
US-Rückzug
Die Zukunft verteidigen - mehr Souveränität wagen
Wenige Tage vor der Bundestagswahl am 23. Februar sprach ich mit befreundeten Rechtsanwälten über die Folgen der zweiten Amtszeit von Donald Trump für Deutschland und Europa. Das Gespräch kreiste um die Frage, wo wir in Zukunft noch sicher leben können. In den USA, weit weg von Russland, Ukraine und Deutschland? Mit Donald Trumps zweiter Amtszeit wird die Zeitenwende für Europa zur doppelten Herausforderung. Europa wird von zwei autoritären Systemen in die Zange genommen, von Russland und den USA. Sehr viel wird jetzt von der neuen Bundesregierung und den Mitteparteien CDU/CSU und SPD abhängen. Ein Zurück in die alte Zeit oder eine Garantie der Gegenwart wird nicht funktionieren, auch wenn im Wahlkampf fast überall das „Wieder“ dominierte. „Holen wir uns die Zukunft zurück!“, plakatierte eine kleine europäische Partei.
Welt und damit auch Europa in einem globalen, neuem Krieg
Deutschland braucht jetzt eine starke, europäisch denkende Führung mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme und attraktiven Zukunftsvision. Die ehrliche Bestandsaufnahme: Die Welt und damit auch Europa befindet sich längst in einem globalen, neuen Krieg. Trump und Putin haben zu Beginn des Jahres 2025 einen Pakt geschlossen zulasten Dritter, mit dem Ziel, Europa neu aufzuteilen. Trump braucht Russland gegen China und opfert dafür die Ukraine, demnächst wahrscheinlich auch das Baltikum und mehr. Der neue Kalte Krieg wird für uns alle teurer und unsicherer als der alte vor 1989. Europa wird die „Sprache der Macht“ (Ursula von der Leyen) lernen und neben den USA und China selbst Hegemon werden müssen. Europas bisheriges Erfolgsmodell - „Welfare and Workfare“ (Wohlstand und Arbeit) – braucht ein altes Additiv: Warfare. Es geht um das Behaupten von Souveränität in einer Zeit des permanenten Ausnahmezustands. Unser Modell der Sozialen Marktwirtschaft muss innen- wie außen- und sicherheitspolitisch verteidigt werden. Sicherheit, Freiheit und Verteidigungsfähigkeit werden zu einer umfassenden Zukunftssicherheit.
Deutschland und Europa müssen souveräner werden
Die Zukunftsvision muss daher lauten: Wir müssen souveräner werden: digital, ökonomisch und staatlich. Digital müssen wir unabhängiger werden von US-amerikanischen Anbietern und eine eigene europäische Cloud entwickeln. Es geht um massive Investitionen in Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz, Kernfusion, Biotech, Robotik und Quantencomputing.
Ökonomisch geht es um ein neues Geschäftsmodell. Wenn die USA als Sicherheitsgarant und Russland als Energielieferant ausfallen, wird Europa mehr in seine kritischen Infrastrukturen und Verteidigung und Energiesicherheit investieren müssen. Ausgaben für Rüstung haben erhebliche Effekte auf Konjunktur, Arbeitsplätze und Wachstum. 200 Milliarden Euro Sondervermögen bedeutet ein BIP-Anstieg um 120 bis 300 Milliarden Euro. Deutschland mit seiner starken Industrie würde besonders profitieren. Der Strukturwandel in der Automobilindustrie und dem Maschinenbau könnte mehr als kompensiert werden. Zusätzliche Investitionen in Verteidigung führen zu positiven Folgen für Innovationen in anderen zivilen Branchen wie dem Gesundheitswesen.
Auch das Ziel der Klimaneutralität trägt zu Zukunftssicherheit und Souveränität bei. Eine breite Allianz von Bundesnachrichtendienst, Bundeswehr und Klimainstituten hat jetzt vor den Folgen bestehender Abhängigkeit von fossilen Energien gewarnt. Die USA sind der größte Flüssiggas-Exporteur der Welt, die jährlichen Kosten für den Import von fossilen Brennstoffen betragen für Europa rund 400 Milliarden US-Dollar. Wenn Europa souveräner und unabhängiger werden will, muss es den Ausbau von erneuerbaren Energien beschleunigen.
Mehr Souveränität wird Hunderte Milliarden Euro kosten. Geld, das die öffentlichen Haushalte allein nicht stemmen können. Es braucht privates Kapital, das an den Aktien- und Anleihemärkten, in Unternehmen und bei den meisten Bürgern reichlich vorhanden ist. Großbritannien hat jetzt vorgeschlagen, nach dem Vorbild der Europäischen Bank für Wiederaufbau eine Bank für europäische Wiederaufrüstung zu gründen, mit dem Ziel, privates Geld in zehnfacher Höhe zu mobilisieren.
Staatsreform als Win-win für Bund, Länder, Kommunen
Demokratisch geht es um einen leistungsfähigen und wehrhaften Staat, mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Gefühl von Selbstwirksamkeit. Eine radikale Staatsreform wäre ein Win-win für alle, Bund, Länder und Kommunen. Die KI-Revolution wird einen neuen Typ Staat schaffen, der motiviert und weniger kontrolliert, der auf Eigenverantwortung und nicht auf Paternalismus setzt.
Das massenhafte Abwandern der gewerkschaftlich organisierten Industriearbeiter bei der Bundestagswahl weg von SPD und CDU/CSU hin zur AfD zeigt, dass große Teile der Bevölkerung das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der demokratischen Mitteparteien verloren haben. Für die hart arbeitende Mitte der Gesellschaft braucht es spürbare Entlastungen bei Abgaben und Preisen. Energie- und Lebensmittelpreise liegen bis zu 40 Prozent teurer im Vergleich zu 2021. Wenn die neue Bundesregierung die arbeitende Mitte der Gesellschaft zurückgewinnen will, braucht es neue Prioritäten im Bundeshaushalt unter der Überschrift „Arbeit statt Alimentation“. Mit fast 10 Milliarden Euro Elterngeld subventioniert der Steuerzahler Besserverdienende und nicht Bedürftige. Scheut die Koalition den Konflikt mit ihrer Wählerklientel kann sie auch die Methode Rasenmäher und Kettensäge wählen: Kürzen staatlicher Subventionen um 50 Prozent für alle.
Zukunft selbst gestalten
Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist dann am stärksten, wenn jeder das Gefühl hat, dass es gerecht zugeht und er und sie einen Unterschied machen und einen Beitrag leisten können. So war das zu Beginn der Corona-Pandemie und des Überfalls Russlands auf die Ukraine, als kalte Wohnungen und Energieausfälle drohten. Jeder trug etwas bei, sparte und kümmerte sich, Wirtschaft, Bürger und Politik. Fast alle hatten das Gefühl, dass sie ihre Zukunft selbst gestalten und in der Hand haben. Wenn wir frei bleiben und in Sicherheit leben wollen, müssen wir jetzt anpacken und auf einen klugen parteiübergreifenden Patriotismus setzen: Europa, Wohlstand und Zusammenhalt. Dann, nur dann, wird der extreme Populismus zurückgehen und die Wähler wieder zur Mitte streben. Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung könnte sich das im letzten Jahr verabschiedete Grundsatzprogramm zum Vorbild nehmen und den Titel wählen „In Freiheit leben. Deutschland sicher in die Zukunft führen.“ Die SPD als Koalitionspartner wird noch ein „… und sozial“ ergänzen.
Zukunft sichern heißt Europa stärken, die Wirtschaft beleben und die soziale Sicherheit wiederherstellen. Wir müssen sie zurückholen und verteidigen, unsere Zukunft.
Dr. Daniel Dettling ist Zukunftsforscher und leitet das von ihm gegründete Institut für Zukunftspolitik. Sein aktuelles Buch heißt: „Eine bessere Zukunft ist möglich. Ideen für die Welt von morgen (Kösel Verlag).