Das Landleben hat viele Vorteile - wird von der Politik aber fast immer vergessen - eine Bürgermeisterin erzählt von den Problemen kleiner Kommunen
Das Landleben hat viele Vorteile - wird von der Politik aber fast immer vergessen - eine Bürgermeisterin erzählt von den Problemen kleiner Kommunen
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Bürgermeister des Monats

Das Vergaberecht blockiert die Flexibilität

Kleine Gemeinden im ländlichen Raum werden von der Bundespolitik viel zu wenig gehört. Nur so können Ideen wie das 49- Euro Ticket entstehen, meint Constance von Buchwaldt: Sie ist Bürgermeisterin der Feldberger Seenlandschaft, einem 4500 Einwohner Ort in Mecklenburg-Vorpommern.

Über dem Breitem Luzin kreist ein Fischadler. Ein Boot gleitet über das kristalklare Wasser des Sees und bringt Touristen in Sichtweite seines Horstes. Wer in die Feldberger Seenlandschaft im Südosten Mecklenburg-Vorpommerns fährt, möchte genau das erleben: Unberührte Natur, den nahegelegenen Müritz-Nationalpark, Ruhe und Frieden. Für Constance von Buchwaldt ist das Alltag. Die Agrarwissenschaftlerin ist Bürgermeisterin der mit 200 Quadratkilometern größten Gemeinde in Mecklenburg-Vorpommern. 4500 Einwohner leben in den 27 Ortsteilen, 350 Menschen – vor allem aus Berlin und Hamburg– haben hier ihren Zweitwohnsitz. "Wir stehen hier vor den Herausforderungen des ländlichen Raums, denen wir uns stellen müssen”, sagt die Bürgermeisterin. Zum Beispiel der Nahverkehr: “Bei uns kann man gut erkennen, dass das 49-Euro-Ticket nur in Metropolen ein Selbstläufer ist.” Seit die Bahn im Jahr 2000 den Zugverkehr auf der Bahnstrecke von Neustrelitz nach Feldberg einstellte, ist die Gemeinde ausschließlich über Busse erschlossen. “Über lange Zeit hatten wir fast nur den Schülerverkehr”, sagt Constance von Buchwaldt. “Und wer als älterer Mensch etwa zum Facharzt nach Neubrandenburg oder Neustrelitz wollte, musste notgedrungen das Auto nehmen.” Auch junge Leute, die ins Kino oder in die Disko wollen, sind vom ÖPNV ausgeschlossen. Die Gemeinde bemüht sich um eine Wiederbelebung der Bahnlinie. Denn die Gleise liegen noch, die Strecke ist nicht überbaut. “Im Zielnetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern ist die Strecke jetzt wieder aufgeführt, das ist ein erster kleiner Erfolg.”

Kleine Orte, kurze Wege - die Vorteile des Landlebens

Selbst stammt von Buchwaldt aus der Feldberger Seenlandschaft, ebenso wie die meisten Mitarbeiter ihrer Verwaltung. Das hat Vorteile: “Wenn ich wissen will, was in einem Ortsteil los ist, habe ich im Rathaus meist jemanden, der dort wohnt”, sagt die Bürgermeisterin. “Ich selber kann ja nicht jeden Tag in Lichtenhagen oder Koldenhof sein.” Trotzdem bemüht sich die Rathauschefin um Präsenz vor Ort: “Ich mache in den Ortsteilen Sprechstunden, bin viel vor Ort und im Auto unterwegs.” Die Suche nach Personal allerdings ist schwer im ländlichen Raum: Im Moment nähmen sich die Kommunen, der Landkreis und die Ehrenamtsstiftung in Neustrelitz alle gegenseitig das spärlich vorhandene Personal weg. In der Feldberger Seenlandschaft hat man deshalb wieder damit begonnen, kontinuierlich Mitarbeiter für den mittleren und den gehobenen Dienst auszubilden. Wie überhaupt die junge Generation der Bürgermeisterin am Herzen liegt. “Wir haben in unserer Gemeinde einen Runden Tisch Bildung eingerichtet, an dem sich die Kita-Erzieher und die Tagesmütter der Gemeinde mehrmals im Jahr mit den Schulleitungen unserer Schule treffen”. Vor allem der Übergang zwischen Kita und Schule sei eine Herausforderung und müsse reibungslos funktionieren. „Wir stehen im Kontakt mit dem Gesundheitsamt des Landkreises, hier liegt ja die Zuständigkeit für die Schuleingangsuntersuchungen. Solche Austauschformate müssten eigentlich überall Standard sein – dann würde das Bildungswesen besser funktionieren.”

Bundespolitik hat kleine Kommunen kaum auf dem Schirm

Vor allem aber vermisst die Feldberger Bürgermeisterin eine Akzeptanz des ländlichen Raums in der großen Politik. Selbst im Flächenland Mecklenburg-Vorpommern werde in erster Linie in die großen Städte Rostock, Schwerin und Greifswald geschaut. “Da läuft vieles, weil man sich nahe ist, einander kennt und die Institutionen dicht beieinander sind”, sagt von Buchwaldt. Gemeinden wie die Feldberger Seenlandschaft oder den benachbarten Woldegker Bereich mit ihren spezifischen Problemen habe man in Schwerin und Berlin dagegen oft nicht im Blick. Dazu kommt die Bürokratie. “In Deutschland stehen wir uns oft selbst im Weg. Wir haben mittlerweile alle so viel auf den Schultern, dass kein Esprit, kein Geist und keine Innovation mehr zugelassen wird.” Wer etwas bewegen wolle, scheitere oft an der Bürokratie. “Den Menschen fällt oft sofort ein Argument ein, warum etwas nicht geht – wie es gehen könnte, darüber wird nicht mehr nachgedacht.” Ein Beispiel ist für die Bürgermeisterin das Vergaberecht. “Eine Kommune von der Größe unserer Gemeinde wird vom Vergaberecht komplett aufgehalten”, sagt von Buchwaldt. “Für fast alles braucht es aufwändige Ausschreibungen: Das blockiert die Flexibilität der öffentlichen Hand komplett.” Die Feldberger Seenlandschaft hat sich deswegen mit der Stadt Neustrelitz zusammengeschlossen: “Alle Ausschreibungen, die mehr als 10.000 Euro Volumen haben, macht jetzt Neustrelitz für uns – sonst wäre eine Arbeitskraft in unserem Rathaus komplett blockiert.”

Und was motiviert Constance von Buchwaldt, sich dennoch als Bürgermeisterin zu engagieren? Ein Vorbild war ihr ehemaliger Klassenlehrer: Er war ihr Vorgänger im Rathaus und überredete die Agrarwissenschaftlerin, sich kommunalpolitisch zu engagieren. “Wichtig ist es, glaube ich, immer bodenständig zu bleiben und zu ticken, wie ein normaler pragmatischer Mensch”, sagt von Buchwaldt. “Mut und Ehrlichkeit gehören zum Bürgermeisteramt dazu, und keine Angst vor der Obrigkeit.” Dann aber lasse sich eine Kommune erfolgreich leiten, auch und gerade im ländlichen Raum. „Die hier arbeitenden und lebenden Menschen haben schließlich einen Anspruch darauf, dass ich sie gut vertrete.“