Ein Bürgermeister wurde per Lotterie gewählt - mit Hilfe von Überraschungseiern
Ein Bürgermeister wurde per Lotterie gewählt - mit Hilfe von Überraschungseiern
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Patt-Situationen

Lotterie: Bürgermeister wurde per Überraschungsei gewählt

Während die Welt heute auf die Midterm-Wahlen in den USA schaut, wurde in der Nähe von Stralsund nach der dortigen Bürgermeisterwahl ausgelost. Denn dort war das Ergebnis einer Wahl nicht nur ähnlich knapp, wie in einigen US-Bundesstaaten heute, sondern es gab sogar einen Patt. Nicht zum ersten Mal in Deutschland.

Die Demokratie per Lotterie retten - dazu haben wir hier bei KOMMUNAL zwar schon mal einen Artikel geschrieben. Damals ging es aber um den Vorschlag, Bürger per Zufallsprinzip zu einer Art Bürgerrat zusammenzuholen, die die Gemeinderäte beraten können. Eine ganz andere Form von Lotterie hat am Montag Abend der Gemeinderat in Altenpleen in Mecklenburg-Vorpommern erlebt. Die Vorgeschichte ist einfach: Die kleine Gemeinde in der Nähe von Stralsund hatte Bürgermeisterwahlen. Vier Kandidaten traten ein, zwei kamen in die Stichwahl. Der Ort hat rund 1000 Einwohner und gut 800 Wahlberechtigte. 

Beim Ergebnis des zweiten Wahlgangs rieben sich die beiden Kandidaten dann aber doch die Augen: Sie bekamen jeweils 204 Stimmen. Eine Patt-Situation. 

Wahlgesetz schreibt Lotterie vor - die Gemeinde entschied sich für ein Überraschungsei 

Nahezu alle Kommunalverfassungen in Deutschland haben für eine solche Situation Vorsorge getragen. So auch die Wahlordnung in Mecklenburg-Vorpommern. Sie sieht vor, dass per Lotterie entschieden wird. Konkret heißt es in den Landeskommunalwahlgesetzen, dass das Los entscheiden muss. Genaue Vorgaben, wie das passieren muss, werden meist nicht gemacht. 

Und so entschied man sich in der kleinen Gemeinde Altenpleen dafür, gelbe Plastikkugeln zu nutzen. Sogenannte Ü-Eier. Ines Materna-Braun von der Gemeinde erklärte: "Wir haben uns bei dem Verfahren über das Internet vom Fall einer anderen deutschen Gemeinde inspirieren lassen." Um es kurz zu machen. Die beiden parteilosen Kandidaten mussten zittern, beide Namen wurden auf Zettel geschrieben. Und die kamen dann in jeweils ein gelbes Überraschungs-Ei. Dann wurde geschüttelt und gezogen. Gewonnen hat der parteilose 41 Jährige Beamte Martin Diedrich. Er hatte übrigens im ersten Wahlgang bereits die meisten Stimmen, jedoch keine absolute Mehrheit. Genau genommen waren es damals fünf Stimmen mehr als sein Herausforderer in der Stichwahl. 

Der Unterlegene nahm es übrigens mit Humor und erklärte nach der Lotterie und der Ziehung des Ü-Eis: "Es fühlt sich an wie ein Mau-Mau-Spiel, bei dem ich verloren habe. Es ist halt so". 

Idee zur Lotterie per Ü-Ei stammt aus Niedersachsen

Die "Inspiration", wie es die Gemeindemitarbeiterin nannte, hatte sich die Verwaltung von Altenpleen übrigens in Neu-Wulmstorf in Niedersachsen geholt. Dort kam es schon Ende des Jahres 2006 zu einer ähnlich kuriosen Situation. Dort konnte sich der Gemeinderat damals nicht auf einen zweiten stellvertretenden Bürgermeister einigen, nach zwei Wahlgängen stand es immer noch unentschieden. Und auch die niedersächsische Gemeindeordnung sieht in einem solchen Fall ein Losverfahren vor. Auch in Neu-Wulmstorf  nahm man also die Namen der beiden Kandidaten und steckte sie in gelbe Überraschungs-Plastikhülsen. Der erste Bürgermeister durfte dort damals ziehen. 

