Der Flächenbrand wird immer größer - wieder tritt ein Bürgermeister aus Angst zurück, ein anderer beantragt aus Angst einen großen Waffenschein. Die Fälle der Bedrohungen auf Kommunalpolitiker werden immer mehr...
Der Flächenbrand wird immer größer - wieder tritt ein Bürgermeister aus Angst zurück, ein anderer beantragt aus Angst einen großen Waffenschein. Die Fälle der Bedrohungen auf Kommunalpolitiker werden immer mehr...

Diskussion um Waffenscheine

Wieder gibt ein Bürgermeister aus Angst auf

Er ist seit acht Jahren ehrenamtlich in der Kommunalpolitik tätig - die Bürger in Estorf vertrauen ihm, wählten ihn zum Bürgermeister. Arnd Focke ist genau das, was man einem "Kümmerer" nennt. Seit Mitte Dezember erhielt er Morddrohungen, nachts gab es Telefonterror, sein Auto wurde mit Hakenkreuzen beschmiert. In NRW hat derweil ein Bürgermeister einen großen Waffenschein beantragt - aus Angst, zum Selbstschutz.

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Keine Frage - Bürgermeister bekommen schon seit vielen Jahren immer mal wieder den Hass einzelner Bürger zu spüren. Sie sind erster Ansprechpartner, wenn in der Gemeinde etwas nicht so läuft, wie es sich die Einwohner wünschen. Das Ausmaß der Beschimpfungen und Beleidigungen gegenüber Bürgermeistern und anderen Kommunalpolitikern hat in den vergangenen fünf Jahren aber in erschreckendem Maße zugenommen. Das hat nicht zuletzt im vergangenen Sommer eine Umfrage von KOMMUNAL unter mehr als 1000 Bürgermeistern ergeben. Immerhin 2 Prozent aller Bürgermeister wurden demnach in Deutschland schon körperlich angegriffen. Das sind mehr als 200 Bürgermeister.

Bürgermeister erhielt nächtliche Anrufe und Drohungen 

Diese Welle des Hasses und der Gewalt hat seit einigen Wochen auch der ehrenamtliche Bürgermeister von Estorf erlebt. Arnd Focke musste Hakenkreuze auf seinem Auto ertragen, wurde nachts mit Telefonterror attakiert und erhielt Drohungen. Auslöser dieser massiven Drohungen war offenbar ein Ratsentscheid über die Erhöhung der Grundsteuer. Zumindest begannen zu diesem Zeitpunkt die Attacken. Doch, wie in so vielen Fällen, spielt auch bei Arnd Focke offenbar das Internet wieder eine große Rolle. Wer seinen Facebook-Kanal studiert findet schnell kritische Äusserungen des SPD-Politikers zur AfD. Er kritisiert darin den Fremdenhass und den Rassismus der Partei. "Damit habe ich mir nicht nur Freunde gemacht", sagt Focke. Es kam zu Drohungen. So fand sich in seinem Briefkasten ein Zettel mit der Aufschrift "Wir vergasen dich wie die Antifa" In der Sache ermittelt inzwischen der Staatsschutz. 

Schon an Silvester hatte er daher auf Facebook indirekt seinen Rücktritt angekündigt. Beim Neujahrsempfang der Gemeinde wurde Focke nun ganz deutlich. Die Lokalzeitung zitiert seine Rede wie folgt: "Die Nazis werden mich nicht los. Ich werde meine Stimme weiter erheben gegen alles, was rechts ist." Gestern nun bedankte er sich auf seinem Facebook-Kanal bei den Bürgern seiner Gemeinde für die Anteilnahme und zitierte den im KZ hingerichteten Theologen Dietrich Bonnhoefer.

privater Facebook-Kanal von Arnd Focke
privater Facebook-Kanal von Arnd Focke

Am Abend äusserte sich Arnd Focke dann auch im NDR Fernsehen zu seinem Rücktritt. Er äusserte sich darin auch zu einer möglichen Sogwirkung auf andere Bürgermeister. Wichtig sei ihm, dass er "keinesfalls andere dazu verleiten möchte, zu früh aufzugeben". Das Interview haben wir auf unserem Facebook-Kanal verlinkt. https://www.facebook.com/kommunal.magazin/

Ein Bürgermeister aus NRW hat einen Waffenschein beantragt 

Der Fall aus Niedersachsen ist zu Jahresbeginn leider wieder mal kein Einzelfall. Trotz Schwerpunktstaatsanwalten und einigen Gesetzesänderungen, die in Kürze in Kraft treten sollen, fühlen sich viele Mandatsträger weiter im Stich gelassen. Ein Bürgermeister, der darum bittet, dass sein Name nicht veröffentlicht wird, hat nun einen großen Waffenschein zur Selbstverteidigung beantragt. Zuvor hatte die Polizei den Waffenschein bereits abgelehnt. Hintergrund ist, dass große Waffenscheine nur in ganz wenigen Fällen und in besonderen Situationen ausgegeben werden. Rechtlich betrachtet darf nicht "nur das subjektive Sicherheitsgefühl" durch den Waffenschein erhöht werden, es muss eine "objektive Erhöhung der Sicherheit" geben. Da viele Bürgermeister in der Vergangenheit - wie etwa im Fall des Bürgermeisters von Altena, Hollstein - aus nächster Nähe mit Messern angegriffen wurden, würde in einer solchen Situation auch ein Waffenschein die Sicherheit möglicherweise nicht erhöhen. Das Anliegen ist also sehr genau durch die Staatsanwaltschaft zu prüfen.

Sicher ist in dem Fall des Bürgermeisters aus NRW, dass die Polizei in der Umgebung seines Hauses bereits seit längerem vermehrt Streife fährt. Zumindest die Bedrohung ist auch hier also alles andere als "gefühlt". Das Verwaltungsgericht in Düsseldorf soll in zwei Wochen über den Antrag des Bürgermeisters verhandeln und eine Entscheidung fällen. 

Aus der Politik und von Kommunenvertretern kommen jedoch bereits kritische Stimmen. So sagt NRW Innenminister Reul, er halte nichts davon, wenn sich "Privatpersonen und Mandatsträger" bewaffnen. Kritisch sieht es auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg: "Die Pistole in der Jackentasche des Mandatsträgers ist keine Lösung. Es ist aber ein Signal, dass mehr für die Sicherheit von Kommunalpolitikern getan werden muss". 

Aktuell gibt es einen Referentenentwurf für eine Verschärfung der Gesetzeslage. Demnach soll unter anderem Politiker-Stalking unter Strafe gestellt werden. Vor allem aber soll Hass und Hetze im Internet - etwa auf Facebook oder Twitter - deutlich besser verfolgt werden. KOMMUNAL hat den Gesetzesentwurf vorliegen. Alle Hintergründe zu den Plänen erfahren Sie in unserem Beitrag: "Gesetz gegen Hass im Netz steht"

Kachel Bürgermeister

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