Eine Rentnerin ist mit ihrer Enkeltochter unterwegs.
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Auch Städte werden älter

Demografiebeauftragte für die Kommunen

Der demografische Wandel schreitet überall voran. Auch Städte und Gemeinden müssen sich darauf einstellen. KOMMUNAL-Deutschlandreport: So werden Sie fit fürs Altern.

Die Zahlen sind alarmierend. Bis zum Jahr 2040 rechnet das Essener „RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung“ damit, dass rund fünf Millionen Deutsche pflegebedürftig werden. Denn die so genannten Babyboomer gehen in den nächsten Jahren in Rente. „Von den reinen Zahlen her gesehen, geht bis zum Jahr 2035 etwa ein Drittel der Bevölkerung in den Ruhestand“, sagt Jonathan Petzold, Programm-Manager im Bereich Alter und Demographie der Hamburger Körber-Stiftung. „Und das hat Konsequenzen – im Bereich des Arbeitsmarktes ebenso wie in den Kommunen.“ Die Frage der Pflege werde an Relevanz gewinnen, ist Petzold überzeugt. „Wer heute in den Ruhestand geht, hat oft noch 20 oder 30 gesunde Jahre vor sich.“ Das gebe den Kommunen Zeit, sich aufzustellen. „Wichtig ist, dass die Kommunen heute ihre Hausaufgaben machen“, sagt Petzold. „Man muss heute wissen, wie die Situation vor Ort ist, um dann einschätzen zu können, wie sich die Lage entwickeln wird.“

Demografiebeauftragte für die Kommunen

„Kommunen können sich vielfältig aufstellen, ein Beispiel sind Demografiebeauftragte“, sagt Petzold. Es geht um Begegnungsorte für ältere Menschen, um neue Wohnformen. Wichtig sei, dass man sich rechtzeitig mit den Betroffenen an einen Tisch setze. „Statt auf Schwächen zu fokussieren, sollten Kommunen positive Altersbilder fördern.“ Ältere sollten nicht als Belastung, sondern als Aktivposten für die Gesellschaft gesehen werden. „Eine aktive Bürgergesellschaft vor Ort verhindert auch frühe Pflegebedürftigkeit.“ Wo Menschen soziale Kontakte haben und aktiv in die Gesellschaft eingebunden sind, reduziere sich die Pflegezeit enorm.

Rentner und Erwerbstätige

Eine Kommune, die sich für das Thema „alternde Gesellschaft“ schon gut aufgestellt hat, ist Radevormwald im Bergischen Land. Dort kümmert sich der Verein „aktiv55plus“ im Auftrag der Stadt um die Senioren- und Pflegeberatung. „Wir sind die einzige Stadt in Deutschland, die der WHO-Initiative „Agefriendly Cities and Communities“ beigetreten ist“, sagt Kyra Springer, die Koordinatorin des Vereins. Seitdem dies 2016 geschah, hat sich in Radevormwald viel getan: Bürgersteige zum Beispiel wurden abgesenkt – was im Übrigen nicht nur alten Menschen mit ihrem Rollator, sondern auch Rollstuhlfahrern und Müttern mit Kinderwagen zu Gute kommt. Dann gibt es die „Rader Hilfsbörse“: Hier bringt der Verein Menschen miteinander in Kontakt, die etwa Hilfe beim Einkaufen suchen und bieten, die Hausaufgabenhilfe und Kinderbetreuung anbieten, oder auch einmal mit dem Hund eines Fremden Gassi gehen. „Unser Ziel ist es, aktiv die Lebensqualität der Menschen zu fördern“, sagt Springer.

Was tun Kommunen für ihre Rentner?

