Bürgerbeteiligung in Bochum
Bürger beteiligen – mit Mut und Engagement eine lebendige Gemeinde leben.
© Dorothea Walchshäusl

Heimat stärken

Gelungene Projekte zur Bürgerbeteiligung

Direktes Mitwirken stärkt die Identifikation mit dem Heimatort. Für Kommunalpolitiker ist Bürgerbeteiligung zudem wichtig, um den Dialog mit den Bürgern nicht zu verlieren. Doch wie ist es in der Corona-Pandemie um die Mitbestimmung bestellt? Welche erfolgreichen Ansätze gibt es? KOMMUNAL hat sich in Deutschland umgehört.

Bürgerbeteiligung ist ein Schlagwort, das in allen Kommunen verwendet wird, aber wie sieht es mit Taten aus? Wir zeigen Ihnen gelungene Beispiele für Bürgerbeteiligung. 

 

Beim „Omnibus für Direkte Demokratie“ ist der Titel Programm. Seit 1987 sind die engagierten Mitglieder regelmäßig mit einem bedruckten Bus in Deutschland unterwegs und werben auf Marktplätzen, bei Kongressen oder in Schulen für direkte Demokratie. Der Bus dient dann als Wohn-, Arbeits- und Lebensort, wie Gründerin Brigitte Krenkers erzählt, und wird an den jeweiligen Standplätzen zum Zentrum ihrer umfassenden Mission. „Als freie und mündige Menschen sollten wir selbst die Regeln unseres Zusammenlebens bestimmen können. Wir sind nicht politisch, uns geht es um Gestaltungsfragen“, so Krenkers. Das Ziel einer so verstandenen Demokratie ist die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem Stadtrat und den Menschen, die in einer Stadt leben.

„Die Bürger sollten mitbestimmen dürfen darüber, ob eine Schule bleibt oder nicht, ob ein Schwimmbad gebaut wird und wo ein neuer Gewerbepark hinkommt. Wenn man die Regeln entsprechend bürgerfreundlich gestaltet, wollen die Menschen sich auch engagieren und mitgestalten. Etwas Besseres kann einer Stadt gar nicht passieren“, ist Krenkers überzeugt.

Eigener Etat für Beteiligung

Das bestätigt auch Ursula Müller, die Koordinatorin des Netzwerks für Toleranz in Waldeck-Frankenberg. „Wir stoßen bei den Bürgern auf eine große Nachfrage nach Beteiligung“, so Müller, und die Erfahrung direkter Wirksamkeit sei nicht nur eine wesentliche Säule der Demokratie, sie sei zudem ein wichtiger Ansatzpunkt, um der Flucht in Querdenker-Foren vorzubauen. Das Netzwerk ist eng mit verschiedenen Institutionen im Landkreis verbunden und thematisch breit aufgestellt. „Wir fördern Einzelprojekte, unterstützen Bürgerinitiativen, organisieren Informationsveranstaltungen und reagieren auf gesellschaftliche Themen“, so Müller. Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt dabei im Bereich der Jugendbeteiligung, unter anderem auf der Initiierung und Begleitung von Jugendforen, die sich, mit einem eigenen Etat ausgestattet, für die Bedürfnisse von Jugendlichen in Kommunen einsetzen und ihre Ideen im Stadtrat präsentieren.

Die Einschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie haben mehr denn je gezeigt, wie wichtig kommunale Austauschs- und Beteiligungsplattformen jenseits der direkten Begegnungsräume sind. Eines dieser Podien ist CONSUL. Im spanischen Raum ist die Open Source Plattform schon länger erfolgreich im Einsatz, in Deutschland hat sich Detmold im Rahmen der digitalen Agenda der Stadt als erste Kommune daran gemacht, CONSUL für die eigenen Bürger zu nutzen. Dabei war es der Stadt ein großes Anliegen, dass die langfristigen Kosten nicht zu hoch sind und die Methodik bereits ausgereift ist. Bei CONSUL war das der Fall, wie Ute Ehren von der Koordinierungsstelle Bürgerbeteiligung sagt. „Die Plattform ist nicht lizenz-basiert, also kostenlos, und es ist bereits ein großer Fundus an Wissen vorhanden.

