Was tun gegen den Ärztemangel? Wir haben angehende Ärzte gefragt, was sie sich von Kommunen wünschen
Was tun gegen den Ärztemangel? Wir haben angehende Ärzte gefragt, was sie sich von Kommunen wünschen
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Wir zeigen Konzepte

Ärztemangel: Landarzt verzweifelt gesucht!

In Deutschland sind Tausende von Arztsitzen unbesetzt, in vielen Praxen arbeiten die Mediziner bis weit über die Pensionsgrenze hinaus. Was der Ärzte-Nachwuchs der Politik rät – und wie mehrere Kommunen zusammenarbeiten.

Der Traum eines jeden Bürgermeisters in einer ländlichen Region: Ein junger Arzt meldet sich: Er möchte gerne im Ort eine Hausarztpraxis eröffnen. Der Taufkirchener Rathauschef Stefan Haberl erkennt die Chance für seine Gemeinde sofort – und setzt alle Hebel in Bewegung, den 35-jährigen bei seinem Plan zu unterstützen. „Als er bei mir angefragt hat, war das wie ein Sechser im Lotto“, sagt der Bürgermeister.

 Sebastian Hartmann hatte als angestellter Arzt in einer Hausarztpraxis in Erding gearbeitet. Seit Januar dieses Jahres ist er in Taufkirchen nun selbstständig. Er sagt: „Ohne die Unterstützung durch den Bürgermeister und die Gemeinde hätte ich mich hier nicht niedergelassen können.“ Taufkirchen ist zwar eine ländliche Gemeinde und Sebastian Hartmann hat sich bewusst für ein Leben als Landarzt entschieden. Doch anders als vielerorts auf dem Land sind die Mieten in der 10.500-Einwohner-Kommune im Landkreis München nicht gerade niedrig.   „Eine Hausarztpraxis erwirtschaftet bei weitem nicht die Gewinne einer Facharztpraxis“, sagt der junge Mediziner.  Dennoch wollte er schon immer gerne Hausarzt werden. „Ich will die Menschen, wenn möglich, bis an ihr Lebensende begleiten.“ Schon sein Vater war Landarzt in Neumarkt in der Oberpfalz. Bereits in den ersten Tagen als neuer Hausarzt in Taufkirchen bekam Sebastian Hartmann zu spüren, dass die Menschen dankbar sind - dafür, dass er jetzt da ist. „Im Ort gibt es noch weitere drei Hausarztpraxen“, erzählt Sebastian Hartmann.  „Alle haben einen Aufnahmestopp.“ Einige der Ärzte sind zudem alle schon weit über 60 Jahre. Ihn schockierte, dass viele seiner Patienten jahrelang bei keinem Arzt mehr waren. „Allein in der ersten Woche fischte ich drei schwere Fälle heraus, darunter einen Patienten mit einem akuten Tumor.“   

Ärztemangel

Ärztemangel: So sieht es aktuell aus 

In Deutschland fehlen laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung derzeit mehr als 15.000 Ärzte. Bis 2035 werden jedes Jahr rund 9000 Mediziner und Medizinerinnen aus dem Beruf ausscheiden, prognostiziert das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Vereinigung.  

„Die Menschen in Taufkirchen haben mich super aufgenommen“ erzählt Sebastian Hartmann. „Am häufigsten höre ich den Spruch: Mit ihnen werde ich alt.“ Mittlerweile kommen immer mehr ganze Familien zum „neuen Doktor“.  Der sagt: „Genau das ist es, warum ich Hausarzt werden wollte: Ich kann für die Menschen da sein von Kindheit an, in zehn Jahren kommen sie dann als Jugendliche und später als Erwachsene zu mir. Ich kenne die Eltern und die Großeltern und weiß um die Krankengeschichten in der Familie.“  In einem medizinischen Versorgungszentrum hätte er hingegen nicht gern gearbeitet, auch wenn dort die Arbeitszeiten geregelt sind. „Für die Patienten hat das aber den Nachteil, dass er zwischen den Ärzten wechseln muss.“

