Arnsdorf im Landkreis Bautzen ist eine kleine Gemeinde mit 5000 Einwohnern - seit Jahren kommt der Ort nicht aus den Schlagzeilen
Arnsdorf im Landkreis Bautzen ist eine kleine Gemeinde mit 5000 Einwohnern - seit Jahren kommt der Ort nicht aus den Schlagzeilen
© 123rf

Was geschah in Arnsdorf?

Im November hat die Bürgermeisterin ihr Rücktrittsgesuch eingereicht. Zuvor war sie vier Jahre lang einer Hetze und einem Mob ausgesetzt. Unterstützung bekam die Bürgermeisterin so gut wie keine. Die Chronik eines Rücktritts!

Martina Angermann ist eine stark wirkende Frau, lebt am Rande von Dresden auf einem alten Bauernhof, der seit über 100 Jahren im Familienbesitz ist. Sie hat zur Jahrtausendwende mit Anfang 40 bereits Erfahrung unter anderem als Hauptamtsleiterin in verschiedenen Gemeindeverwaltungen. Im Jahr 2001 wird sie gefragt, ob sie nicht im rund 15 Kilometer entfernten Arnsdorf als Bürgermeisterin kandidieren will. Dort im Landkreis Bautzen Nahe der Stadt Radeberg wird eine tatkräftige Bürgermeisterin gesucht. Das vor Ort starke Bürgerforum und die SPD nominieren sie. Seither wird sie in der knapp 5000 Einwohner Gemeinde immer mit großer Mehrheit gewählt. 14 Jahre lang entwickelt sich die Gemeinde wie viele andere in der Region auch positiv, die Wirtschaft und die Finanzen entwickeln sich positiv. 

Der traurige Beginn in Arnsdorf - mit einer Facebook-Seite

Dann im Jahr 2015 gründet ein Mann aus der Gemeinde, der der Reichsbürgerszene zugeordnet wird, eine Facebookseite und beschimpft die beliebte Bürgermeisterin auf dem Kanal. Es ist die Rede von Armbrüsten, die sich der Betreiber angeblich angeschafft hat. Bilder von Kampfhunden werden gepostet, es erscheint der Aufruf zu einer Demonstration vor ihrem Haus. Ihr Gegenkandidat von der CDU hingegen wird offen von dem Facebook-Forum unterstützt. Trotzdem gewinnt Martina Angermann die Wahl mit über 75 Prozent der Stimmen.  Doch es bleibt nicht bei der Facebook-Seite. Immer häufiger bekommt Martina Angermann auch Mails und Briefe mit Hassbotschaften. Doch die Mails und Beschimpfungen ebben kurz nach ihrer Wahl langsam wieder ab.

Das ändert sich wenige Monate später wieder, als Arnsdorf im Jahr 2016 deutschlandweit in die Schlagzeilen gerät. Vier Männer übten Selbstjustiz und fesselten einen psychisch kranken Asylbewerber aus dem Irak mit Kabelbindern an einen Baum. Zuvor hatte er in einem Supermarkt Unruhe verbreitet. Die Hintergründe blieben unklar, der Prozess vor dem Amtsgericht wurde nach kurzer Verhandlung eingestellt. Unter den Tatverdächtigen soll auch der damalige CDU Bürgermeisterkandidat gewesen sein, heißt es im Dorf. Er ist inzwischen Mitglied der AfD Fraktion. Angermann hatte ihn in einem Interview – trotz des Freispruchs – erneut mit dem Fall in Verbindung gebracht und die Vorfälle immer wieder verurteilt. Das führte dazu, dass offenbar Rechtsradikale Rocker den Gemeinderat von Arnsdorf belagerten. Sie bedrohten Martina Angermann und forderten eine Entschuldigung für ihre Aussagen, wonach sie die Tat verurteilt. Zwei Gemeinderäte zogen daraufhin weg, weil sie sich bedroht fühlten.

Nach dem Schock kehrt vermeintlich Ruhe ein in Arnsdorf - bis zum Mord an Walter Lübke 

Die Stimmung heizt sich erst massiv auf, danach ist es wieder einige Zeit ruhig. Zumindest äußerlich. Martina Angermann sagt, Bedrohungen und Beschimpfungen haben es seither immer wieder gegeben. Im April 2018 wendet sich Angermann erneut an die Presse, sagt einem Journalisten, sie habe den Eindruck, dass sich in Arnsdorf eine rechte Zelle bilde. Und spricht über ihre Gedanken, als Bürgermeisterin aufzuhören. Sie ist inzwischen in ärztlicher Behandlung. Ihr Arzt diagnostiziert Anfang des Jahres dann „Burnout“. 

Im Juni 2019, so berichtet Angermann nach ihrem Rücktritt, kommt dann alles wieder hoch. Nach dem Mord an Walter Lübke hatte ein Dresdner Anwalt die Verteidigung des mutmasslichen Mörders übernommen. Der gleiche Anwalt, der seinerzeit den Tatverdächtigen Bürgermeisterkandidaten nach der Tat vor dem Supermarkt vertreten hatte. Angermann spricht erneut von „rechten Netzwerken“. 

Im Oktober dann reicht Angermann einen Antrag auf vorzeitige Versetzung in den Ruhestand ein. Das sächsische Innenministerium ist inzwischen über die Anfeindungen gegen die Bürgermeisterin informiert. Daraufhin verfasst das Ministerium ein Schreiben an alle Amtsträger und Kommunalpolitiker mit der Bitte, Fälle von Hetze, Hass, Anfeindungen und Beleidigungen unbedingt der Polizei zur Anzeige zu bringen. 

Der Rücktritt wird durch einen Antrag ins Rollen gebracht 

Vor einer Woche dann stellt die AfD-Fraktion, die seit 2015 im Gemeinderat die zweitstärkste Fraktion ist, einen Antrag auf Abwahl der Bürgermeisterin. Beteiligt am Antrag ist erneut ihr damaliger Konkurrent aus der Bürgermeisterwahl von 2015. Angermann reicht noch vor der Sitzung des Gemeindeparlamentes ihren Rücktritt ein. In späteren Interviews erklärt sie, es habe zwar immer Menschen gegeben, die zu ihr standen, etwa ihr Mann und ihre engsten Mitarbeiter. Aber vor allem von Seiten anderer Kommunalpolitiker habe es nur sehr wenig Unterstützung gegeben. 

NACHTRAG: Inzwischen hat der Think Tank "Progressives Zentrum" eine Petition in Sachen Arnsdorf gestartet. Ziel ist es, sich solidarisch mit Martina Angermann zu erklären. 5000 Unterschriften sollen zusammenkommen. Nach dem ersten Tag waren es rund 2500. Die Petition läuft noch bis Ende November und ist über folgenden Link erreichbar: https://www.openpetition.de/petition/online/solidaritaet-mit-martina-angermann-buergermeisterin-von-arnsdorf?fbclid=IwAR1hyOYgh0-C_a_jbmDXXnXbdSOazJIi3UoEx9pl_-wFtDrrmV5dIaG8ZOMDas