Krankenhaus in Gummersbach, Hubschrauber landet
Das Krankenhaus in Gummersbach gehört zu der Oberberg GmbH
© Klinikum Oberberg

Blaupause NRW

Krankenhausreform: Kampf der Kliniken

Die geplante Krankenhausreform ist massiv umstritten. Was Kommunalpolitiker befürchten, warum eine Betreiberin den Bundesgesundheitsminister auf Schadensersatz verklagt hat. Und: Wie Nordrhein-Westfalen sich bereits neu aufstellt.

Das Kreiskrankenhaus in Groß-Gerau wirbt mit seinem breit aufgestellten Behandlungsspektrum. „Wir glauben, dass gute Medizin nicht nur den Fachkliniken der Großstädte vorbehalten ist“ heißt es auf der Homepage des Klinikums. Doch steigende Kosten und Inflation bescherten dem Krankenhaus 2023 ein Defizit. Deshalb hat die Krankenhausleitung Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und die Bundesregierung auf Schadensersatz von 1, 7 Millionen Euro verklagt. „Wir haben durch die massive Unterfinanzierung der Kliniken ein systematisches Problem in der Gesundheitspolitik“, begründet Geschäftsführerin Erika Raab die Klage.

Kliniken rechnen mit Verlusten im Jahr 2024

Rund 70 Prozent der Krankenhäuser in Deutschland rechnen 2024 laut dem aktuellen Krankenhaus Rating Report damit, Verluste einzufahren.  Ein mächtiges Klinikdefizit stürzt den Ostalbkreis in Baden-Württemberg in die Krise, im Rhein-Neckar-Kreis erwarten die vier GRN-Kliniken ein Rekorddefizit von 24 Millionen Euro. Viele Kliniken hätten bereits geschlossen werden müssen, wenn nicht die Kommunen die hohen Verluste ausgleichen würden. Andere haben es schon nicht mehr gepackt.



Die Gesundheitsökonomin im hessischen Groß-Gerau fordert die Bundesregierung dazu auf, bei der Krankenhausreform endlich aufs Tempo zu drücken. Obwohl sie wesentliche Teile der derzeit geplanten Veränderungen sehr kritisch sieht. „Ich halte die Idee, dass kleinere Krankenhäuser künftig für die Versorgung von einfachen Knochenbrüchen oder Gehirnerschütterungen zuständig sein sollen, für einen Irrweg“, sagt Erika Raab.

Prof. Dr. Erika Raab

Dass kleinere Häuser künftig für die Versorgung von Knochen­brüchen zuständig sein sollen, ist ein Irrweg.“

Prof. Dr. Erika Raab, Geschäftsführerin, Klinikum Groß Gerau

 

Nach den Plänen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sollen die Krankenhäuser künftig „bedarfsgerecht“ eine medizinische Versorgung anbieten. Doch nicht jedes Krankenhaus soll alles machen dürfen. Abgerechnet wird künftig nicht mehr nur pro Fall, also Patient, sondern es wird ein Vorhaltebudget eingeführt, das allerdings fallzahlabhängig gestaltet ist. Die Krankenhäuser bekommen dann 60 Prozent der bisherigen sogenannten Fallpauschalen als Budget dafür, dass sie die Strukturen dafür bereithalten, 40 Prozent der Einnahmen müssen nach den derzeitigen Plänen dann über die Behandlungsfälle erwirtschaftet werden. Daneben werden für die Notfallversorgung und bestimmte Leistungen weitere Zuschläge bezahlt.

Brandbrief der Landräte an den Bundesgesundheitsminister

Welches Krankenhaus welche Leistungen anbieten darf, das entscheidet das jeweilige Bundesland. Kommunen und auch freie Krankenhausträger sorgen sich, dass sich der Bund so weit in die Planungen einmischt, dass die künftig den Kürzeren ziehen und andere Häuser die medizinischen Leistungen anbieten dürfen, die sie für ihre Bürger vor Ort bereithalten wollen. Die Landräte der niederbayerischen Kreise Freyung-Grafenau, Deggendorf, Straubing-Bogen und Passau haben aus Sorge vor den Folgen der Krankenhausreform eine gemeinsame Erklärung verfasst. Sie warnen davor, dass ein Zweiklassen-System entsteht, das die Menschen im ländlichen Raum gegenüber Ballungsräumen benachteiligt. Bieten die Kliniken nicht mehr wie bisher bestimmte Operationen, würden sie bis zu 70 Prozent der Patienten verlieren, so die Landräte. Patienten müssten weit fahren und Arbeitsplätze müssten abgebaut werden. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hingegen sieht diese Gefahren nicht. „Ich gehe davon aus, dass die meisten Häuser auch auf dem Land erhalten bleiben.“ Lauterbach betont im Interview mit KOMMUNAL, dass ohne die Krankenhausreform gerade die kleinen Kliniken im ländlichen Raum keine Zukunft mehr hätten.

Blaupause NRW für die Krankenhausreform

Nordrhein-Westfalen ist so etwas wie ein Vorbild für die bundesweite Krankenhausreform, die Blaupause für Deutschland. Dort beschloss die Landesregierung vor zwei Jahren eine neue Krankenhausplanung: Danach können sich Krankenhäuser für bestimmte Leistungsgruppen bewerben: allgemeine Innere Medizin, Komplexe Gastroenterologie oder zum Beispiel Allgemeine Chirurgie. Die Krankenhäuser bekamen im September 2022 Informationen über die vorgesehenen regionalen Planungsverfahren. Die Bezirksregierungen forderten dann im Oktober dazu auf, im November mit den Verhandlungen zwischen den Kliniken und den Kostenträgern zu starten. „Wir sind schon dabei, das umzusetzen, was der Bundesgesundheitsminister im Bund plant“, sagt Sascha Klein, Geschäftsführer der Klinikum Oberberg GmbH in Gummersbach.

