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Die Innenstadt der Zukunft

3. Mai 2016
Obwohl zwei Drittel der Deutschen in kleinen und mittleren Städte wohnen, bleiben die Möglichkeiten dieser Städte oft unbeachtet. Eine aktuelle Studie des Bundesbauministeriums betrachtet nun erstmals auch kleinere Kommunen. Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) ruft dazu auf, Bürger stärker zu beteiligen.

Von Barbara Hendricks Öffentliche Stadträume sind für die Lebensqualität, Imagebildung und die Außenwahrnehmung einer Stadt von herausragender Bedeutung und zudem ein wichtiges kommunalpolitisches Thema der Stadtentwicklung. Ein attraktiver öffentlicher Raum in Innenstädten steht für ein vielfältiges Stadtleben und für eine funktionierende Gesellschaft. Er ist ein Ort der Begegnung, der Bewegung und des Verweilens. Neben den typischen Stadträumen wie Stadtplätzen, Grünanlagen, Uferbereichen und Spiel- und Sportplätzen zählen auch Verkehrs- und Brachflächen dazu. Die Stadtforschung hat viel dazu beigetragen, Strategien für öffentliche Räume in den Innenstädten der großen Städte zu entwickeln. Unbeachtet geblieben sind lange Zeit die spezifischen Voraussetzungen und Handlungsmöglichkeiten der Klein- und Mittelstädte. Klein- und Mittelstädte sind die prägende Siedlungsform in Deutschland. Hier leben zwei Drittel aller Einwohner. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) trägt mit den Ergebnissen der Studie „Innerstädtische öffentliche Räume in Klein- und Mittelstädten“ dazu bei, diese Lücke zu schließen. Zentrale Ergebnisse der Studie werden hier erstmals vorgestellt. Viele Klein- und Mittelstädte sind vom Strukturwandel negativ betroffen. In der BMUB-Studie wurden 12 Städte untersucht. Positiv festzustellen ist, dass es auch unter strukturschwachen Bedingungen gelingen kann, lebendige innerstädtische Räume zu gestalten und zu bewahren. Insbesondere aufgrund der zunehmenden Funktionsteilung der Stadt sowie der Veränderungen im Konsum- und Freizeitverhalten wird nach wie vor ein Bedeutungsverlust befürchtet. Gleichwohl lässt sich vielerorts ein verstärktes Interesse der Stadtgesellschaft am öffentlichen Raum feststellen. An Produktion, Nutzung und Pflege des öffentlichen Raums sind heute mehr Akteure denn je beteiligt. Angesichts knapper kommunaler Kassen kann dies eine bewusste Strategie sein, gerade wenn es um die Pflege öffentlicher Räume geht. Die Einbeziehung privater Akteure stellt die Kommunen vor die Aufgabe, mit sich überlagernden, zum Teil gegensätzlichen Interessen umzugehen. Hierzu gibt es einige sehr gute Beispiele zum Beispiel aus Eberswalde, Esslingen, Finsterwalde und Passau. Das BMUB unterstützt Kommunen bei der Qualifizierung öffentlicher Räume mit den Programmen der Städtebauförderung. So wurden zum Beispiel in Neustadt an der Weinstraße im Rahmen des Stadtumbaus die Fußgängerzone umgestaltet und Fuß- und Radwege angelegt. In Bottrop gelang die Umgestaltung eines Ehrenparks zu einem Mehrgenerationenpark. Die öffentlichen Räume der untersuchten Städte sind eher durch Funktionsschwächen und geringe Belebung gekennzeichnet. In den wenigen untersuchten Städten, die wie Lohmar und Schwetzingen wachsen, ging es um verkehrsberuhigende Lösungen zur Verbesserung der Aufenthaltsqualität. Die Lösung von Verkehrsproblemen in Kombination mit Aufenthaltsqualitäten spielt gerade in Klein- und Mittelstädten eine große Rolle. In schrumpfenden Städten zeigen Beispiele wie Sonneberg, dass neue Stadtplätze auf alten innerstädtischen Brachen entstehen und wie Verwaltung und Bürgerschaft gemeinsam den öffentlichen Raum gestalten, nutzen und wiederbeleben können.

Der Schlossplatz der Stadt Schwetzingen ist ein Beispiel für eine fußgängerfreundliche Innenstadt.