Wie hat die Gemeinde den Nachwuchsmediziner konkret unterstützt? „Ich konnte meine Praxis zu günstigen Konditionen in ehemaligen Arzträumen im Gebäude einer örtlichen Bank eröffnen“, berichtet Hartmann. „Als Zwischenlösung. Danach kann ich mit meiner Praxis ins Gemeindehaus einziehen, das in drei Jahren fertig sein soll.“ Die Gemeinde will dort auch den Kindergarten und die Hebammenpraxis und ein Zentrum der Familie unterbringen. „Alle haben für das Zukunftsprojekt an einem Strang gezogen“, betont der junge Arzt. Er wohnt mit seiner Familie weiterhin in Erding und möchte nach Taufkirchen ziehen, die Grundstücke werden aber bevorzugt an Einheimische vergeben, sagt er. Seine Wünsche an kommunale Entscheidungsträger: „Unterstützen Sie interessierte Ärzte, wie sie nur könne – bei der Praxisgründung und bei der Suche nach Wohnraum.“  Sebastian Hartmann hat sich auf die Landarztprämie des Landes Bayern beworben. 60.000 Euro bekommt er als Anschubfinanzierung, wenn alles gut geht.

Hätte er sich auch vorstellen können, in eine Praxis einzusteigen, in der noch der bisherige Arzt oder die bisherige Ärztin praktiziert? Da kommt ein klares Nein. „Das wäre für mich keine Option gewesen, denn die Praxen sind zum Teil technisch veraltet und somit mit hohem Investitionsbedarf. Ich möchte in meiner Praxis komplett papierlos arbeiten.“  Seine Patienten bekommen nichts mehr in die Hand gedrückt, allerdings funktioniert das – wie überall - mit der elektronischen Krankschreibung noch nicht so richtig. Es dauert noch viel zu lange, bis der Arbeitgeber die Krankschreibung bei den Kassen abrufen kann. In der Praxis von Sebastian Hartmann bekommen die Patienten – ob jung oder alt – keinen Ersterfassungsbogen mehr übergeben, sie füllen die Daten zu ihrer Person und Krankengeschichte direkt auf dem Tablet aus. „Wir helfen dabei auch, aber selbst Patienten mit 90 Jahren schafften das bislang problemlos“, erzählt Hartmann. Es ist also auch im Medizinbereich ein klarer Standortvorteil, wenn eine Kommune über ein stabiles und schnelles Internet verfügt. Was wünscht sich der junge Mediziner noch von der Politik? „Es muss vorausschauender geplant werden“, sagt er. „Solange genügend Arztsitze besetzt sind, gilt eine Region nicht als unterversorgt. Doch oft sind die Ärzte schon älter und wollen demnächst in den Ruhestand gehen. Erst dann aber wird ein Nachfolger zugelassen.“ Wenn sich dann länger keiner finde, gehe die Region in die Unterversorgung. „Die Menschen sind die Leidtragenden.“

Ärztemangel am Beispiel Brandenburg 

Allein in Brandenburg sind derzeit 300 Hausarztsitze unbesetzt. Und das Problem wird sich verschärfen, wenn nicht massiv gegengesteuert wird. „Die Patienten werden immer älter und damit behandlungswürdiger und der demografische Wandel macht auch vor unseren Ärzten nicht Halt“, beschreibt Christian Wehry, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung in Brandenburg, das wachsende Problem.  „Wir rechnen damit, dass allein in unserem Bundesland in den kommenden Jahren 600 Hausarztstellen nachbesetzt werden müssen, weil die Ärzte aus Altergründen aufhören wollen.“ Er sagt: „Aus den Kommunen hören wir immer wieder: Ihr müsst uns jetzt einen Arzt schicken.“ Doch: „Wir haben keine Warteliste mit Ärzten, die sich hier niederlassen wollen. Der Ärztemangel ist nicht mehr nur das Problem von ländlichen, abgelegeneren Gegenden.“

In Guben, einer Kleinstadt in der brandenburgischen Niederlausitz, sind derzeit ganze sieben Hausarztsitze unbesetzt. „Ich kenne keine einzige Kommune im Landkreis Spree-Neiße, die nicht einen Arzt sucht“, sagt Bürgermeister Fred Mahrow. Längst setzt man in dieser Not auf interkommunale Zusammenarbeit. „Wir sind in einem ständigen Austausch untereinander“, sagt Mahrow. Die „Medizinische Einrichtungsgesellschaft“, ein Tochterunternehmen des örtlichen Krankenhauses, bietet zudem gebündelt Dienstleistungen für Fachärzte an. „Damit wird den Ärzten die Bürokratie komplett abgenommen“, erläutert er. Die Gesellschaft organisiert Praxisräume und hilft bei der Suche nach Wohnraum und Kitaplätzen. „Die Ärzte und Ärztinnen haben damit mehr Zeit, zwischen den Orten zu pendeln.“ Zudem vergeben der Landkreis und die Stadt eigene Stipendien an Medizinstudenten.

Ansiedlung von Ärzten und die Frage der Infrastruktur und der Verkehrsanbindung 

Jahrzehntelang wurden Deutschland viel zu wenig Ärzte ausgebildet. Nach Berechnungen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung fehlen mittlerweile deutschlandweit pro Jahr bis zu 6.000 Studienplätze. Inzwischen haben viele Bundesländer umgesteuert. Brandenburg hatte sogar komplett auf die Ausbildung von Medizinern verzichtet und verließ sich da ganz auf die Charité in Berlin. 2014 eröffnete dann die private Medizinische Hochschule Theodor Fontane in Neuruppin mit vier Standorten im Land. Die Initiative zur Hochschule ging von den Kommunen aus und so halten kommunale Betriebe wie das Städtischen Klinikum Brandenburg GmbH oder das Universitätsklinikum Ruppin-Brandenburg GmbH in Neuruppin Anteile. Mit dabei sind unter anderem auch Berliner Kliniken der Diakonie. 2021 verließen die ersten 36 ausgebildeten Ärzte die Hochschule, heute studieren hier rund 400 Studenten Medizin.

Betti Bartel kommt jetzt ins 3. Semester.  Die 20-Jährige ist gebürtige Brandenburgerin und in Oranienburg großgeworden. „An der Hochschule in Neuruppin zählt nicht in erster Linie die Abiturnote, sondern auch andere Fähigkeiten wie soziale Kompetenz“, sagt die Medizinstudentin. Betti Bartel bekommt über ein Landarztstipendium 1000 Euro im Monat und das bis zum Ende der Regelstudienzeit. “Nach Abschluss der Studienzeit muss ich innerhalb von sechs Monaten meine Facharztausbildung beginnen, erläutert sie, Im Gegenzug für die finanzielle Unterstützung hat Betti Bartel sich dazu verpflichtet, nach ihrer Facharztausbildung mindestens fünf Jahre in Brandenburg als Ärztin tätig zu sein. Sie will später nicht in einer großen Stadt arbeiten. „Ich würde sehr gerne im Landkreis Oberhavel tätig sein, könnte mir aber auch vorstellen, nach Templin in die Uckermark zu gehen.“  Auch sie träumt von einer eigenen Praxis. „Viele meiner Kommilitonen fragen sich, ob sie sich das je leisten werden können und werden den Schritt in die Selbständigkeit nur mit Unterstützung wagen.

Was ist ihrer Ansicht nach noch wichtig, um junge Ärzte zu gewinnen? „Wer sich auf dem Land ansiedelt, braucht dringend eine gute Verkehrsanbindung“, sagt sie.  „Denn dann lässt sich medizinisch ein größerer Raum abdecken.“ Wenn Betti Bartel ihren Facharztausbildung hinter sich hat, ist sie mindestens 30 oder 31. Viele Frauen wünschen sich dann ein Kind.  Dann ist für sie auch wichtig, dass es einen Platz in der Krippe und später im Kindergarten und in der Schule gibt.  Zwei Drittel der Medizinstudenten in Deutschland sind inzwischen weiblich. Die Kommunen sollten vor allem auch die Bedürfnisse von jungen Müttern und Vätern im Blick haben, meint Betti Bartel.