Zukunft gemeinsam gestalten

So bietet CONSUL viele verschiedene Varianten, um sich zu beteiligen“. Dabei seien die Möglichkeiten ebenso reizvoll wie vielseitig: So kann die Stadt gezielte Umfragen starten, Informationen einstellen und Ergebnisse offenlegen – und das alles bei „maximaler Transparenz für die Bürger“, wie Ehren betont. Um dieses Potential auch in Detmold nutzen zu können, wurde CONSUL an die speziellen städtischen Gegebenheiten angepasst. „Digitale Agenda – wie möchte Detmold digital zusammen leben?“ – so lautet das Thema auf der neuen Plattform. Im Februar 2021 fand hierzu eine Zukunftskonferenz statt, für die die Themenfindung im Vorfeld via CONSUL lief. Denke man als Kommune über die Einführung einer ähnlichen Plattform nach, sei es laut Ehren wichtig, von vornherein die Personalressourcen miteinzuplanen. „Ein solches Angebot für die Bürger muss begleitet, bedient und ausgewertet werden – das geht nicht on top zu den sonstigen Aufgaben. Gleichzeitig sollte man als Kommune aber auch nicht zu viel Angst davor haben, sondern einfach mal anfangen damit – das zahlt sich aus“, so Ehren.

Bürgerbeteiligung und –mitwirkung sind Themen von immenser Zugkraft – das nimmt auch Claudine Nierth so wahr, die als Vorstandmitglied des Vereins „Mehr Demokratie e.V.“ das Format des bundesweiten Bürgerrats betreut. „Der Bürgerrat ist ein neues Element der demokratischen Beteiligung, das die Gesellschaft abbilden soll und auch die leisen Töne vertreten“, so Nierth. Die Mitglieder werden erst gelost und dann geordnet nach Geschlecht, Alter, Bildungsabschluss und Migrationshintergrund. So sind die einzelnen Diskussionsrunden denkbar heterogen. Genau dieser Ansatz bewährt sich, erzählt Nierth. „Je diverser die Gruppe, desto besser die Ergebnisse. Das ist wie ein Weitwinkel-Filter auf ein Problem.“ 

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Bürgerbeteiligung geht digital und analog

Zu Beginn einer Sitzung bekommen die Teilnehmer einen intensiven Input zum jeweiligen Thema, wobei sowohl ein Experte pro als auch contra zu Wort kommt. Anschließend diskutieren die Bürger in Kleingruppen von je 6-7 Leuten plus Moderator und Schriftführer an einzelnen Tischen, bevor die Empfehlungen schließlich als Bürgergutachten formuliert an die Politik gehen.

Ob digital oder analog - die direkte demokratische Einbindung der Bürger lohnt sich. Das ist auch die Erfahrung des Bochumer Oberbürgermeisters Thomas Eiskirch. Sein Ziel war es, die Bürger an Prozessen in der Stadt möglichst unmittelbar zu beteiligen und dafür ein Format zu entwickeln, das ein Abbild der Gesellschaft ist. Die Idee: Eine möglichst heterogene Mischung von Menschen, je 1.000 Einwohner eine Person, trifft sich für einen Tag und erarbeitet im Plenum und in Arbeitsgruppen zu einem bestimmten Thema, etwa der Quartiersgestaltung oder der Mobilität.

„Wer hat Lust, seiner Stadt einen Samstag zu schenken?“

Mit dieser Frage wurden Bürger per Zufallsauswahl angeschrieben und eingeladen, heraus kam eine repräsentative Mischung von 370 Diskutanten. Im Februar 2017 fand schließlich die erste Bürgerkonferenz in Bochum statt, mittlerweile ist das Format längst etabliert, wie Eiskirch berichtet. Konzeptioniert und moderiert wird das Format von einem städtischen Team und einem externen Büro, die den Diskussionstag jeweils akribisch vorbereiten. Das ist auch finanziell sehr aufwändig. So liegen die Kosten im hohen 5-stelligen Bereich. „Wenn, dann muss man es richtig machen – man darf hier keine Sparbrille aufhaben“, so Eiskirch. „Die Leute merken: Das ist keine Alibi-Veranstaltung und keine Laber-Runde. Wir wollen Ideen finden und sammeln und unsere eigenen Haltungen reflektieren. Das Ergebnis sollte nicht lauten – gut, dass wir mal darüber geredet haben.“ Stattdessen fließen die Vorschläge der Bürgerkonferenz direkt in die kommunale Arbeit ein. Freilich würde die Politik dadurch nicht von Entscheidungen entbunden, sagt Eiskirch. „Aber es ist eine ganz wichtige Reflexionssituation – man kann als Politiker unglaublich viel daraus mitnehmen.“