Wirtshaussterben
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Rettet die Stammtische

Tipps gegen das Wirtshaussterben

Wirtshäuser müssen in den kommunalen Alltag einer Gemeinde eingebunden werden, sagen Experten. Das gilt für Versammlungen der Politik ebenso wie für Vereinstreffen. Wie Kommunen ihre Wirtshäuser aktiv unterstützen, zeigen unsere Beispiele aus Bayern.

Die bayerische Wirtshauskultur ist legendär und lange Zeit über war das Gasthaus neben der Kirche das gemeinschaftliche Zentrum eines Dorfes. Die Lage hat sich drastisch verändert. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes hat Bayern zwischen den Jahren 2006 und 2015 fast ein Viertel seiner Schankwirtschaften verloren und damit auch eine zentrale Institution im Leben der betroffenen Kommunen.  

23 Prozent aller Gasthäuser in Bayern haben zwischen dem Jahr 2006 und 2015 ihre Pforten für immer geschlossen!

Gaststätten retten: Das ist ein großes Thema in den kleinen Kommunen

Um ein weiteres Sterben der Wirtshäuser zu verhindern, wurde vom Bayerischen Wirtschaftsministerium im vergangenen Jahr das Gaststätten-Modernisierungs-Programm ins Leben gerufen, das über eine Brutto-Gesamtfördersumme von 30 Millionen verfügte. Antragsberechtigt waren „gewerbliche Unternehmen, die ein für jedermann zugängliches Gaststättengewerbe in Bayern“ betreiben, wobei das Förderprogramm explizit eher an kleinere Kommunen und Betriebe gerichtet war, wie Rudolf Escheu, der Leiter der Abteilung für Tourismus am Bayerischen Ministerium für Wirtschaft und Landesentwicklung berichtet. „Gerade im ländlichen Raum haben Gaststätten es oft schwer. Viele kommen gerade so über die Runden, aber vernachlässigen aus Geld- und Zeitnot die notwendigen Renovierungsarbeiten. Mit dem Förderprogramm soll gezielt die Modernisierung angeschoben werden, damit die Gaststätten stabil in die Zukunft gehen können und sowohl technisch als auch vom Ambiente her ein moderner Betrieb werden“, so Escheu. Der Ansturm auf das Online-Portal sei enorm gewesen, wie Escheu erzählt. „Wir wurden binnen weniger Minuten völlig überrannt. Das zeigt den Bedarf“. Und auch die Zielsetzung ging auf. So kamen über 50 Prozent der Anträge aus kleineren Kommunen, 84 Prozent aus dem ländlichen Raum insgesamt. Die angefragten Themen durch die Gaststätten waren dabei sehr breit und reichten vom Brandschutz über die Dachsanierung und die Erneuerung der Heizung bis hin zur Modernisierung der Kühlanlagen und Küchen.  

In so einem kleinen Ort wie Geratskirchen ist das Wichtigste die Kirche und direkt danach kommt das Wirtshaus"

Johann Gaßlbauer, Bürgermeister in Geratskirchen

Unter den ungefähr 280 Antragstellern waren auch 18 Kommunen, darunter die Marktgemeinde Ortenburg im Landkreis Passau, die seit dem Jahr 2019 Besitzer des Schlossgelände Ortenburgs und damit auch der dort ansässigen Schlosswirtschaft ist. Die verpachtete Gastwirtschaft lief gut, doch sowohl dem Pächter als auch der Gemeinde sei klar gewesen, dass man intensiv investieren müsse, um zukunftsfähig zu bleiben, wie Bürgermeister Stefan Lang berichtet. Küchentechnik, Toiletten, Brandschutz, Fenster… die Liste der notwendigen Sanierungsarbeiten war lang und eine alleinige Übernahme der Kosten von insgesamt 500.000 Euro wäre für die Kommune und in Umlage auch für den Pächter nur schwer zu stemmen gewesen. Umso passender kam das Förderprogramm. „Wir haben uns darauf perfekt vorbereitet und im Vorfeld mit einem Steuerberater und einem Architekten abgestimmt, um genaue Zahlen angeben zu können.“, so Lang. Das hat sich bewährt: So war die Gemeinde Ortenburg direkt nach Freischaltung des Portals im August 2019 unter den ersten Antragsstellern vertreten und bekommt nun die Maximal-Fördersumme von 200.000 Euro. Die Sanierung ist mittlerweile fast abgeschlossen und die Schlosswirtschaft ist für die nächsten 30 Jahre gut gerüstet, wie Bürgermeister Lang sagt. Zudem hätten sie als Kommune wichtige Erfahrungswerte bei der Beantragung einer derartigen Förderung gesammelt, die sie auch anderen Gaststätten in der Region zur Verfügung stellen könnten. 

