Antrag auf Waffenschein
Bürgermeister in Todesangst
Ein Waffenschein ist eigentlich eine absolute Ausnahme und wird nur in besonderen Fällen ausgegeben. Wenn ein Mensch damit seine Sicherheit tatsächlich erhöhen kann, weil er sonst mit einem Mord rechnen muss. Hoheitsträger im Gesetz nennt sich das im Amtsdeutsch. Genau das scheint bei dem Bürgermeister von Kamp-Lintfort, einer 37.000 Einwohner Stadt in Nordrhein-Westfalen, der Fall zu sein. Bürgermeister Christoph Landscheidt hat seinen Fall nun öffentlich gemacht. Im Ergebnis dürfte die Gefahr für ihn sogar noch größer werden. Kurz nach seinem "Outing" hatten Rechtsextremisten eine Demonstration in der Stadt für den nächsten Tag angekündigt.
Die Demonstration fand am Samstag, 11. Januar dann auch tatsächlich statt, begleitet von einer spontanen Gegendemonstration. Um es kurz zu machen: 1. Die Demonstrationen liefen friedlich ab und 2. Schafften es die Neonazis, gut 20 Teilnehmer für ihre Demo zu organisieren. Auf der Gegenseite sympathisierten sich mit dem Bürgermeister je nach Angaben zwischen 700 und 1000 Teilnehmer. Viele äusserten zwar Bedenken gegen seinen Wunsch auf einen Waffenschein, wollten aber dennoch ihre Solidarität mit Christoph Landscheidt bekunden.
Der Waffenschein war auch Thema des Neujahrsempfangs der Stadt
Am Tag nach der Demonstration fand am Sonntag, 12. Januar auch der schon länger geplante Neujahrsempfang der Stadt Kamp-Lintfort statt. Auch hier äusserte sich der Bürgermeister mit deutlichen Worten zu den Vorfällen.
"Faschismus ist keine schützenswerte Meinung, sondern demokratie- und verfassungsfeindliche Menschenverachtung", so Landscheidt wörtlich. Und weiter: "Das Hauptproblem für die Zukunft der Demokratie ist nicht der rechtsradikale, faschistische Mob auf der Straße, sondern die Vertreter derjenigen Partei, die jetzt schon in den Parlamenten sitzen und diesem rechtsradikalen, faschistischen Potential eine vermeintlich demokratische Stimme geben wollen". Markante Worte, die ihm viel Applaus einbrachten.
Schon zuvor hatte Landscheidt in einem öffentlichen Brief seine Gründe für den Antrag auf den Waffenschein begründet. KOMMUNAL liegt der Brief vor, anbei dokumentieren wir das Schreiben.
Waffenschein nach Bedrohungen durch Rechtsradikale nötig
"Es hat schon zahlreiche Situationen gegeben, in denen die Polizei zu spät kam", so Landscheidt zur Begründung. Speziell für diese Notwehrsituationen habe er den Waffenschein beantragt. "Ich will Angriffen gegen mich und meiner Familie nicht schutzlos ausgeliefert sein. Ich habe nicht vor, in Texas Manier bewaffnet durch die Straßen zu ziehen", so Landscheidt.
Der 61 jährige weiß auch rechtlich, wovon er spricht. Denn er war selbst Richter. Daher hat er gegen die Ablehnung des Waffenscheins auch geklagt. Das Düsseldorfer Amtsgericht verhandelt am 21. Januar über den Fall. Er wird deutschlandweit von Bürgermeistern und Amtsträgern mit großem Interesse verfolgt.
Die Bedrohung jedenfalls ist nicht subjektiv, sondern objektiv vorhanden, ist sich der Bürgermeister sicher. Auslöser für die Drohungen durch Rechtsextremisten war eine Maßnahme des Bürgermeisters im Europa-Wahlkampf im Mai vergangenen Jahres. Damals ließ er volksverhetzende Plakate abhängen. "Seither werde ich aus der rechten Szene bedroht", so Landscheidt.
Rechtsextreme haben nun für Samstag zu einer Demonstration aufgerufen. Spontan wurden heute mehrere Gegendemonstrationen kurzfristig angemeldet, berichten lokale Medien.
Landscheidt äusserte auch Kritik an den Medien, die seinen Namen veröffentlich hatten. Er wollte eigentlich anonym bleiben. KOMMUNAL hatte darauf in den vergangenen Tagen ebenfalls hingewiesen und immer nur von "einem Bürgermeister aus NRW" gesprochen.
Dennoch begrüße er die angestoßene Diskussion über die Sicherheit speziell von Kommunalpolitikern. Sie könnten nicht vergleichbar - wie Landes- und Bundespolitiker gegen persönliche Angriffe geschützt werden.
Landscheidt gilt in Kamp-Lintfort als überaus beliebt. Bei der Bürgermeisterwahl hatte er 87 Prozent der Stimmen erhalten.
Der Brief des Bürgermeisters im Wortlaut
Persönliche Erklärung von Bürgermeister Prof. Dr. Christoph Landscheidt:
Entgegen vielfältiger Berichterstattung trifft es nicht zu, dass der Bürgermeister von Kamp-Lintfort beabsichtigt, in Zukunft in Texas-Manier bewaffnet durch die Straßen zu ziehen. Das ist absurd und nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht. Fakt ist, dass ich seit dem Europa-Wahlkampf im Mai des Jahres, bei dem ich volksverhetzende Plakate habe abhängen lassen, massiv aus der rechten Szene bedroht werde. Das trifft nicht nur mich, sondern bekanntermaßen eine Reihe meiner Kolleginnen und Kollegen in gleicher Weise.
Ich habe größtes Vertrauen in die Polizei und respektiere selbstverständlich das Gewaltmonopol des Staates. Aufgrund zahlreicher Erfahrungen, Vorfälle und Gefährdungssituationen in der jüngsten Vergangenheit hat es allerdings konkrete Situationen in meinem privaten und beruflichen Umfeld gegeben, in denen polizeiliche Hilfe nicht rechtzeig erreichbar gewesen wäre und auch in Zukunft nicht erreichbar sein würde. Speziell für diese konkret benannten außergewöhnlichen Notwehrsituationen - die niemals in öffentlichen Veranstaltungen oder im Kontakt mit Bürgern oder Dritten zu sehen waren - habe ich den Waffenschein beantragt, um Angriffen gegen mich und meine Familie nicht schutzlos ausgeliefert zu sein. Dieses Recht ist speziell für Hoheitsträger im Gesetz vorgesehen.
Auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass die beteiligten Institutionen und die Presse – wie es das Gesetz in diesem Ausnahmefall vorsieht – meine Persönlichkeitsrechte besser gewahrt hätten, begrüße ich die angestoßene öffentliche Diskussion über die Sicherheit speziell von Kommunalpolitikern, die nicht wie Landes- und Bundes Politiker gegen persönliche Angriffe vergleichbar geschützt werden können.
Hinzu kommt, dass ich es für politisch und rechtlich für nicht vertretbar halte, wenn gegen Bürgermeister, die volksverhetzende Plakate abhängen, ihrerseits wegen Sachbeschädigung und Wahlfälschung ermittelt wird, während das Verfahren wegen Volksverhetzung und anderer Delikte kurzerhand eingestellt wird. Eine wehrhafte Demokratie ist auf die breite Akzeptanz der Menschen angewiesen. Das verlangt, dass die vorhandenen gesetzlichen und rechtlichen Möglichkeiten gegen Verfassungsfeinde und Straftäter auch ausgeschöpft werden!
Ich bedanke mich für die vielfältige Solidarität, die ich gerade in den letzten Stunden erfahre!