Nicht alle Älteren sind Hilfsbedürftig - doch gerade diejenigen, die Hilfe bräuchten, nehmen Sie - nicht nur in der Corona Krise, nicht an. Woran liegt das?
Nicht alle Älteren sind Hilfsbedürftig - doch gerade diejenigen, die Hilfe bräuchten, nehmen Sie - nicht nur in der Corona Krise, nicht an. Woran liegt das?

Hilfe? Nein danke!

Corona: Warum Ältere oft keine Unterstützung wollen

28. April 2020
Jeder will helfen, nur die Alten gehen nicht hin. Trotz beachtlicher Solidarität vieler Menschen gerade während der Coronakrise stehen Hilfsinitiativen vor dem Problem, dass sich viele Ältere gar nicht helfen lassen wollen. Die meisten, für die die Unterstützung gedacht ist, bleiben fern. Woran liegt das? Ein KOMMUNAL- Gastbeitrag von Susanne Kutz, Leiterin des Bereichs Alter und Demografie der Körber-Stiftung und Karin Haist vom Projekt für demographische Zukunftschancen.

1400 zu 80. Das sind siebzehneinhalb Hilfsbereite, die sich einen älteren, Hilfe suchenden Menschen teilen müssen. Nicht nur bei der Corona Nachbarschaftshilfe Hamburg sind sie derzeit gesucht, die Älteren, die sich auf Aushänge, Zeitungsartikel oder bei Hotlines melden sollen, wenn sie beim Einkaufen oder anderen Alltagserledigungen Unterstützung brauchen. Und das Beispiel ist keine exotische Erscheinung in einer Metropole. Es ist ein flächendeckender Befund, der zwischen Landau und Bremerhaven Irritationen auslöst: Jeder will helfen, und die Alten gehen nicht hin. 

Es ist großartig, dass sich in Krisenzeiten blitzgeschwind eine beachtliche Solidarität und Hilfskultur entwickelt hat für die vielen isolierten alten Menschen, die in der Pandemie nicht mehr aus ihren Wohnungen dürfen. Junge, mittelalte und ältere Bürger sind zur Stelle, denn einkaufen, Sachen rauf- und Müll runtertragen, das kann jede und jeder und das ist auch ohne viel Zeitaufwand spontan zu erledigen. Die Hilfeinitiativen und Nachbarschaftsnetzwerke der Wohlfahrtsverbände, Freiwilligenagenturen oder öffentlichen Träger haben großen Zulauf, aber eben: immer nur auf der Seite der Helfer. Die meisten, für die die Unterstützung gedacht ist, bleiben ihr fern. Woran liegt das? 

Nicht erst seit Corona gilt: Alter ist kein Zeichen von Schwäche! 

Die heute über 80jährigen, ganz besonders die Frauen, gehören zu der Nachkriegsgeneration, die erzogen wurde, nicht schwach zu sein und unbedingt selbst zurecht zu kommen. Zähne zusammenbeißen, sich nichts anmerken lassen und auf sich selbst vertrauen, das galt ein Leben lang. 

Alt sein ist nicht gleichbedeutend mit hilfsbedürftig. Immer mehr Menschen arbeiten über das Rentenalter hinaus, viele engagieren sich in Vereinen und Schulen, stellen einen Großteil der Kulturkonsumenten. Sie unterstützen mit Zeit und Geld ihre Kinder und Enkel. Sie nutzen die Bildungsangebote von Volkshochschulen bis Universitäten, sind in Parteien und sozialen Bewegungen aktiv oder gründen sogar nach dem Erwerbsleben eigene Unternehmen. 

Die wichtigste Erkenntnis, um das Fernbleiben der Alten von den Hilfsangeboten zu verstehen, ist aber, dass es „die Alten“ gar nicht gibt. Zur Corona-Risikogruppe zählen „Menschen ab 50 oder 60“ – das umfasst bis zu drei Generationen! Mehr als jeder Vierte in Deutschland ist über 60 Jahre alt. Und die Menschen dieser großen Altersspanne sind so verschieden, wie sie es während ihres ganzen Lebens waren. Gleichwohl: Es gibt innerhalb der verschiedene Altersgenerationen auch Menschen, die Hilfe brauchen, gerade auch in Zeiten von Corona. Um die Vereinsamten und die Hochbetagten machen sich dieser Tage viele Sorgen. „Wir nutzen alles, was technisch geht, um an die ältere Frau und den älteren Mann zu kommen“ berichtet Andreas Hannig, Leiter des Referats Altenhilfe der Stadt Kassel und fragt: “Was ist aber mit denen, die keinen Zugang zum Internet haben, die keinen PC, kein Tablet, kein Smartphone besitzen, keine Tageszeitung lesen? Wir wissen, dass wir diesen Personenkreis nur schwer oder vielleicht auch gar nicht erreichen.“ 