Wahlen per Losverfahren sind gar nicht so selten 

Was klingt wie ein extrem seltener Zufall ist so unrealistisch gar nicht. Zwar dominieren medial immer wieder Orte, in denen sich niemand findet, der den - meist dann ehrenamtlichen Bürgermeisterposten übernehmen möchte - es gibt auch in vielen Orten eine ganze Reihe von Kandidaten, die sich bereit erklären, "das schönste Ehrenamt der Welt" zu übernehmen. Und gerade in kleineren Gemeinden kommt es dabei immer wieder zu Patt-Situationen.

So ist es noch kein Jahr her, dass die Situation auch in Hessen erstmals auftrat. In der Gemeinde Ahnatal im Landkreis Kassel hatte Stehan Hänes zwar nicht mehr Stimmen als sein Herausforderer, aber mehr Glück. Auch hier hatte die Bürgermeister-Stichwahl einen Patt ergeben. Die 8100 Einwohner hatten sich mit jeweils 2106 Stimmen für einen der beiden verbliebenen Kandidaten entschieden. 

Einer der beiden Kandidaten war der bisherige Amtsinhaber Michael Aufenanger. Er hatte im ersten Wahlgang mit knapp 47 Prozent der Stimmen zwar die meisten Stimmen auf sich vereinen können, aber keine absolute Mehrheit erreicht. Sein Herausforderer Stephan Hänes kam damals auf gut 45 Prozent. So mussten beide in die Stichwahl. Aufgrund der Patt-Situation schrieb dann auch die Hessische Gemeindeordnung vor, dass es einen Losentscheid geben muss. Der Wahlleiter diente bei der Lotterie dann als Glücksfee. Pech für den bisherigen Amtsinhaber, der zum Jahreswechsel sein Amt räumen musste. In Hessen war es übrigens das erste Mal, dass ein Bürgermeister per Lotterie gekürt wurde. 

Auch ein Landrat wurde schon per Lotterie gewählt 

Doch nicht nur in kleinen Gemeinden kommt es immer wieder zu solchen Patt-Situationen. Im Ostalbkreis in Baden-Württemberg wurde auch schon ein Landrat per Lotterie ins Amt gehoben. Das war im Jahr 1996. Der amtierende Landrat war nicht wieder angetreten und so kam es im Kreistag zur Abstimmung. Insgesamt 3 Wahlgänge gab es und beide Kandidaten erhielten jeweils 40 Stimmen. Die Wahlordnung in Baden-Württemberg sieht in einem solchen Fall nach dreimaligem Patt einen Losentscheid vor. Und in dem gewann dann der bisherige Bürgermeister der Gemeinde Boll im Landkreis Göppingen, Klaus Pavel. Er wurde übrigens in der Folge mehrfach wiedergewählt und blieb bis zum Jahr 2020 Landrat, bis er aus Altersgründen nicht erneut antrat. 

Wo überall Lotterien denkbar sind 

Losentscheide und Lotterien bei Wahlen sind übrigens seit den alten Griechen ein beliebtes Mittel zur Entscheidung. Damals, im alten Athen, der "Wiege der Demokratie" wurde der sogenannte „Rat der 500“ per Losverfahren besetzt. Der Vorteil: Alle gesellschaftlichen Gruppen hatten automatisch die gleiche Chance, es brauchte auch keine langwierigen Wahlverfahren oder eine Frauenquote. Auch Populisten - jede Erinnerung an die heutigen Midterm-Wahlen in den USA sind an dieser Stelle zufällig - haben bei diesem Wahlverfahren keine höhere Chance. 

Bei der Wahl zur Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten bestimmt, werden einige Sitze ebenfalls verlost. Und sogar für die Bundestagswahlen ist ein Losentscheid vorgesehen, wenn zwei Direktkandidaten dieselbe Stimmzahl bekommen oder wenn bei der Verteilung für die Listenkandidaten ein Patt herrscht. Hier allerdings ist es in der Praxis noch nie zum Losentscheid gekommen. Auch bei Europawahlen gab es bisher noch keine Lotterie-Entscheidung. 

Vom Grundgesetz ist ein solches Wahlverfahren übrigens abgesegnet, obwohl es dort ja eigentlich heißt: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" und nicht: "Alle Staatsgewalt geht vom Überraschungs-Ei aus". Die Juristen sprechen in Patt-Situationen von einem "Notbehelf". Der Zufall entscheide unabhängiger als irgendeine Person, der man in einem solchen "Notfall" die Entscheidungsgewalt übertragen müsste.