Nordrhein-Westfalen: Bis Jahresende Bescheide

Die stationäre Versorgung wird in Leistungsgruppen aufgeteilt – und soweit möglich, auf die ausgewählten Krankenhäuser konzentriert.  Der Bedarf in den Regionen wird ermittelt und das Land entscheidet, welches Krankenhaus welche Behandlung durchführen kann. „In Nordrhein-Westfalen machen wir bisher die Erfahrung, dass den Kliniken mehr als die Hälfte der beantragten Leistungsgruppen gestrichen werden“, sagt Klein, der zugleich Vize-Präsident der Krankenhausgesellschaft in NRW ist. „Damit wird massiv in die Struktur der Häuser und medizinische Versorgungslandschaft eingegriffen.“  NRW lasse aber Kooperationen zu, um die Voraussetzungen für bestimmte Leistungsgruppen und Qualitätskriterien zu erfüllen. Laut dem Gesundheitsministerium in NRW haben sich bislang 111 Krankenhäuser für die Behandlung von Bauchspeicheldrüsen-Krebs beworben, doch nur 43 sollen diese Leistungsgruppe zugewiesen bekommen.  Bis Jahresende sollen alle Krankenhäuser ihre Bescheide bekommen. Die neue Struktur soll dann ab 1. Januar 2025 gelten.

Klinikum Oberberg GmbH: Schwarze Zahlen

Die kommunale Klinikum Oberberg GmbH, zu dem auch die Kreiskrankenhäuser Gummersbach und Waldbröl gehören, schreibt schwarze Zahlen. „Im Vergleich zu unseren Mitbewerbern stehen wir sehr gut da“, sagt Geschäftsführer Sascha Klein.  „Auch wenn unsere Liquidität stark beansprucht ist, können wir ausgeglichene Betriebsergebnisse vorweisen.“ Wie gelingt das trotz steigender Kosten?  „Eine große Rolle spielt, dass wir mit insgesamt 1000 Betten eine gesunde Größe haben und neben dem eigentlichen Krankenhausgeschäft mehrere Tochtergesellschaften betreiben“, erläutert Klein. „Sie decken ein breites Spektrum medizinischer Dienstleistungen bis zu hin allgemeinen klinischen und hauswirtschaftlichen Dienstleistungen wie etwa Reinigung oder Essensversorgung ab."

Sascha Klein, Geschäftsführer  Klinikum Oberberg

Wir subventionieren das Kranken­hausgeschäft beim

Klinikum Oberberg quer.“

Sascha Klein, Geschäfts­führer, Klinikum Oberberg und Vizepräsident der Krankenhausgesellschaft NRW

In den Tochtergesellschaften gilt der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst für die Beschäftigten nicht.  „Wir subventionieren das Kerngeschäft Krankenhaus damit also quer.“ Das Konstrukt habe dazu geführt, dass das Klinikum noch nie von den Trägern bezuschusst werden musste.  Als Vertreter der Krankenhausgesellschaft kritisiert er aber, dass das Krankenhaus allein nicht überleben könnte.  „Das zeigt, dass das Finanzierungssystem versagt. Kleine Krankenhäuser können aus den Einnahmen ihre Pflichtaufgaben nicht bewältigen.“

Kritik am Bund bei der Krankenhausreform

Anders als in Nordrhein-Westfalen plant der Bund laut Klein kein geordnetes Verfahren. „Der Bund bevorzugt offenbar eine kalte Strukturbereinigung“, kritisiert der Vize-Präsident der Krankenhausgesellschaft NRW.  Seit Februar vergangenen Jahres sind bundesweit mehr als 40 Krankenhäuser insolvent gegangen, in NRW waren es zehn. „Die vom Bundesminister in Aussicht gestellten 6 Milliarden Euro an Liquiditätsmitteln reichen bei weitem nicht aus“, sagt Klein. Vor allem kleine Häuser könnte es erwischen.

Was empfiehlt der Geschäftsführer anderen Krankenhäusern und den Trägern? „Ich rate dazu, sich möglichst frühzeitig mit dem Thema zu beschäftigen und sich dabei das Verfahren in NRW anzuschauen, das in diesem Jahr abgeschlossen werden soll.“ Und sich frühzeitig abzustimmen: Können mehrere Träger in der Region Leistungsbündel schnüren? Das eine Krankenhaus in der Region könnte dann die Kardiologie übernehmen, das andere die Orthopädie. Für Klein steht fest: „Je schlüssiger das Konzept ist, desto größer die Aussicht auf Erfolg."

Aktueller Stand zur Klage des Klinikums Groß-Gerau gegen den Bundesgesundheitsminister und die Bundesregierung: "Mehr als drei Monate nach Klageerhebung hat Herr Lauterbach noch keine Antwort geschickt", sagte die Geschäftsführerin der Kreisklinik Groß-Gerau, Erika Raab auf Anfrage von KOMMUNAL. "Die gesetzliche Frist zur Erwiderung ist auf Antrag der Anwälte des Bundesgesundheitsministers hin verlängert worden." In der Zwischenzeit habe die Klinik aus ganz unterschiedlichen Richtungen Zuspruch für ihr Vorgehen bekommen. "Auch von Seiten kommunaler Vertreter erreichen uns Erfahrungsberichte darüber, wie die herausfordernde Finanzierungslage erlebt wird."

Förderprogramm
Gesamtvolumen: 100 Mio. Euro

Laufzeit: fünf Jahre (2024 – 2028)

Antragsberechtigt: Träger von Plankrankenhäuser mit nicht mehr als 200 Betten am Standort.