Die Kommunen sind der Schlüssel - wie Hilfe für Ältere nicht nur in der Corona-Krise koordiniert werden kann 

Was also ist zu tun, um Hilfe für alte Menschen zu leisten, wo sie gebraucht wird, und andererseits die vielen neuen Hilfsangebote für Ältere nicht ins Leere laufen zu lassen? Wir glauben: Das wissen die am besten, die auch außerhalb dieser besonderen Zeiten für die Versorgung und Teilhabe der Älteren vor Ort zuständig sind: die kommunalen Schlüsselfiguren für Altenhilfe in der Verwaltung, den Einrichtungen und Verbänden. Sie wissen oder werden zuallererst in Erfahrung bringen, wer Not leidet – und ob Einkaufshilfen im Zweifel ausreichen. Die Stadt Kassel ist dabei, alle Menschen über 75, die allein leben, ausfindig zu machen, um sie anzuschreiben. Es gelte jetzt, so Andreas Hannig, „die tradierten niedrigschwelligen ‚Komm‘-Angebote der Offenen Altenhilfe so zu modifizieren, dass sie auch unter den gegenwärtigen restriktiven Bedingungen die Zielgruppen erreichen“. Und dafür werden neue, proaktive Kommunikationskanäle erprobt: Verwaltung und Stadtteilzentren rufen ihre Zielgruppen an und führen Fenster- und Balkongespräche. „Das funktioniert vor allem kleinteilig und quartiersbezogen“, weiß Andreas Hannig. 

Die aufsuchende, präventive Betreuung älterer Mitbürger ist allerdings vielerorts Neuland. Anders beispielsweise ist das in Dänemark, wo jeder Bewohner zum 75. Geburtstag ein briefliches Angebot der Stadt zum persönlichen Besuch erhält. Wer zustimmt, kann zu Hause oder an einem öffentlichen Ort einen Mitarbeiter der zuständigen Sozialbehörde treffen. Ziel sind regelmäßige, verbindliche Verabredungen darüber, wie die Besuchten auch im Alter eigenständig leben und gesellschaftlich teilhaben können. 

Hilfe für Senioren - Beispiele aus dem Sauerland und Großbritannien 

Auch die Koordination der vielen bürgerschaftlichen Hilfeangebote für Ältere ist bei der Verwaltung und den Verantwortlichen der Altenhilfe in besten Händen. Die Fachstelle Zukunft Alter der Stadt Arnsberg in Sauerland hat das mit einer zentralen Hotline verbunden und mit dem wöchentlichen Versand des Online-Magazins „Zukunft Alter Aktuell“. Es ist bei Bedarf auch ausgedruckt erhältlich. 

Information, Abstimmung und Kooperation, das sind angesichts der Hilfewelle in Corona Zeiten die zentralen Aufgaben, die zu leisten sind, damit Hilfe ankommt, keine Doppelstrukturen entstehen und die große gesellschaftliche Solidarität auch nach der Pandemie Früchte trägt. In Großbritannien steht diese Idee hinter der nationalen „Connection Coalition“, die von der Joe Cox Foundation, dem Britischen Roten Kreuz, dem Innovationsfonds NESTA und anderen gegründet wurde: Man will die vielen neuen kreativen Nachbarschaftshilfen und lokalen Netzwerke zur Zusammenarbeit bewegen und aus dem Austausch von Erfahrungen, Ideen und Instrumenten langfristig den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken. Auch das ist ein Gedanke, der die Hilfe für ältere Bewohner in Deutschlands Kommunen begleiten sollte: Was sich in der Krise an Neuem bewährt, kann auch nach der Pandemie Maßstäbe setzen für lokale Altersfreundlichkeit. Und das gilt für innovative Hilfsangebote zugunsten bedürftiger älterer Menschen ebenso wie für die großen Potenziale an Hilfsbereitschaft und Kompetenz, die Ältere für gesellschaftliche Solidarität selbst einbringen.