Interview
Weihnachtsmärkte in Gefahr - wie Kommunen den Brauch retten können
Terrorgefahr und Bürokratie - das sind die neuen Realitäten in Sachen Weihnachtsmärkte in Deutschland. Magdeburg, Overath - Immer häufiger scheitern Weihnachtsmärkte nicht an der Stimmung, sondern an der Sicherheitslage. Nach dem Anschlag in Magdeburg prüfen Behörden nun jedes Detail – von Zufahrten über Fluchtwege bis hin zu Betonpollern.
Doch absolute Sicherheit? „Die gibt es nicht“, sagt Erhardt-Maciejewski im Gespräch. „Wer aufhört zu leben aus Angst zu sterben, kann nichts gewinnen.100 Prozent Schutz wird es nie geben.“
Kleine Märkte vor dem Aus
Besonders hart trifft es die Kleinen. Denn auch sie müssen inzwischen dieselben Sicherheitsauflagen erfüllen wie Großstädte – inklusive Gutachtern, Plänen und teuren Sperranlagen.
In Dresden stiegen die Sicherheitskosten von 800.000 auf über 4 Millionen Euro. Für viele kleinere Orte ist das unbezahlbar. „Da stehen vielleicht 1.000 Besucher fünf Tagen lang auf dem Platz – aber das Sicherheitskonzept kostet mehr als der ganze Markt einbringt“, warnt Erhardt-Maciejewski.
Genussmarkt statt Weihnachtsmarkt?
Einige Städte versuchen, das Problem zu umgehen – mit einem Trick: Sie nennen ihren Weihnachtsmarkt einfach „Genussmarkt“. Dann gilt er rechtlich als Wochenmarkt – mit deutlich einfacheren Genehmigungen. Klingt clever, ist es aber nur bedingt.
Denn wer „Genussmarkt“ sagt, muss regionales Essen und Trinken in den Vordergrund stellen - Kunsthandwerk darf nun einen ganz kleinen Teil ausmachen, eine Bühne ist auf Genussmärkten verboten. „Ein Kinderkarussell – und schon ist die Umwidmung hinfällig“, so Erhardt-Maciejewski.
Zudem lauert die Bürokratiefalle: „Hängt trotzdem irgendwo ein Plakat mit ‚Weihnachtsmarkt‘, kann die Genehmigung wieder einkassiert werden.“ Eine Dauerlösung sei das nicht.
Wenn Angst selbst zum Risiko wird
Doch die Angst vieler Bürger könnte dazu führen, dass die Besucher selbst dann ausbleiben, wenn der Weihnachtsmarkt doch noch genehmigt wird. "Je sichtbarer die Sicherheitsmaßnahmen, desto größer das Unsicherheitsgefühl. Betonpoller, Gitter und bewaffnete Streifen lösen bei vielen Besuchern eher Beklemmung aus als Vertrauen."
„Wer den Markt genießen will, sollte einfach früher hingehen, wenn es nicht so voll ist“, rät Erhardt. „Und sich nicht verrückt machen lassen – die statistische Gefahr bleibt gering.“
Rettet die Weihnachtskultur!
Erhardt-Maciejewski fordert stattdessen politische Lösungen: Weihnachtsmärkte sollen als immaterielles Kulturerbe anerkannt werden. Dann müssten Behörden ihren kulturellen Wert stärker berücksichtigen – und es gäbe sogar Fördermittel.
Außerdem plädiert er für einen Sicherheitsfonds für Weihnachtsmärkte, gespeist aus Kultur- und Tourismusbudgets der Länder. Denn Terrorabwehr sei keine kommunale, sondern eine Bundesaufgabe.
„Die Kommunen stemmen ein Viertel aller staatlichen Leistungen, erhalten aber nur ein Siebtel der Einnahmen“, so Erhardt-Maciejewski. „Wenn der Bund Sicherheit verlangt, muss er sie auch bezahlen.“
Glühwein im Wald? Eher nicht.
Und die Idee vom „wilden Weihnachtsmarkt im Wald“, ganz ohne Bürokratie? Klingt romantisch – funktioniert aber kaum. Kein Strom, keine Infrastruktur, keine Besucherlenkung.
„Das mag für eine Studentenparty passen, aber nicht für eine Stadt“, sagt Erhardt-Maciejewski mit einem Augenzwinkern.
Weihnachten darf nicht zum Sicherheitsopfer werden
Sicherheitskonzepte sind wichtig – aber sie dürfen unsere Kultur nicht ersticken. Weihnachtsmärkte sind mehr als Glühwein und Bratwurst. Sie sind Begegnung, Zusammenhalt, Heimatgefühl.
„Wir müssen wieder Mut zur Besinnlichkeit haben – und den Weihnachtsmarkt nicht totregulieren.“
Das komplette Interview können Sie hier noch einmal nachhören: