Corona
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Der Tag nach Corona

Der Tag nach Corona sollte deutlich anders laufen, als der letzte Tag vor Corona. Helfen kann uns dabei die Digitalisierung, meint Ilona Benz.

Jeder von uns hatte ihn. Den Tag vor Corona. Dieser Tag, an dem noch alles war wie immer. Morgens ein belastender Weg durch den Stau zum normal stressigen Arbeitstag mit größeren und kleineren Aufregern. In dem Maße wie der Tag vor Corona bei jedem von uns anders ausgesehen hat, so sehr ähnelte dieser Tag doch den tausend anderen Tagen unseres Lebens davor. Alles in allem hatte jeder sein eigenes Rad, in dem er Tag für Tag versuchte, immer weiter zu rennen, weil ... Ja warum eigentlich? Besteht der Sinn menschlicher Existenz denn nicht in einer unsexy Abfolge aus Arbeit, Schlaf und Konsum? Sollte nicht jedes Mitglied der Gesellschaft seinen Teil zum Wirtschaftswachstum beitragen, das für Bewohner außerhalb von Hippie-Kommunen schließlich das einzig gültige Narrativ moderner Gesellschaften sein kann? An vielen von uns mögen diese Frage schon häufiger genagt haben, zum Glück hatten wir aber bisher nie wirklich Zeit uns darüber ernsthaft Gedanken zu machen. Schließlich forderte das Rad uns viel ab und ermöglichte uns doch auch eine Daseinsberechtigung.

Wegen Corona gibt es mehr Freizeit und das ist eine Chance

Der Tag, an dem das Virus kam, war für die meisten Menschen so überraschend wie erschütternd, so dass lange Zeit unentdeckt blieb, was das Virus für viele – ganz gewiss nicht alle - von uns auch mitbrachte: freie Zeit. Plötzlich, so hatte man den Eindruck, hat sich das Rad menschlicher Existenz aufgehört zu drehen. Eine neue Zeitsouveränität tat sich insbesondere auch durch die Digitalisierung auf. So ist laut einer Umfrage jeder dritte Beschäftigte in der Corona-Krise ins Homeoffice gewechselt. Das hat vieles durcheinander gewirbelt. Freie Zeit ist eine Chance, die es für den Homo Cricetinae in diesem Ausmaß wohl die letzten Jahrzehnte nicht gegeben hat. Was aber tun ohne diesen so beruhigend strukturgebenden täglichen Marathon im Hamsterrad? Zunächst einmal die äußeren Gegebenheiten als das begreifen, was sie sind: eine nie da gewesene Möglichkeit, den nächsten Tag anders zu beginnen.

Es ist Zeit, mit dem Spinnen anzufangen

Vorausgesetzt, man schafft es aus der eigenen Schockstarre, ist es nun an der Zeit, eine neue Geschichte zu erfinden. Eine Geschichte, die nicht um eine wirtschaftliche Kenngröße herum konstruiert ist, die sich nicht auf eine Abfolge aus Arbeit, Schlaf und Konsum reduzieren und die sich nicht ausschließlich in Superlativen erzählen lässt. Sondern eine Geschichte, die wir in ein paar Jahrzehnten gerne und mit Stolz unseren Kindern und Kindeskindern zum Einschlafen erzählen möchten. Jetzt ist die Chance, um mit dem Spinnen anzufangen.