Deswegen gibt es schon seit vielen Jahren in Radevormwald „aktivierende Hausbesuche“: Menschen ab 75 Jahren werden bei Bedarf aufgesucht, man erkundigt sich, was sie gern tun würden und wo sie Hilfe benötigen. „Das, was uns dabei begegnet, ist so bunt wie das Leben“, sagt Kyra Springer. So habe eine ältere Dame den Wunsch geäußert, Schwimmen zu gehen. Aber mit 80 Jahren fühlte sie sich zu alt für den Badeanzug. Solche Wünsche hörten die Mitarbeiter von „Aktiv55plus“ mehrfach in der Stadt. Sie brachten die Menschen zusammen – mit dem Ergebnis, dass eine Gruppe von 80-Jährigen nun wieder gemeinsam ins Schwimmbad geht, anstatt alleine zu Hause herumzusitzen. Und eine andere alte Dame, die vor einiger Zeit ihren Gatten verlor, geht nun einmal pro Woche in eine Schule und hilft ehrenamtlich in der Mensa aus. „Sie ist glücklicher, der Schule ist geholfen und die Kinder erhalten Unterstützung“, sagt Springer. Zumal solche Aktivitäten auch noch einen ganz anderen Effekt haben.

Wenn die Senioren gut versorgt sind, sind auch die nachfolgendenen Generationen entspannter.

Kyra Springer

Kyra Springer über Rentern in Kommunen

Radevormwald sei eine eher strukturschwache Region. Viele Kinder von einst leben dort heute nicht mehr. „Wir bekommen Anrufe aus Hamburg oder Frankfurt: Was können wir denn für unsere Mutter in Radevormwald tun, damit sie dort gut versorgt ist?“, sagt Springer. „Auch deswegen machen wir diese präventiven Hausbesuche: Wir entlasten Angehörige und klären rechtzeitig ab, was zu tun ist.“ Und auch in der Kommunalpolitik hat sich in Radevormwald in den letzten Jahren einiges verändert: Es gibt nun einen Stadtratsausschuss für Demographie. Und der Seniorenbeirat der Stadt hat Rede- und Vorschlagsrecht in allen Ausschüssen der Stadt und nutzt dieses auch aktiv. „Was uns wirklich noch fehlt, ist mehr barrierefreier Wohnraum“, sagt Kyra Springer. „Wenn alte Leute ihr Auto stehen lassen sollen, müssen sie zentrumsnah wohnen können.“ Engagiert in Sachen demographische Entwicklung ist auch die Gemeinde Langenfeld im Rheinland. Seit 2002 beschäftigt sich dort die erste Beigeordnete Marion Prell (CDU) mit der Frage der älter werdenden Kommune. „Wir sind hier keine schrumpfende, aber eine sehr stark alternde Bevölkerung“, sagt Prell. Ein städtisches Seniorenbüro, eine Freiwilligenagentur und Infopunkte bei freien Trägern sind nur einige der Maßnahmen, die die Stadt seitdem ergriffen hat. Menschen werden bei der Suche nach Pflegeangeboten oder Nachbarschaftshilfe beraten. „Ab 80 Jahren tendieren ältere Menschen dazu, zu vereinsamen“, sagt Prell. Deswegen gibt es in Langenfeld ebenfalls eine aufsuchende Seniorenberatung. „Wir geben den älteren Menschen Tipps, wie man sich mit wenig Aufwand Erleichterungen verschaffen kann“, sagt Prell. „Manchmal ist es nur der zusätzliche Haltegriff an der Terrassentür, der dazu führt, dass Menschen wieder über die Stufe kommen und nach draußen gehen können.“

Was Prell anderen Kommunen rät? „Das Thema Demographie sollte beim Bürgermeister oder der ersten Beigeordneten angebunden sein“, sagt die Kommunalpolitikerin aus dem Rheinland. „Es muss so hoch aufgehangen sein, damit man es in alle Bereiche der Stadtpolitik einfließen lassen kann.“ Ansonsten aber sei vor allem Ausdauer gefragt: „Lieber kleinere Baustellen als große Visionen und dafür aber den Bürger mitnehmen“, meint Prell. Dann lasse sich bei der Vorbeugung des demographischen Wandels einiges erreichen.