Umbaumaßnahmen im Zentrum von Bodenmais: Hier entsteht ein modernes Gasthaus
Umbaumaßnahmen im Zentrum von Bodenmais: Hier entsteht ein modernes Gasthaus

Das Wirtshaus hat Zukunft

„Das klassische bayerische Wirtshaus im ländlichen Raum hat Zukunft“, davon ist Thomas Geppert, der Landesgeschäftsführer des Bayerischen Hotel- und Gaststätten-Verbands überzeugt. Ein Wirtshaus vor Ort trage wesentlich zur Lebens- und Standortqualität bei, sei nicht selten Dreh- und Angelpunkt des dörflichen Lebens und ein wichtiger touristischer Faktor. Gleichwohl ist ein rentabler Betrieb einer Gaststätte eine Herausforderung, wie Geppert bestätigt. So sei das Gastgewerbe sehr personalintensiv und es steigen zwar insgesamt die Umsätze, aber nicht die Rendite, weil die Personalkosten wachsen und auch die Kosten für die Bürokratie. Das direkte Investitions-Förderprogramm des Wirtschaftsministeriums sei entsprechend dringend nötig gewesen und in seiner Umsetzung für die Gastwirte eine große Hilfe. „Das Programm musste vor allem anwendbar und nutzbar sein“, so Geppert. Dies sei gelungen. „Die Betriebe konnten relativ breit investieren und so ihr Haus auf einen modernen Stand bringen oder die nächste Stufe erreichen.“  

Jede Besprechung, die nicht im Sitzungssaal, sondern im Wirtshaus abgehalten wird, trägt zur Wirtshauskultur bei.

Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des Bayerischen Hotel-und Gaststättenverbands

Auch wenn die Kommunen selbst selten finanziell fördern können, kommt ihnen aus Erfahrung von Geppert eine wichtige Bedeutung zu, wenn es um den Erhalt und die Pflege der Wirtshauskultur geht. Entscheidend sei, dass Hotellerie und Gastgewerbe von kommunaler Seite als bestehende Branchen wertgeschätzt würden, die wesentlich zur Standortqualität und touristischen Anziehungskraft eines Ortes beitragen. Entsprechend bedeutend sei in diesem Kontext ein kommunales Bemühen um die Wahrung der Innenstädte insgesamt, deren Teil die Wirtshäuser ja oft sind. „Ein Wirtshaus zu erhalten, ist extrem wichtig. Wenn die Struktur erst einmal tot ist, ist sie nur schwer wiederzubeleben“, so Geppert. Manches Mal würden die Bemühungen seitens der Kommune auch in die falsche Richtung gehen, wenn neben Gaststätten beispielsweise Vereins- und Bürgerheime errichtet und gefördert und so bestehende Strukturen kaputt gemacht würden. Zielführender sei eine Einbindung der Wirtshäuser in den kommunalen Alltag, etwa für Versammlungen oder Vereinstreffen. „Am wichtigsten ist ein gutes Miteinander: Jede Besprechung, die nicht im Sitzungssaal, sondern im Wirtshaus abgehalten wird, trägt zur Wirtshauskultur bei“, so Geppert.  

Auch in Bodenmais passierte viel Arbeit in "Eigenregie" und mit Hilfe von kleinen Handwerkern vor Ort
Auch in Bodenmais passierte viel Arbeit in "Eigenregie" und mit Hilfe von kleinen Handwerkern vor Ort

