Ein Landkreis will mehr Möglichkeiten zum Schutz vor Corona haben und will den Katastrophenfall ausrufen
Ein Landkreis will mehr Möglichkeiten zum Schutz vor Corona haben und will den Katastrophenfall ausrufen
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Aufstand gegen Landesregierung

Corona: Landrat und Bürgermeister wollen Katastrophenfall ausrufen

Die Nerven liegen blank in Thüringen. Einem der Bundesländer mit den höchsten Inzidenzen in Deutschland. Der Landkreis Nordhausen und die Stadt Erfurt wollen daher ihre Schulen vor Weihnachten früher schließen und die Hoheit über Krankenhäuser zu bekommen. Am Freitag soll dafür der Notstand ausgerufen werden. Was das bedeutet...

Der Katastrophenfall ist in Deutschland vor allem von Überflutungen bekannt. Wikipedia weiß zu dem Feststellen des Katastrophenfalls zu berichten: "Das Feststellen des Katastrophenfalles ist in Deutschland eine öffentlich-rechtliche Entscheidung und obliegt dem Hauptverwaltungsbeamten (in der Regel der Landrat oder Oberbürgermeister in kreisfreien Städten). Mit Erklärung der Katastrophe gehen die Einsatzleitung und die Kostentragungspflicht auf dessen Behörde über. Ab diesem Zeitpunkt kann von den Ermächtigungen der jeweiligen Landeskatastrophenschutzgesetze Gebrauch gemacht werden. Die Entscheidung hat immer auch erhebliche finanzielle Folgen. Die Erklärung oder Nicht-Erklärung des Katastrophenfalls kann weitreichende juristische Konsequenzen haben."

Soweit die Theorie - möglich ist das Ausrufen des Katastrophenfalls natürlich auch während einer Pandemie. Und genau diese Ultima-Ratio wollen an diesem Freitag (17. Dezember) der Landrat aus Nordhausen, Matthias Jendricke und der Oberbürgermeister. von Erfurt, Andreas Bausewein ziehen. Der Grund: Die aus ihrer Sicht viel zu zögerliche Haltung von Rot-Rot-Grün im Thüringer Landtag. "Bisher befasst sich die Landesregierung lieber mit Kinkerlitzchen und verbietet auch noch den letzten Glühweinstand in Thüringen, anstatt sich mit der tatsächlichen Problemlage zu befassen", so Matthias Jendricke. 

Katastrophenfall würde aus Sicht der Kommunalpolitiker 2 Probleme lösen 

Konkret wollen die beiden in den Schulen die Weihnachtsferien faktisch um eine Woche vorziehen. Wird am Freitag der Katastrophenfall ausgerufen, könnten sie ab dem darauffolgenden Montag (20. Dezember) die Schulen per Allgemeinverfügung vorzeitig schließen. Damit sollen vor allem deutlich höhere Infektionszahlen über Weihnachten verhindert werden. Seiner Lokalzeitung rechnete Jendricke bereits in der vergangenen Woche die Konsequenzen vor: "Wir hatten gestern im Kreis 165 Neuinfektionen, darunter wieder viele Schüler und da geht dann die ganze Klasse in Quarantäne. Das kann ihnen natürlich auch am 17.12. noch passieren. Aber eine Woche später, also pünktlich zum 24.12., kann man sich nach einem positiven Befund per Schnelltest Freitesten und ist nicht von möglichen Quarantänemaßnahmen über die Feiertage betroffen, was die Familien weniger belastet“, erklärt Jendricke der NNZ. Außerdem könnten in seinem Landkreis die Labore die zahlreichen PCR Tests schon jetzt nicht mehr abarbeiten.

