Krankenhausreform, Symbolbild Herz abhören
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Gastbeitrag

Krankenhausreform als Chance begreifen

14. August 2024
Die Unzufriedenheit der Deutschen über die Arbeit der Ampelkoalition lässt sich auch am Beispiel des geplanten Umbaus der Kliniken gut erklären. Dabei ist die Reform auch Chance für die kommunale Selbstverwaltung, meinen der Zukunftsforscher und Geschäftsführer von Gesundheitsstadt e.V., Daniel Dettling, und der Chef der Allianz Kommunaler Großkrankenhäuser, Nils Dehne.

Gilt der Satz des französischen Philosophen Joseph des Maistre, wonach jedes Volk nicht nur die Regierung hat, die es verdient, auch für dessen Gesetze? Die aktuelle Unzufriedenheit in unserem Land über die Arbeit der regierenden Ampelkoalition hat ihre Ursache auch in den Entstehungsgeschichten von Heizungsgesetz über Kindergrundsicherung bis zur Krankenhausreform und ihren fachlichen, organisatorischen und kommunikativen Unzulänglichkeiten.

Krankenhausreform: Von angekündigter Revolution nicht viel übrig

Beispiel Gesundheitspolitik. Sie ist ein gutes Beispiel für die Mesalliance zwischen Regierung und Gesellschaft, weil hier die Komplexität unserer heutigen Gesetzgebung mit ganzer Vielfalt erkennbar wird. Vom Föderalismus über eine plurale Verbändelandschaft bis hin zu einer breiten öffentlichen Betroffenheit und den limitierenden Finanzierungsoptionen in einem stark regulierten Wirtschaftszweig ist potenziell jeder von der Gesetzgebung in diesem Politikfeld unmittelbar betroffen. Die öffentliche Debatte wird dominiert von der durch den Bundesgesundheitsminister ausgerufenen „Revolution“. Nicht weniger als eine Entökonomisierung, eine Entbürokratisierung und eine Steigerung der Behandlungsqualität verspricht Karl Lauterbach seit mehr als einem Jahr in jeder Talkshow und Veranstaltung.

Daniel Dettling
Dr. Daniel Dettling, Zukunftsforscher und Geschäftsführer Gesundheitsstadt e.V.

Zum heutigen Zeitpunkt ist allen Akteuren unklar, was von der angekündigten Revolution in der Krankenhausversorgung übrigbleibt und ob die meisten Bürgerinnen und Bürger dieses Landes die absehbaren Veränderungen tatsächlich so gewollt haben. Vor diesem Hintergrund sollte eigentlich die breite und einhellige Ablehnung der vorliegenden Reformvorschläge in Verbänden und Ländern aufhorchen lassen. Der Gesundheitsminister sieht sich bei der breiten Widerstandsfront in seinen Plänen dagegen gestärkt.

Nils Dehne
Nils Dehne, Geschäftsführer der Allianz kommunaler Großkrankenhäuser e.V.

Von der angekündigten Revolution ist im konkreten Reformgesetzentwurf nicht mehr viel übriggeblieben. Die finanziellen Spielräume für grundlegende Veränderungen wurden auf ein Minimum reduziert und allein den gesetzlichen Krankenkassen aufgebürdet, weil im Haushalt der Bundesregierung kein Geld für derartige Großprojekte verfügbar ist. Aus der Zusage eines zustimmungspflichtigen Gesetzentwurfes wurde ein zustimmungsfreier Kabinettsentwurf mit Verordnungsermächtigungen, die wiederum durch den Bundesrat genehmigt werden müssen. Aus kurzfristigen Finanzhilfen für die insolvenzbedrohten Kliniken wurde eine Finanzierungsreform, die ab 2027 erstmals eine substanzielle Wirkung entfaltet. Der angekündigte Bürokratieabbau wird im ersten Schritt von einer gänzlich neuen Ordnungssystematik und einer weiteren Ausdifferenzierung der Finanzierungswege überdeckt. Haben wir das so verdient?

Verbände mit radikalen Einzelpositionen

Ihren Anteil an dem Verdienst haben Verbände mit ihren radikalen Einzelpositionen, die in ihrer Reinform weder konsens- noch anschlussfähig sind. Durch konsequente Missachtung der konkreten Gestaltungsmöglichkeiten wird jede Fachdiskussion im Keim erstickt und auf die moralische Richtigkeit der Forderungen oder die kommunikative Umgangsweise begrenzt. Der Föderalismus wird so zum Spielball eines politischen Kräftemessens, bei dem im Wesentlichen finanzielle Interessen auf dem Großmarkt unterschiedlichster Fachthemen ausgehandelt werden. Aus Experten werden oft Marktschreier, die sich für einen möglichst hohen Preis degradieren lassen.

Wünsche an einen vermeintlich wohlwollenden Alleinherrscher

In hochrangigen Diskussionsrunden zur Krankenhausreform auf Einladung des Gesundheitsministers an die Spitzenvertretungen der relevanten Verbände und Organisationen wird dann unverändert die fehlende Gesprächsbereitschaft des Ministers kritisiert, anstatt konkrete inhaltliche Verbesserungsvorschläge zu platzieren. Anstatt sich zwischen den Verbandsvertretungen vorab über wesentliche Forderungen abzustimmen, wiederholt ein jeder Teilnehmer die bekannten Positionen und Wünsche an einen vermeintlich wohlwollenden Alleinherrscher, auf den alle Beteiligten zu warten scheinen. Um sich anschließend zu wundern, dass der Minister, der sich mit seinen Mitarbeitern bereits seit vielen Monaten mit den Details einer Krankenhausreform beschäftigt, seinen wohl austarierten Gesetzentwurf nicht über den Haufen schmeißt.

Der unter den meisten Experten unbeliebte und in Umfragen beliebte Minister wird so zum absolutistischen Staatsmann, der auf niemanden hören muss. Die aktuelle Debatte um die Krankenhausreform leidet nicht nur an ministerieller Beratungsresistenz, sondern auch an intellektueller Unterforderung aufgrund fehlenden sachlichen Inputs. Einen Gesundheitsminister, der bereits seit über 25 Jahren Gesundheitspolitik mitgestaltet, werden wir nicht mit den immer gleichen Konzepten und Forderungen der Vergangenheit überzeugen können. Warum gelingt es nicht, mit innovativen Konzepten aus der Praxis, überraschenden Allianzen zwischen verschiedenen Interessensgruppen und abgestimmten Vorschlägen für eine tragfähige Finanzierung gegenüber der Politik intelligenter aufzutreten?

Demokratie ist anstrengend, unbequem und im Ergebnis meist unbefriedigend. Niemand kann darauf hoffen, seine eigenen Positionen in Reinform wiederzuerkennen. Ein erfolgreiches Zusammenspiel funktioniert nur, wenn jeder Éinzelne Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten abgibt. Vielfach sind zum Zeitpunkt der Kompromissfindung nicht alle Auswirkungen und Wirkungsweisen absehbar. Aufgeben ist trotzdem keine Option. Wer den sachlichen Diskurs scheut, bekommt Durchschnittsergebnisse im Eilverfahren. Wer Zusammenhänge nicht analysiert und differenziert, bekommt detailversessene Ausführungsbestimmungen und bürokratische Kontrollmechanismen. Wer keine anschlussfähigen Vorschläge einbringt, ist in der politischen Willensbildung zur Randfigur verdammt.

Bei Krankenhausreform umdenken

Die Krankenhausreform wird kommen und die Gesundheitsversorgung verändern, ambulant wie stationär. Angesichts der demografischen Herausforderung besteht ein parteiübergreifendes Interesse an einer langfristigen Lösung für die Finanzen der gesetzlichen Krankenkassen. Moderne Medien und Kommunikationsmöglichkeiten sind eine Chance, weil sie neue Perspektiven für eine effiziente und hochwertige Zusammenarbeit im Gesundheitswesen schaffen.

Wird Gesetz im Herbst verabschiedet?

Im Herbst wird - nach den Beratungen im Bundestag und Bundesrat sowie voraussichtlich im Vermittlungsausschuss - ein Reformgesetz geboren, das die Probleme unserer Krankenhäuser kaum abschließend lösen wird. Ein politischer Kompromiss ist immer mit Unzumutbarkeiten für alle Seiten verbunden. Unklarheiten in der Umsetzung und neue Regelungslücken sind absehbar. Anstatt diese Baustellen zu beklagen, geht es darum, die Möglichkeiten der Ausgestaltung verantwortungsvoll aufzugreifen und zu nutzen. Die Länder erhalten umfangreiche Möglichkeiten, um mit ihrer Krankenhausplanung flächendeckende Versorgung für ihre Bevölkerung und tragfähige Geschäftsmodelle für die Krankenhäuser gleichermaßen zu realisieren.

Die Selbstverwaltungspartner sind aufgefordert, nicht mehr notwendige Richtlinien und Anforderungen aufzuheben und durch die Einführung der Vorhaltefinanzierung verliert die Rechnungsprüfung durch die Krankenkassen ihren Schrecken und ihre Bedeutung. Damit entsteht eine einzigartige Chance für eine neue Kultur des Zusammenwirkens und des gegenseitigen Zusammenarbeitens. Sicher werden die verbindlichen Vorgaben aus der Bundeshauptstadt in einigen Regionen der Republik zu Problemen führen. Die Lösung ist ein Umdenken bei der Umsetzung. Der bestehende Spielraum ist im Sinne der Patientinnen und Patienten und der Mitarbeiter zu nutzen. Regelungslücken bedeuten eine Chance für ein mutiges gemeinsames Vorangehen. Lösungen, die im Sinne der Versorgung vor Ort mit allen Akteuren im Konsens erarbeitet werden, haben eine gute Chance als Blaupause für andere genutzt zu werden.

Eine neue Form der Selbstverwaltung

In den Kommunen und Regionen brauchen wir eine neue Form der „Selbstverwaltung“. Vor Ort sind die tatsächlichen Probleme für alle ersichtlich und gemeinsame Interessen leichter zu identifizieren. Bedingung sind ein einheitliches Spielfeld und gemeinsame Regeln für alle. Für das Zusammenspiel sind wir aber selbst verantwortlich, Leistungserbringer wie Leistungsempfänger – Kliniken, Ärzte und Patienten.