Der Livestream gehört in immer mehr Kommunen zur Ratssitzung dazu...aber was macht das mit den Abgeordneten? Welche Erfahrungen gibt es?
Der Livestream gehört in immer mehr Kommunen zur Ratssitzung dazu...aber was macht das mit den Abgeordneten? Welche Erfahrungen gibt es?
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Livestream: Übertragen oder nicht?

Ehrenamtliche unter Dauerbeobachtung? Oder ein Gebot der Transparenz? Beim Thema Livestream von Ratssitzungen scheiden sich die Geister. Wir zeigen auf, was erlaubt ist und wie Stadträte mit dem Thema umgehen.

In der bayerischen Landeshauptstadt München ist der Livestream schon lange geübte Praxis - alle  Debatten kann jeder Bürger im Internet mitverfolgen. Den Livestream gibt es schon seit sechs Jahren, berichtet Stadtsprecher Stefan Hauf. Und anschließend ist eine Aufzeichnung der Sitzung im Internet verfügbar. „Die Nutzungszahlen des Vollversammlungs-Livestreams hängen natürlich stark von den Themen auf der Tagesordnung und der Dauer der Sitzung ab“, sagt Hauf. „Generell kann man von bis zu 1.000 Nutzern des Streams selbst und  weiteren 500 Nutzern der Aufzeichnung ausgehen.“

Stefan Hauf, Sprecher der Stadt München befürwortet den Livestream
Stefan Hauf, Sprecher der Stadt München

Womit die Stadtverordneten in München mit ihrer Arbeit deutlich mehr Menschen erreichen, als in ihrem Sitzungssaal Platz auf den Zuschauertribünen hätten. Der technische Aufwand für die Übertragung fällt kaum ins Gewicht. „Die Stadt selbst stellt 2 Business-DSL-Leitungen, aus der Sitzungstechnik den Ton sowie die Bilder von 2 fest installierten Kameras zur Verfügung“, berichtet Hauf. „Die restliche Technik - von der Aufnahme mit einer freien Kamera über den Schnitt bis zur Bereitstellung als Stream - besorgt ein externer Dienstleister.“ Die Sendeleitung übernehme ein Mitarbeiter des Presseamts.

Der Livestream und das Thema Datenschutz - was erlaubt ist und was nicht... 

Eingeschränkt freilich wird die Art und Weise, in der die Münchner ihre Sitzungen ins Internet übertragen, vom Datenschutz. „Entsprechend der datenschutzrechtlichen Erfordernisse des Bayerischen Landesdatenschutzbeauftragten wird grundsätzlich nur die aktuell sprechende Person übertragen, die dazu vorab ihre Einwilligung gegeben haben muss“, so der Stadtsprecher. „Um möglichst wenig „Hintergrund“ mit zu senden, wird das Bildformat 4:3 gewählt und der Bildausschnitt für jeden Redner per Kamerazoom entsprechend angepasst.“ Kameraschwenks auf andere Sitzungsteilnehmer oder Zuschauer sind nicht zulässig. Auch Übertragungen vor und nach der Sitzung oder während Pausen müssten unterbleiben. 

Doch was in Bayern nicht geht, kann anderswo durchaus erlaubt sein. Gegenüber KOMMUNAL betont der Datenschutzbeauftragte des Bundes, dass die Frage, ob und unter welchen Bedingungen Kommunen ihre Sitzungen im Internet übertragen können, Ländersache ist. 

Beim Livestream gibt es auch länderspezifische Regulären zu beachten...

Eine andere Regelung als in Bayern gilt zum Beispiel in Niedersachsen.Dort wurde 2016 das Niedersächsische Kommunalverfassungsgesetz geändert. Film- und Tonaufnahmen von den Mitgliedern der Kommunalvertretung sind demnach zulässig, soweit die Hauptsatzung dies bestimmt. Abgeordnete hätten aber ein Recht darauf, zu verlangen, dass die Aufnahme ihres Redebeitrags und die Veröffentlichung der Aufnahme unterbleibt. „Von der Gesetzesbegründung ausdrücklich umfasst ist auch das Livestreaming von öffentlichen Ratssitzungen“, sagt der Sprecher der Behörde Johannes Pepping. „Es dürfen dabei nur Mitglieder der Vertretung erfasst werden.“ Damit ist es in Niedersachsen aber auch zulässig, zum Beispiel den Sitzungsleiter im Bild zu zeigen. Und auch Ausschussitzungen dürfen im Internet gezeigt werden.

Technisch sollte es möglich sein, dass ein Abgeordneter jeder Zeit sagen kann, dass er beim nächsten Redebeitrag nicht aufgzeichnet werden möchte"

Johannes Pepping, Sprecher Landesamt für Datenschutz in Niedersachsen

Wer dagegen auch Zuschauer im Bild zeigen will, muss sich dafür eine eigene schriftliche Einwilligung der Sitzungsbesucher holen. „Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist besonders zu beachten, dass keine Aufnahmen von Personen gemacht werden dürfen, die keine Mitglieder der Vertretung sind“, sagt Pepping. „Für diesen Personenkreis ist stets eine Einwilligung vor Beginn der Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen einzuholen.“ Ferner sollten organisatorische Vorkehrungen getroffen werden, die es Abgeordneten ermöglichen, zu signalisieren, dass die Aufnahme und Veröffentlichung des eigenen Redebeitrages nicht gewünscht ist, ohne von der jeweiligen Bild- und Tonaufzeichnung erfasst zu werden. Und die Kommunen sollten sich darüber im Klaren sein, dass über das Internet veröffentlichte oder bereitgestellte Aufzeichnungen nicht ohne Weiteres vollständig gelöscht werden können. 