Zweiter Hebel, den der Landrat mit dem Ausrufen des Katastrophenfalls nutzen will, ist die Hoheit über die Einweisungen ins Kreiskrankenhaus. Im vergangenen Jahr musste in der Südharz-Klinik über Weihnachten und Neujahr ein Krisenstab gebildet werden, um den Betrieb zu gewährleisten. Der Grund: die Kliniken des Umlandes leiteten über die Feiertage Krankentransporte und Rettungswagen nach Nordhausen um. Aus Sicht von Jendricke warn das aber nicht in erster Linie lebensbedrohliche Notfälle sondern oftmals "Normalpatienten". Jendricke dazu in der NNZ: "Es kann nicht sein, dass alle ins Fest gehen und unsere Kliniken und ihre Mitarbeiter baden das dann aus. Die normale Belegung hat in den anderen Krankenhäusern stattzufinden.“

Wenn Nordhausen den Katastrophenfall ausruft, müssen sich Krankentransporte und Rettungswagen von außerhalb vor der Anfahrt bei der örtlichen Leitstelle anmelden. So kann die Klinik den Zulauf konkret steuern. Der Landkreis kann sich somit über die sonst üblichen Zuständigkeiten hinwegsetzen. 

Katastrohenfall: Der Countdown läuft 

Noch hoffen sowohl der Landrat als auch Erfurts Oberbürgermeister auf ein Einlenken der Landesregierung. Einen konkreten Forderungsplan haben die beiden bei einem gemeinsamen Krisengipfel in Erfurt schon erstellt. Viel Hoffnung haben sie aber nicht. Jendricke wörtlich am Rande des Krisengipfels: "Wenn wir uns auf das Land verlassen, sind wir verlassen". Bausewein ergänzt: „Wenn das Land nichts tut und nur auf Wunder wartet, müssen wir selbst reagieren. Sonst verlieren wir komplett die Kontrolle.“



Beide gehen davon aus, dass weitere Landkräte und Oberbürgermeister aus Thüringen ihrem Beispiel folgen und möglicherweise ebenfalls den Katastrophenfall ausrufen. Jena könnte eine solche Stadt sein. Der dortige Bürgermeister beklagt ebenfalls seit Tagen, dass das Land die Weihnachtsferien nicht vorziehen will. "Unsere Entscheidung ist klar, wir gehen jetzt unseren eigenen Weg", sind Jendricke und Bausewein entschlossen. Jendrickes Pläne: "Ich werde am 17. Dezember den Katastrophenfall ausrufen, der dann bis Anfang des Jahres gilt." 

Update: Landrat hat festen Willen erneut bekräftigt 

In dieser Woche stellte sich der Landrat auch im Kreistag in Nordhausen erneut der Debatte. Im Kreisausschuss bekräftige Jendrisch noch einmal, dass der Landkreis am Freitag definitiv den Katastrophenfall ausrufen werde und nannte nähere Einzelheiten. 

Vorgesehen ist demnach, bis zur 6. Klasse die Präsenzpflicht in der Schule aufzuheben und ab Klasse 7 den Betrieb komplett einzustellen. Es soll aber eine Notbetreuung geben. Für Kindergärten gilt die Regelung nicht, denn hier gibt es ohnehin keine Pflicht, die Kinder zu schicken. Zur Begründung sagte der Landrat erneut: Nordhausen habe weiterhin niedrige Todeszahlen, niedrige Inzidenzen und die höchste Impfquote in Thüringen direkt nach Erfurt und Weimar. Auch bei den Booster-Impfungen ist man vorne mit dabei, gehöre ebenfalls zu den Besten im Bundesland. Hintergrund: Thüringen hat landesweit inzwischen noch vor Sachsen die höchsten Inzidenzzahlen und gleichzeitig eine der niedrigsten Impfquoten. 

UPDATE vom 17. Dezember! 

In letzter Sekunde haben Nordhausen und Erfurft auf das Ausrufen des Katastrophenfalls verzichtet, nachdem das Land Thüringen eingelenkt hat. Sie finden unseren aktuellen Artikel mit allen Gründen hier: