Zukunft Kommunen

Zukunftsforscher blickt nach vorn

Das kommt auf die Kommunen zu

Das Jahr 2020 ist da. Doch: was bedeutet es für Kommunen? Welche Trendthemen warten? Welche Rolle nimmt die lokale Politik ein? Und wie wird sich der ländliche Raum verändern? Wir haben beim Zukunftsforscher Matthias Horx nachgefragt!

KOMMUNAL: Herr Horx, mit Ihrem Team zusammen haben Sie den Zukunftsreport 2020 herausgegeben. In diesem schreiben Sie, dass die kommunale Ebene in Zukunft wichtiger wird als die nationale. Wieso sehen Sie das so? 

Matthias Horx: Probleme wie etwa der Klimawandel, der Umweltschutz oder der erstarkende Populismus bestimmen seit längerem die gesellschaftliche Debatte. Allerdings kann die Politik auf internationaler sowie nationaler Ebene nicht schnell genug Lösungen finden, und dort polarisiert sich Politik. . Die Bürger wenden sich deshalb immer mehr dem Lokalen, also der kommunalen Ebene zu und erhoffen sich hier schnellere Reaktionen. Somit wird die Sehnsucht nach unmittelbarer Demokratie immer größer und der Druck auf die Kommunalpolitik wächst. Und in diesem Sinne nehmen insbesondere Bürgermeister eine neue Rolle ein.

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Inwiefern?

In Polen beispielsweise sieht man das ganz klar am Sieg der liberalen Bürgermeister in den Städten, die im klaren Kontrast zum populistischen Land stehen. Und auch in den USA zeigt sich der Trend: Als Trump als Präsident gewählt wurde und sich vom Klimaschutz verabschiedet hat, sind ihm die Bürgermeister nicht gefolgt, sondern haben ganz im Gegenteil ihr Engagement fürs Klima erhöht. Und damit zeigt sich, dass es eine Disparität in der Politik gibt zwischen nationaler und lokaler Ebene. 

Und was bedeutet das für den Bürgermeister der Zukunft?

Bürgermeister haben immer eine überparteiliche Rolle. Und auf der Ebene von Städten und Gemeinden sieht man, dass reine Parteipolitik nicht funktioniert. Auf lokaler Ebene sollte nicht polarisiert werden,  das wäre aus meiner Sicht das Ende der Kommunen. Stattdessen ist entscheidend, dass der Bürgermeister eine ergreifende gemeinsame Zukunfts-Vision für seinen Ort entwickelt und diese nach außen kommuniziert. Ohne Vision haben Kommunen keine Zukunftschance. Das zeigt sich insbesondere in den Orten, die von Schrumpfungsprozessen gekennzeichnet sind. Fehlt die Idee von Veränderung, geht der Zusammenhalt verloren und es beginnt ein Erosionsprozess, der nicht mehr zu stoppen ist. Um das zu verhindern, braucht es vor allem visionäre Bürgermeister. In einigen Teilen von Ostdeutschland ist das teilweise schon gelungen. Hier konnte durch großartige Ideen schon so manche Depression gestoppt werden.

Welche Rolle werden Frauen in der Kommunalpolitik einnehmen? 

In Metropolen wie Madrid, Barcelona oder Rom regieren zum ersten Mal Bürgermeisterinnen und es zeigt sich, dass sie höhere Akzeptanzwerte in der Bevölkerung erreichen. Auch in kleineren Städten könnten sich in Zukunft mehr Frauen durchsetzen. Denn auf kommunaler Ebene arbeiten sie oftmals produktiver und machen tendenziell eine weniger skandalisierte Politik. Und genau dieses Bewusstsein braucht es auch in der Zukunft.

Welche Rolle wird die Digitalisierung im Jahr 2020 spielen?   

Immer wieder wird behauptet, dass die Digitalisierung viele Probleme von Städten und Gemeinden lösen kann. Aber letztlich ist es nicht die Technik per se, die über den Erfolg einer Region entscheidet, sondern es sind die sozialen Beziehungen. Also wie sich die einzelnen Gruppen zueinander verhalten und wie sie miteinander kooperieren. Soziale Beziehungen werden aber auch in Zukunft nicht durch Digitalisierung entstehen, aber Technik kann den Zusammenhalt in der Gemeinschaft verstärken. Kommunen, die Digitalisierung unter diesen Gesichtspunkten einsetzen, werden auch in Zukunft punkten können.

Und wie schafft man eine starke Gemeinschaft?

Wenn junge Menschen wegziehen und nur noch die Alten im Ort bleiben, geht oftmals das soziale Beziehungsgeflecht in die Brüche. Und wenn dann noch hinzukommt, dass Menschen nicht wirklich in die Dorfgemeinschaft integriert sind, entsteht das Gefühl von Einsamkeit. Das hat politische Konsequenzen: Denn Menschen, die sich nicht mehr verbunden fühlen, werden wütend und neigen dazu, sich zu radikalisieren. Das beste Mittel gegen Einsamkeit ist deshalb ein aktives Vereinsleben, weil es Menschen wieder zusammenbringt und ihnen eine gemeinsame Aufgabe gibt. Letztendlich sind es gerade dörflichen Strukturen, die für eine hohe Lebenszufriedenheit sorgen. In beliebten Großstädten wird genau das auch adaptiert. Zum Beispiel in Form von Kiezen oder neuen Siedlungsformen wie Co-Living und Co-Working-Spaces. Letztendlich muss sich die Kommunalpolitik der Zukunft also immer die Frage stellen: Wie können wir Vereine vor Ort unterstützen? Wie können wir die Menschen sonst noch zusammenbringen? Wie gehen wir vor Ort mit Minderheiten um? Und wie unterstützen wir die Kreativen? Die Verwaltung wird also weniger passiv, sondern viel mehr aktiv arbeiten müssen.

Am Anfang unseres Gespräches haben Sie ja betont, dass der Klimawandel eine große Rolle in gesellschaftlichen Debatten einnimmt. Inwiefern wird uns dieses Thema auch im nächsten Jahr begleiten?

Es ist ein großes und globales Thema, bei dem es natürlich einerseits um die alternative Energieversorgung geht, aber andererseits auch darum, wie wir mit der Umwelt und der Natur umgehen. Wir müssen sozusagen unser Verhältnis zu Nahrung, zu Landwirtschaft und Landschaft neu definieren. Und das gibt Kommunen auch wieder Deutungsmacht. Denn heutzutage sehnen sich viele Menschen wieder nach einem ursprünglicheren, natürlicheren Leben. Erfolgreiche Kommunen nutzen deshalb die Natur als Standortvorteil und kommunizieren nach außen, dass die Lebenszufriedenheit im ländlichen Raum stärker ist. Zum Beispiel weil hier Kinder noch in intakter Natur spielen können. 

Das heißt, ländliche Kommunen werden in Zukunft beliebter bei Familien werden?

Ja, wir haben immer eine Art Pendel: Circa 25 Jahre lang zieht es die Menschen in die Stadt. Dann allerdings wird sie zu laut, zu dreckig, zu chaotisch und die Bürger ziehen wieder raus aufs Land. Momentan flachen die Wachstumsraten der Metropolen wieder ab und viele Familien ziehen in Kleinstädte oder Dörfer. In Skandinavien zum Beispiel erleben wir eine Art Renaissance des ländlichen Raumes. Das kann in Deutschland genau so gut funktionieren. Allerdings werden nicht alle Regionen davon profitieren. Denn dort, wo Fremdenfeindlichkeit und Misstrauen herrscht, zieht es die Städter auf gar keinen Fall hin. Denn sie wollen keine soziale oder mentale Einengung. Vielmehr sehnen sie sich nach Freiheit und Selbstverwirklichung. Und das findet man nur in einem lebendigen und vor allem offenen Dorf. Wir nennen das die "Progressive Provinz."

Auch von Njema Drammeh