Das Wirtshaus ist wichtiger Anlaufpunkt für Vereine

Im 850-Einwohner-starken Dorf Geratskirchen im Landkreis Rottal-Inn in Niederbayern war ein solches Miteinander lange Zeit über selbstverständlich. Bis vor fünf Jahren gab es hier drei Gaststätten im Ort. „Darauf waren wir recht stolz“, erzählt Bürgermeister Johann Gaßlbauer. „In so einem kleinen Ort ist das Wichtigste die Kirche und direkt danach kommt das Wirtshaus“, sagt Gaßlbauer, und in Geratskirchen gelte das auch in der heutigen Zeit noch. So sei man nach dem sonntäglichen Kirchgang regelmäßig noch zum Frühschoppen gegangen und wurden auch private Feste mit der Familie beim Wirt gefeiert. Zudem war das Wirtshaus ein wichtiger Anlaufpunkt für die zahlreichen Vereine im Dorf. Senioren- und Pfarrnachmittage, Faschingsfeiern und Bürgerversammlungen wurden dort veranstaltet und auch in Anschluss an die Gemeinderatssitzung sei man geschlossen zum Wirt gegangen, so Gaßlbauer. Dann aber brachen der Reihe nach alle Wirtshäuser weg und als Mitte Dezember 2019 auch noch die „Hofmark“ überraschend schließen musste, war das ein herber Einschnitt. „Das hat uns ganz schön erwischt“, sagt der Bürgermeister. Weihnachtsfeiern wurden verschoben oder ganz abgesagt und das kommunikative Zentrum des Ortes lag plötzlich brach. Bis vier Mitglieder verschiedener Vereine des Dorfs eine Idee hatten. So drehten die vier ein originelles Video unter dem Motto „Dorf sucht Wirt“ und stellten dieses auf Youtube ein. Mit großem Erfolg: Knapp 47.000-mal wurde das Video mittlerweile geklickt und überregionale Medien berichteten. „Dass das so einschlägt, hat keiner gedacht“, sagt Gaßlbauer. Das Schönste aber sei, dass tatsächlich ein Wirt gefunden wurde. Der Pachtvertrag ist unterschrieben und ab 1. April hat das Gasthaus „Hofmark“ wieder geöffnet. „Finanziell sind uns seitens der Kommune leider die Hände gebunden“, bedauert Gaßlbauer. „Aber wir werden natürlich versuchen, den neuen Wirt bestmöglich zu unterstützen.“  

Unterstützung kommt von allen Seiten

Gaststätten: Tipps gegen das Wirtshaussterben

Umbaumaßnahmen im Zentrum von Bodenmais: Aus der „Alten Post“ wird die „Rote Res“  Quelle: Rote Res 

Wie eine solch ideelle Unterstützung seitens der Kommune konkret aussehen kann, zeigt sich im niederbayerischen Markt Bodenmais. Mitten auf dem Marktplatz steht dort das ehemalige Wirtshaus „Alte Post“, das lange Jahre lang verpachtet war und dann einige Zeit leer stand. Bis der junge Bodenmaiser Johannes Wagner das Anwesen erwarb und sich zusammen mit seinem Kollegen Michael Pelikan an die Renovierung machte. Zwei Jahre später ist aus der „Alten Post“ die „Rote Res“ geworden. Das renovierte Gebäude beherbergt nun eine Bar und eine Gaststätte, in der es unter der Woche jeweils einen Mittagstisch gibt, zu dem sich die Gäste vorher über eine Whatsapp-Gruppe anmelden. Abends kann man den Saal für Feiern und Veranstaltungen aller Art mieten, außerdem finden regelmäßig Konzerte statt. „Für uns ist das ein riesiger Glücksfall“, sagt der Bodenmaiser Bürgermeister Joli Haller zu der originellen Wiederbelegung des zentralen Gebäudes. Die gastronomischen Betriebe seien schließlich die Repräsentanten der Tourismus-Region und eine entsprechend wichtige Säule der ländlichen Entwicklung. Diese Wertschätzung haben Wagner und Pelikan unmittelbar zu spüren bekommen. „Der ganze Umbau wurde von der Bevölkerung sehr positiv begleitet“, erzählt Johannes Wagner. „Die Leute schätzen es, dass Einheimische das übernommen haben und keine Investoren von außerhalb“. Mittlerweile trägt sich das neue alte Wirtshaus im Herzen von Bodenmais und das Publikum sei dabei völlig gemischt, erzählt Wagner. Ihr vielseitiges Angebot werde dabei „total gut angenommen“. Das reiche vom 18. Geburtstag bis zur Senioren-Kaffeerunde und genau so solle es auch sein. „Bodenmais ist ein super schöner Ort und es gibt hier einen großen Zusammenhalt im Ort. Viele regionale Handwerker unterstützen uns bei Problemen und auch seitens der Gemeinde bekommen wir jederzeit Hilfe, wenn wir sie brauchen.“ So habe es beispielsweise keine Probleme mit Genehmigungen gegeben und wenn in der Vergangenheit bestimmte Maschinen oder etwa die Buden für den Weihnachtsmarkt benötigt wurden, konnten die beiden auf die Unterstützung durch den Bauhof zählen. Außerdem hilft die Gemeinde bei der Werbung für Konzerte in der Roten Res und hält auch immer wieder selbst Veranstaltungen in den neusanierten Räumlichkeiten ab. „Sie halten uns den Rücken frei und unterstützen uns“, bringt Wagner es auf den Punkt. Auf dieser Basis können die Wirte erfolgreich in die Zukunft gehen.