Kampf gegen Lebensmittelverschwendung
Müllvermeidung - Zu gut für die Tonne
Vorreiter ist die bis auf eine 450-Euro-Kraft ausschließlich von Freiwilligen und Ehrenamtlichen getragene Organisation Foodsharing. Die 2012 ins Leben gerufene Organisation arbeitet nach einem denkbar einfachen Konzept: Sogenannte Foodsaver retten in Deutschland, Österreich und der Schweiz Lebensmittel vor der Tonne und verteilen sie an zentralen Punkten kostenlos an Lebensmittelretter. Der Vorteil: Anders als bei den Tafeln setzen sich die Retter nicht dem Stigma „arm und bedürftig“ aus, wenn sie die geretteten Lebensmittel abholen. Die Erfolgszahlen des Projektes können sich sehen lassen: fast 30,8 Millionen Kilogramm gerettete Lebensmittel, 6.407 kooperierende Betriebe, 70.692 ehrenamtlich engagierte Foodsaver, 313.017 Follower und Interessenten, mehr als 1,9 Millionen Rettungseinsätze, etwa 2.848 Einsätze pro Tag für bedrohte Bananen, Kohlköpfe und Joghurts. Rebecca Ruppert, Politikwissenschaftlerin und seit 2019 ehrenamtlich bei Foodsharing aktiv, sieht das Ende des Einsatzes noch lange nicht gekommen: „Gerade haben wir das neue Projekt Foodsharing-Städte an den Start gebracht. Hier geht es darum transparent zu machen, welche Projekte schon in einzelnen Städten oder Gemeinden umgesetzt werden und eine Vernetzung auf kommunaler Ebene herzustellen. Foodsharing besteht aus vielen einzelnen engagierten Menschen, die versuchen Lebensmittelverschwendung zu reduzieren, indem sie Lebensmittel teilen. Um nachhaltige Strukturen vor Ort aufzubauen braucht es allerdings die Kooperation aller lokal involvierter Interessensgruppen.“
Foodsharing kooperiert erfolgreich mit Kommunen
Die 31-Jährige und ihre Mitstreiter setzen dabei auf die Kooperation aller lokal involvierter Interessensgruppen. Das Koordinationsteam der foodsharing-Städte wolle mit der Kampagne aufzeigen, dass die Kommunen sehr viele Handlungsmöglichkeiten im Ernährungsbereich hätten, so Ruppert. ,,Durch Bereitstellen von Räumlichkeiten, bewerben von Bildungsveranstaltung oder die finanzielle Unterstützung von lokalen Initiativen wie beispielsweise Nachbarschaftsgärten, kann die lokale Verwaltung Einfluss nehmen auf das Ernährungssystem. Auch bei der Vergabe der Anbauflächen, kann man ökologische und soziale Kriterien geltend machen.‘‘
Ein Beispiel für eine Foodsharing-Stadt ist Graz. In der Steiermark engagiert sich das Umweltamt der Stadt, Foodsharing-Standorte sichtbar zu machen. Aber Foodsharing-Städte sollen noch viel mehr tun. Ruppert erläutert: „Es wäre gut, wenn es vor Ort einen Raum gäbe, in dem sich alle für das lokale Ernährungssystem relevanten Akteure begegnen. Ob in der Form eines Runden Tisches oder durch das Schaffen eines realen Ortes – vielleicht eines Ernährungshauses? - sind verschiedene Möglichkeiten denkbar.‘‘
In Unterschleißheim finanziert die Stadt im Stadtzentrum einen Raum mit Kühlschrank und Regalen, in denen Menschen vor der Vernichtung bewahrte Lebensmittel einpacken können. In Bochum hat die Stadt damit geworben, dass alle verwertbaren Reste vom Weihnachtsmarkt in einem von der Stadt gemieteten Zwischenlager auf weitere Verwendung warten. Besonders freut Rebecca Ruppert das Beispiel kommunalen Engagements aus „ihrer“ Stadt Mainz: „In Kooperation mit der Stadt und der hiesigen Abfallwirtschaft werden wir am 9. Mai Lebensmittelverschwendung sichtbar machen. Wir planen vor dem Theater in der Innenstadt das Essen, das in Mainz an einem Tag in der Mülltonne gelandet wäre, wenn es Foodsaver nicht abgeholt hätten, zu verteilen. Die Entsorgungsbetriebe Mainz stellen hierfür neue Abfallcontainer zur Verfügung.“
11 Millionen Tonnen Lebensmittel werden in Deutschland pro Jahr weggeschmissen. Das sind 55 Kilogramm pro Person.
Tatsächlich ist das Problem Lebensmittelverschwendung in Deutschland ein gewaltiges. Statistisch gesehen werfen wir Deutschen ein Drittel unserer Wocheneinkäufe in den Müll. Knapp die Hälfte davon in einem verzehrbaren Zustand. Der WWF-Studie von 2015 „Das große Wegschmeißen“ ist zu entnehmen, dass wir alleine in Deutschland 2,6 Millionen Hektar Land umsonst bewirtschaften und dabei 58 Millionen Tonnen Treibhausgase umsonst ausstoßen. Vermeidbare Verluste anhand der gesamten Wertschöpfungskette: 10 Millionen Tonnen. Vernichtet wird entlang der gesamten Wertschöpfungskette: Falsche Lagerung, Unwetter, Überproduktion oder mangelnde Absatzmöglichkeiten in der Landwirtschaft, Transportschäden oder technische Produktionsfehler in der Industrie, zu groß bemessene Portionen und scharfe Hygienerichtlinien in der Gastronomie, Vernichtung von nicht mehr ganz so schönen Produkten im Einzelhandel, ungeplantes Einkaufen und das Verwechseln von Mindest- und maximalem Verzehrdatum durch die Verbraucher.
Marktschwärmer will Respekt vor Lebensmittel zurückbringen
Um daran etwas zu ändern, braucht es alle gesellschaftlichen Akteure. Davon ist auch Jacques Wecke, der Projektleiter der Organisation „Marktschwärmer“ überzeugt. Für die Mitstreiter der ehemaligen „Food Assembly“ ist der Name Programm: Einerseits verweist er auf die sogenannte Schwarmintelligenz der Vielen, andererseits auf die Begeisterung oder Schwärmerei für gute Lebensmittel. Das Konzept der Marktschwärmer: Ein Bürger gründet an einem festen Ort in der Stadt – in Vereinsheimen, Gemeindesälen, Schulen – eine sogenannte Schwärmerei. Kunden bestellen und bezahlen online und regionale Erzeuger liefern an einem Tag in der Woche zur Schwärmerei eben das, was online bestellt wurde. Ein Konzept, das den regionalen Markt einerseits und die Kundenbindung zu lokalen Landwirten andererseits fördern soll. Jacques Wecke erläutert: „Es gibt in unserer Organisation schon Beispiele für eine gute Zusammenarbeit mit den Stadtverwaltungen. In einem kleinen Dorf in der Pfalz dürfen die Marktschwärmer zum Beispiel den Dorfplatz für den Verkauf nutzen. In Wildau bei Berlin findet die Schwärmerei einmal wöchentlich im Rathaus statt. Viele Verwaltungen unterstützen auch bei der Erzeugersuche und knüpfen Kontakte. Generell wünschen wir uns, auf kommunaler und regionaler Ebene gemeinsam noch enger mit den landwirtschaftlichen Erzeugern und den Kommunen zusammenzuarbeiten. Denn unser Modell ist ein unaufwändiges und faires: Als Organisation bekommen wir zehn Prozent der Verkaufserlöse, acht Prozent der organisierende Gastgeber und 82 Prozent verbleiben bei den Erzeugern. Wir Marktschwärmer sind davon überzeugt: Wir können Kommunen dabei helfen, den regionalen Markt und damit die Wertschätzung für heimische Lebensmittel zu fördern und neu zu denken.“
Lebensmittelverschwendung per App stoppen
Ein ganz ähnliches und einfach strukturiertes Konzept verfolgen die Macher von „Too good to go“. Mittels einer App können Bürger schauen, welche Bäckerei, welches Café oder Restaurant gerade Leckeres aus der Resteküche zu vergeben hat. Zwischen drei und neun Euro kostet eine Tüte mit Lebensmitteln, die sonst in der Tonne landen würde. In etwa 900 Städten nutzen bereits 4.285 Betriebe die Möglichkeit, ihre übriggebliebenen Lebensmittel unters Volk zu bringen. Drei Millionen Nutzer gibt es aktuell in Deutschland, weltweit sind es etwa 19 Millionen. Franziska Lienert, Public Affairs Managerin, will Kommunen dazu ermuntern, sich mit ihrer Organisation in Verbindung zu setzen und gemeinsam Strategien zu erörtern, wie der Lebensmittelverschwendung ein Ende gesetzt werden kann: „Die Kommunen haben Ressourcen wie wir sie – noch – nicht haben. Wir stellen uns eine strukturelle Zusammenarbeit vor, in der sämtliche Akteure an einem Tisch sitzen, die mit Lebensmitteln im weitesten Sinne zu tun haben. Und wenn wir dann in zehn Jahren überflüssig sind – umso besser.“