Warum Livestream auch in kleineren Gemeinden ein Thema ist 

Gerade kleinere Gemeinden sind beim Thema Livestream aber weiter skeptisch. Hier gibt es wegen der Datenschutzauflagen oft Bedenken, ob es sich wirklich lohnt, die Sitzungen ins Internet zu übertragen. Und zuweilen ist auch das Verhalten von Stadtvertretern selbst der Grund, auf Übertragungen zu verzichten. Weil ein Ingolstädter Bürgermeister im letzten Jahr im Audio-Livestream der Stadt mit dem etwas despektierlichen Kommentar „Mei, is des ein Deppenhaufen“ zu vernehmen war, wurde der Livestream abgeschaltet. Bis heute hat sich an dem Zustand nichts geändert – der städtische Datenschutzbeauftragte befürchtet nämlich, dass auch künftig Äußerungen, die eigentlich nicht für alle Zuhörer bestimmt sind, versehentlich im Livestream übertragen werden. 

Und in der bayerischen Stadt Haar lehnte der Gemeinderat im vergangenen Jahr einen Antrag ab, die Sitzungen probeweise für ein Jahr im Internet zu übertragen. Bürgermeisterin Gabriele Müller warnte vor den möglichen Wirkungen einer solchen Ausstrahlung. Gemeinderäte seien nicht immer Kommunikationsprofis, und die Freiheit, sich ungezwungen und so, „wie einem der Schnabel gewachsen ist“, zu äußern, könne verloren gehen, so die Bürgermeisterin. Doch zumindest in der Landeshauptstadt München ist so etwas bislang nicht eingetreten: Die Stadtverordneten verhielten sich seit Einführung des Livestreams nicht anders, als zuvor, und auch der Ablauf der Sitzungen haben sich nicht sonderlich verändert, sagt Stadtsprecher Hauf.

In Acht nehmen allerdings sollten sich Kommunalpolitiker vor allzu hemdsärmeligen Lösungsansätzen: Zu einem Rechtsstreit führte das Streamen der Sitzungen von Stadtverordneten in Schwerin in Mecklenburg-Vorpommern. Denn weil die Abgeordneten ihre Versprecher nicht unbedingt auf Youtube wiederfinden wollten, hatten sie in ihrer Hauptsatzung festgelegt, dass die Sitzungen zwar im Internet übertragen, dort aber nicht aufgezeichnet werden sollen. Weil der Geschäftsführer einer Wählergruppe dennoch die Rede eines Stadtverordneten aus dem Livestream mitschnitt und auf seiner Facebookseite veröffentlichte, verklagte ihn die Stadt vor dem Amtsgericht Rostock – und bekam im Februar dieses Jahres Recht. Das Gericht hielt fest, dass die Urheberrechte der Sitzungen des Kommunalparlaments tatsächlich bei der Stadt liegen, und die Kommune durchaus das Recht hat, eine Weiterverwendung der Bilder im Internet zu untersagen.

Unser Kommentar: Blockbuster Rathaussitzung? 

Christian Erhardt, KOMMUNAL-Chefredakteur und seit 12 Jahren Gemeindevertreter wird seit einigen Monaten selbst von der Kamera per Livestream begleitet. Hier schildert er seine ersten Erfahrungen: 





Jede noch so billige Verkaufs-Show im Fernsehen verspricht mehr Unterhaltungswert für die Masse der Bürger, als Bebauungsplan Nummer 58 im Tagesordnungspunkt 36 der aktuellen Ratssitzung. Und trotzdem: Immer mehr Kommunen setzen auf Transparenz, streamen ihre Ratssitzungen im Internet. Klasse statt Masse bei der Zuschauerzahl ist meist das Motto. Zu Recht: Denn natürlich hat der interessierte Bürger das Recht zu erfahren, warum der Bebauungsplan wie abgeändert wurde und warum die Politik so entschieden hat. Gerade junge Leute können so auch an Politik herangeführt werden. In eine Sitzung kämen wohl die Wenigsten freiwillig als Zuschauer.

Ein Stream und vor allem die spätere Verfügbarkeit der Redebeiträge kann neben einem Imagegewinn auch die Identifikation mit der Gemeinde stärken. Lösen müssen Kommunen aber ihre Probleme mit den politischen Blendern. Ist erst eine Kamera auf sie gerichtet, laufen einzelne Abgeordnete zur Höchstform auf, führen stundenlange Diskussionen und verteilen noch mehr Geld mit der Gießkanne.

Die Diskussionskultur lässt sich mit Redeordnungen in der Satzung regulieren, längere Diskussionen gehören ohnehin in die Ausschüsse.

Beim Gießkannen-Prinzip beruhige ich Sie gerne! Meine Erfahrung: Gerade die kleine Gruppe an Menschen, die einen solchen Stream den hippen Verkaufskanälen vorzieht, weiß sehr wohl zu unterscheiden, wer nur blendet und wer etwas zu sagen hat. Ich traue unseren Bürgern da einiges zu. Probieren Sie es doch mal aus, nach der dritten Sitzung werden Sie den Unterschied hoffentlich gar nicht mehr merken, weil Ihnen die Kamera (wenn sie geschickt platziert ist) gar nicht mehr auffällt. Und spätestens dann werden Sie wieder ganz natürlich an der Sitzung teilnehmen und mitdiskutieren! Wetten?