Kommunen in den letzten Jahren viele neue Aufgaben dazu bekommen. Der Koalitionsvertrag mit einem Infrastrukturpaket wird uns noch mehr Aufgaben bescheren. Dafür brauchen wir kompetentes Personal. Jede verlorene Arbeitsstunde macht uns Sorgen.
Welche Belastungen entstehen konkret für die Kommunen?
Der neue Tarifvertrag gilt für 27 Monate. Wir rechnen für die Kommunen mit zusätzlichen Belastungen für das laufende Jahr und das Jahr 2026 von jeweils knapp unter 4 Milliarden Euro. Im Jahr 2027 liegen wir dann mit weiteren Tarifsteigerungen bei 10,5 Milliarden Euro Mehrbelastung jährlich.
Die Kommunen in Deutschland haben 2024 ein Rekorddefizit von 24,3 Milliarden Euro eingefahren. Wie sollen sie diese Personalkosten finanzieren?
Ich kann verstehen, dass Kommunen darüber klagen, der Tarifkompromiss überschreite die Schmerzgrenze. Die strukturelle Unterfinanzierung ist Fakt. Aber: Muss diese Unterfinanzierung refinanziert werden, indem das Personal nicht mehr an der Lohnentwicklung teilnimmt? Das kann nicht die Lösung sein. Arbeitgeber und Gewerkschaften mussten sich aufeinander zubewegen, um den öffentlichen Dienst attraktiv zu halten und gleichzeitig die angespannte Haushaltslage berücksichtigen.
Mit dem Ergebnis können wir Arbeitgeber gerade noch leben. Es ist kein billiger Abschluss geworden.
Was sagen Sie als Oberbürgermeisterin einer stark belasteten Stadt?
Es muss eine ganze Menge passieren, damit die tariflichen Lohnangleichungen auf Dauer finanzierbar sind. Das Thema Entbürokratisierung und Konnexität darf nicht nur im Koalitionsvertrag stehen, sondern muss mit Verve und Tatkraft angepackt werden. Die Frage der auskömmlichen Finanzierung der Kommunen muss in den nächsten Jahren intensiv mit Bund und Ländern diskutiert werden. Die Digitalisierung muss dazu führen, dass wir mit den gleichen Ressourcen mehr erreichen. Und es muss endlich Schluss sein mit den sehr kleinteiligen Förderprogrammen, die sehr viele Arbeitsstunden schlucken.
Wo sehen Sie besonders großen Handlungsbedarf?
Wir haben große Ungleichheiten bei den nominalen Ausgaben und den Refinanzierungsstrukturen. Ich wünsche mir eine viel stärkere Unterstützung auch bei der Flüchtlingsunterbringung und Integration, damit in der Bevölkerung nicht der Eindruck erweckt wird, dass die Aufnahme von Flüchtlingen zu Lasten der Bürger und der infrastrukturellen Angebote geht. Wir müssen dafür sorgen, dass der Verteilungskampf unter den Bevölkerungsgruppen nicht noch stärker zunimmt
Was erwarten Sie sich vom geplanten Infrastrukturpaket der Bundesregierung?
Wenn von dem Infrastrukturpaket nicht ausreichend bei den Kommunen ankommt, haben wir eine neue Verschuldungswelle vor uns. Die Kommunen haben doppelten Druck: Auch wegen der Zuwanderung müssen sie die Infrastruktur erweitern, gleichzeitig schieben sie einen Investitionsstau vor sich her. Und das in einer Zeit, in der sie zu wenig Personal haben.
Wie kann dem Personalmangel gegengesteuert werden?
Der Personalmangel trifft nicht nur den öffentlichen Dienst, sondern viele Branchen wie die Gastronomie, den Einzelhandel und industrielle Betriebe. Daher müssen wir sehr darauf achten, dass wir die Prozesse anpassen und Aufgaben vereinfachen und entschlacken. Und wir sollten noch mehr dafür werben, wie wertvoll es ist, für ein kommunales Unternehmen zu arbeiten. Wie sinnvoll es ist, dafür zu sorgen, dass das Leben für die Menschen gut funktioniert.
Sie treten als Oberbürgermeisterin bei den Kommunalwahlen im September trotzdem nicht mehr an. Warum?
Ich bin mittlerweile fast 39 Jahre im beziehungsweise um den öffentlichen Dienst herum tätig. Als Juristin war ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin am internationalen juristischen Institut in Saarbrücken und danach zwei Jahre im Bundestag tätig. Nach fünf Jahren als Dozentin an der Hochschule für Polizei und Verwaltung war ich 13 Jahre erste Beigeordnete in Xanten und bin nun fast 15 Jahre in Gelsenkirchen in leitenden Positionen. Und seit 2022, zusätzlich zu meinem Hauptamt, Präsidentin der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeber. Es gibt Momente, da überlegt man sich: Was bleibt vom eigenen Leben? Ich habe mich dazu entschieden, aufzuhören, weil ich gesundheitlich ein bisschen angeschlagen bin und endlich Zeit für mich und die Familie haben möchte.
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