Das Leitbild der Innenentwicklung, die Stadt der kurzen Wege, hat sich in den untersuchten Städten als Planungsgrundsatz weitgehend durchgesetzt. Gerade der Zusammenhang mit Klimaschutz, Klimaanpassung und mit einem verantwortungsbewussten Ressourceneinsatz hat diese Diskussion weiter verstärkt. Viele Kommunen müssen angesichts bereits länger anhaltender Schrumpfungsprozesse den geordneten Rückzug aus der Fläche gestalten. Sie nehmen ihre zentralen Bereiche, deren städtebaulichen Wert und funktionale Belebung wieder verstärkt wahr. Darüber hinaus sind genau diese Stadträume, also Stadtplätze oder Marktplätze, oft Aushängeschild einer Kommune und Kristallisationspunkte des gesellschaftlichen Lebens. Die Fallstudien haben gezeigt, dass eine integrierte Stadtentwicklung und Freiraumplanung die Funktionsvielfalt der Innenstädte neu entdecken und die Gestaltung an den Nutzungen orientieren sollte. Erfolgversprechend sind aktive Kooperationen mit lokalen Akteuren, um zukünftige Nutzer bereits bei der Planung einzubeziehen. Mit frühzeitiger Bürger- und Akteursbeteiligung werden attraktive und belebte öffentliche Räume geschaffen, genutzt und gepflegt. Die Initiativen aus der Stadtgesellschaft, Aktivitäten der Begegnung, der konsumfreien Nutzung und der Offenheit für alle sollten stärker unterstützt werden. Viele Städte setzen auf die Strategie öffentlicher Investitionen in den innerstädtischen Stadtraum als Auslöser für zusätzliche private Investitionen. Die Aktivierung und Einbindung der Einzelhändler, Gastronomen, Dienstleister und Immobilieneigentümer bietet große Chancen, wie die Fallstudien gezeigt haben. Der demografische Wandels und die zunehmenden Online-Konkurrenz sind jedoch für den stationären Einzelhandel und andere Wirtschaftsakteure große Herausforderungen. Innerstädtische öffentliche Räume müssen mit den übrigen Frei- und Grünräumen gut vernetzt sein. Als explizit förderfähig wird in der aktuellen Verwaltungsvereinbarung Städtebauförderung die Aufwertung öffentlicher Räume, die Umsetzung von Grün- und Freiräumen sowie die Förderung einer quartiersverträglichen Mobilität benannt. Wir setzen hier auf mehr Fuß- und Radwege und zum Beispiel auf mehr grüne Schulwege für unsere Kinder. Die Gestaltung von Grünzügen zur Freiraumaufwertung und zur Anbindung der Innenstadt wird gern angenommen. Das Fallbeispiel Holzminden veranschaulicht, wie selbst in innerstädtischen Räumen Naturräume, insbesondere angrenzende Wasserlagen, wieder erlebbar werden. Die Chancen, die ein integriertes Konzept für die Innenstadtentwicklung bietet, sollen nicht nur die Fachöffentlichkeit bewegen, sondern die unterschiedlichen Akteure vor Ort zusammenbringen: Stadtverwaltungen und Politik, Handelskammern, Stadt- oder Citymarketing, Kulturbetriebe, Wirtschaftsakteure und nicht zuletzt die Bürgerinnen und Bürger, Jung und Alt. Gerade Jugendliche sind die besten Experten in eigener Sache bei der Nutzung öffentlicher Räume. Dabei geht es nicht nur um die ihnen zugewiesenen Spiel- und Bewegungsflächen, sondern um das gesamte Stadtgebiet. Wir wollen das bürgerschaftliche Engagement junger Bewohnerinnen und Bewohner, die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sowie deren Akzeptanz und Berücksichtigung in der Stadtplanung weiter stärken. Gute Erfahrungen dazu haben wir mit unseren Jugendprojekten im Experimentellen Wohnungs- und Städtebau gesammelt, so zum Beispiel mit den Stadtoasen in Rosenheim. Mit temporären Aktionen in der historischen Altstadt haben sich die Jugendlichen hier neue Freiräume erschlossen. Der öffentliche Raum ist für alle da. Die Menschen wollen attraktive und sichere öffentliche Räume ohne Konsumzwang. Wichtig sind Aufenthaltsqualität, Zugänglichkeit, Nutzungsvielfalt und selbstverständlich auch ein gesundes Stadtklima. Wir unterstützen die Kommunen mit rund 700 Mio. Euro Bundesfinanzhilfen zur Städtebauförderung pro Jahr und werden auch künftig den Klein- und Mittelstädten ein verlässlicher Partner bei der Gestaltung und Qualifizierung unserer öffentlichen Räume sein. Bundesbauministerin Barbara Hendricks wurde 1952 in Kleve geboren, studierte Geschichte und Sozialwissenschaften in Bonn und promovierte 1980 zum Dr. phil mit der Arbeit „Die Entwicklung der Margarineindustrie am unteren Niederrhein“. 1981 begann sie als Referentin in der Pressestelle der SPD-Bundestagsfraktion. Von 1998 bis 2007 war sie Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium.