Kinder
Betreuungsbedürftige Kinder dürfen in NRW künftig bei nicht-öffentlichen Sitzungen mit dabei sein.
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Erleichterung in der Praxis

NRW-Kommunalrecht: Neue Regeln, frischer Wind

Kinder im Ratssaal, Jugendbeteiligung ab 16 und flexiblere Zusammenarbeit zwischen Kommunen: Das neue Gesetz bringt frischen Wind in die Kommunalpolitik. Bürgermeister und Bürgermeisterinnen loben die Reformen – doch sie fordern noch ganz andere Voraussetzungen, damit politisches Ehrenamt attraktiv wird.

Wie kann die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im politischen Ehrenamt verbessert werden? Und welche Möglichkeiten gibt es, um das Engagement in der Kommunalpolitik überhaupt attraktiver zu machen? Diese Fragen betreffen die Kommunen quer durch die Bundesrepublik. In Nordrhein-Westfalen wurde nun ein Gesetz zur Änderung kommunalrechtlicher und weiterer Vorschriften verabschiedet, das mit verschiedenen Reformen zu ganz praktischen Verbesserungen führen soll. Wir haben Bürgermeister gefragt, was sie davon halten.

Die geplanten Änderungen im Überblick

Von dem „Gesetz zur Änderung kommunalrechtlicher und weiterer Vorschriften“ sind verschiedene Bereiche der Kommunalpolitik betroffen. Dabei gibt es einige zentralen Änderungen, die das Miteinander in der Kommunalpolitik betreffen:

  • Stärkere Kinder- und Jugendbeteiligung: Auch jüngere BürgerInnen sollen gezielt angesprochen werden – konkret, indem das Wählbarkeitsalter für sachkundige Bürgerinnen und Bürger sowie für sachkundige Einwohnerinnen und Einwohner von 18 auf 16 Jahre gesenkt wird. Außerdem werden die Gemeinden dazu angehalten, Kinder und Jugendliche bei Planungen und Vorhaben, die ihre Interessen betreffen, angemessen zu beteiligen, zum Beispiel durch die Einführung einer Jugendvertretung.
  • Erfahrung zählt: Die Leitung der konstituierenden Sitzungen wird künftig unabhängig vom Lebensalter demjenigen Mitglied übertragen, das dem jeweiligen Vertretungsorgan am längsten ununterbrochen angehört.
  • Mehr Kooperation möglich: Die bisherige Beschränkung der gemeinsamen Wahrnehmung von Pflichtaufgaben auf benachbarte Kommunen wird aufgehoben. Dadurch wird die Zusammenarbeit über die kommunalen Grenzen hinweg noch flexibler möglich.
  • Klarere Sitzungszeiten: Kommunen bekommen die Möglichkeit, über ihre Hauptsatzung die Sitzungszeiten zu begrenzen. Ein wesentlicher Ansatz, wenn es um die bessere Vereinbarkeit von Ehrenamt und Familie geht.
  • Kinder erlaubt: Künftig dürfen betreuungsbedürftige Kinder von Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern auch in nicht-öffentlichen Sitzungen anwesend sein – das ermöglicht Abstimmungen auch in Anwesenheit der Kinder.

Neues Kommunalrecht - das sagen die Bürgermeister dazu

Aus Sicht von Robin Rieksneuwöhner, der seit 1. Februar 2024 Bürgermeister der Stadt Verl ist, geht das neue Gesetz in die richtige Richtung, „besonders dort, wo die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Ehrenamt gestärkt wird“. Dass in Zukunft etwa betreuungsbedürftige Kinder zu Gremiensitzungen mitgenommen werden könnten, sei ein wichtiger und symbolisch starker Schritt in Richtung mehr Familienfreundlichkeit in der Kommunalpolitik. Ob sich diese Regelung allerdings in der Praxis bewähre, werde sich erst zeigen.

Nichtsdestotrotz stellt Rieksneuwöhner fest: „Die Regelung sendet das richtige Signal: Politik soll für alle möglich sein, auch mit Kindern.“ Ebenso positiv bewertet der Verler Bürgermeister die geplante Absenkung des Wählbarkeitsalters auf 16 Jahre für sachkundige Bürgerinnen und Bürger. So werde jungen Menschen früh die Chance gegeben, sich aktiv in politische Prozesse einzubringen – eine wesentliche Erfahrung, die auch zu späterem kommunalpolitischem Engagement beitragen kann. Richtig und notwendig findet er auch die Flexibilisierung der interkommunalen Zusammenarbeit. Auch das sei ein Faktor, der die Kommunalpolitik attraktiver und effizienter machen kann, denn, so Rieksneuwöhner: „Viele Aufgaben lassen sich sinnvoll und effizient über kommunale Grenzen hinweg lösen, und das sollte auch rechtlich unterstützt werden.“

Robin Rieksneuwöhner

Ich sehe die Gefahr, dass Vertraulichkeit und der Schutz sensibler Informationen leiden könnten."

Robin Rieksneuwöhner, Bürgermeister der Stadt Verl

Was der Bürgermeister kritisch bewertet, ist die Tatsache, dass künftig alle Ausschussmitglieder und sachkundigen Bürgerinnen und Bürger das Recht erhalten sollen, an nichtöffentlichen Sitzungen anderer Gremien teilzunehmen. „Hier sehe ich die Gefahr, dass Vertraulichkeit und der Schutz sensibler Informationen leiden könnten – ein Punkt, den man meines Erachtens noch einmal sehr genau prüfen sollte.“ Insgesamt gehen viele der geplanten Änderungen aus Rieksneuwöhners Sicht aber in die richtige Richtung. „Jetzt kommt es darauf an, dass die Änderungen auch im Alltag der Kommunalpolitik spürbar ankommen und wir das Ehrenamt weiter stärken“, so der Bürgermeister.

Kinder in Sitzungen künftig erlaubt

Auch Kai Abruszat, seit September 2015 Bürgermeister der Gemeinde Stemwede, ist auf die Umsetzung in der Praxis gespannt. Dass Veränderungen notwendig sind, liegt für ihn auf der Hand, denn er beobachtet „im kommunalpolitischen Bereich im Ehrenamt immer mehr die Tendenz, dass sich Menschen scheuen, hier mitzumachen“ – eine Entwicklung, die nicht nur in der Politik zu erleben sei, sondern in allen Ehrenämtern.

Abruszat

Wir setzen mehr auf Pragmatismus statt auf Paragrafen."

Kai Abruszat, Bürgermeister der Gemeinde Stemwede

Die Vereinbarkeit von Beruf, Ehrenamt und Familie sei hier ein springender Punkt. Abruszat begrüßt alle entsprechenden Änderungen im Gesetz. Gleichzeitig hält er es für etwas übertrieben, in der Kommunalverfassung die Möglichkeit der Teilnahme von Kindern aufzunehmen. „Ein Bürgermeister oder Sitzungsleiter kann das normalerweise im konkreten Fall ermessen, da braucht es kein eigenes Gesetz“, so Abruszat, der auch in anderen Bereichen darauf setzt, „dass man vor Ort pragmatische Lösungen findet“.

Pragmatismus statt Paragrafen

Das gelte nicht zuletzt auch für den Umgang mit störendem Verhalten in Sitzungen. Zwar findet Abruszat es gut, „das landesweit einheitlich zu regeln, hier eine Rechtssicherheit zu schaffen und Ordnungsgelder in bestimmter Höhe festzusetzen“. In seiner Gemeinde aber setzt er mehr auf Pragmatismus als auf Paragrafen. So stellt er fest: „Eskalationsstufen müssen in der Praxis sehr sorgfältig angewendet werden und man muss aufpassen, dass gewählte Vertreter das Ordnungsrecht nicht gezielt provozieren, um schließlich einen Märtyrerstatus zu erhalten“.

Umso wichtiger sei es, nicht zu formal mit den Herausforderungen im kommunalpolitischen Geschäft umzugehen und „immer das Miteinander im Blick zu behalten“. Das sei es aus, was letztlich die Attraktivität des politischen Ehrenamts ausmache. So sagt Abruszat: „Ich glaube nicht, dass eine gesetzliche Regelung grundsätzlich zu mehr Engagement beitragen kann. Stattdessen brauchen wir ein Klima im Land, bei dem Ehrenamt in der Kommunalpolitik mehr Wertschätzung erfährt. Es gibt zigtausend Leute, die sich engagieren. Diesen darf man keine Steine in den Weg legen. Ganz am Ende zählt ein gutes Klima vor Ort“.