Selfie mit Bürgermeister

6. Mai 2015
Facebook, Twitter und Co.: Was in der Bundespolitik schon seit vielen Jahren angekommen ist, fristet in den Kommunen oft eine Randexistenz. Doch es gibt auch Bürgermeister, die Social Media-Fans sind. Patrick Kunkel und Sebastian Greiber sind zwei von ihnen.

Eigentlich sollte es nur ein ganz normaler Besuch im Stadtarchiv werden. Doch zwischen verstaubten Akten fand Patrick Kunkel, der Bürgermeister des 17.378-Einwohner-Städtchens Eltville am Rhein, einen Gegenstand, der ihn an seine Kindheit erinnerte: ein ausrangiertes Verkehrsschild, auf dem ein Auto zu sehen ist, das ins Wasser stürzt. „Das Schild stand früher am Eltviller Rheinufer. Als ich Kind fand ich es unglaublich faszinierend“, sagt Kunkel. Kurzentschlossen zückte er sein Handy und twitterte das Bild des in die Jahre gekommenen Warnschildes. Eine Aktion mit Folgen: Unter dem Hashtag #ZeigtEuerLieblingsschild posteten Hunderte Twitternutzer Skurriles, Witziges und Absurdes aus dem bundesdeutschen Schilderwald. Da werden Mitarbeiter aufgefordert, im Dienstgebäude keinen Reis oder Konfetti zu streuen. Kunden, die vor verschlossenen Türen stehen, erfahren, dass das Geschäft heute wegen „technischer Gebrechen“ geschlossen bleibt. Kunkel_Christkind Kunkel freut sich über die Schilderlawine, die er mit seinem Tweet losgetreten hat. Seit Juni 2012 ist er bei Twitter aktiv. Fast 40.000 Kurznachrichten hat er seitdem abgesetzt – ungewöhnlich für einen Kommunalpolitiker mit einem durchgetakteten Arbeitstag. Was für Social-Media-Muffel nach unnötigem Stress riecht, ist für Kunkel die pure Erholung. „Twitter ist für mich das Lockern des Geistes zwischen zwei Terminen“, sagt der Bürgermeister. Dass ihm nur 140 Zeichen zur Verfügung stehen, ist für Kunkel kein Problem – im Gegenteil: „Ein Tweet ist in zehn Sekunden geschrieben. Für längere Nachrichten fehlt mir die Zeit. Abgesehen davon liebe ich es, mich kurzzufassen und schnell auf den Punkt zu kommen." Seit dem 1. September 2006 ist Kunkel Bürgermeister von Eltville am Rhein. Doch schon zuvor war er eine lokale Berühmtheit: Noch als Student erfand er mit seinem Freund, dem Zeichner Michael Apitz, eine Comicfigur. Die Abenteuer von „Karl, dem Spätlesereiter“ schlugen ein wie eine Bombe. „Alleine der erste Band verkaufte sich in den ersten sechs Wochen rund 10.000 mal“, erinnert sich Kunkel. Comics betextet er schon seit vielen Jahren nicht mehr. „Aber ich habe noch immer großen Spaß an Sprach- und Wortwitz.“ Bei vielen Bürgern musste der twitternde Politiker nach seinem Amtsantritt allerdings Aufklärungsarbeit leisten. „Dass ich bei Terminen mit dem Handy fotografiere und die Bilder gleich ins Netz stelle, empfanden manche als seltsam oder sogar unhöflich. Ich sage dann immer, dass das Teil meines Jobs ist und dass es nur gut für die Stadt und die Bürger ist, wenn wir in den sozialen Netzwerken aktiv sind.“ Kunkel ist Polit-Profi genug, um zu wissen, dass Twitter, Facebook und Co. auch auf der kommunalen Ebene an Bedeutung gewinnen. „Die meisten Jugendlichen lesen kaum noch Zeitung. Wenn sie diese Menschen erreichen wollen, kommen sie an den sozialen Medien nicht vorbei.“ Diesen Satz würde auch Sebastian Greiber unterschreiben. Seit dem 1. Mai 2014 ist der 34-Jährige Bürgermeister der saarländischen Gemeinde Wadgassen. Wenige Monate zuvor hatte er sich in einer Stichwahl klar gegen den CDU-Kandidaten durchgesetzt. Ein Überraschungserfolg, mit dem niemand gerechnet hätte – noch nicht einmal Greiber selbst. Der Jung-Unternehmer sitzt zwar für die FDP im Kreistag, trat aber als unabhängiger Kandidat an. „Dadurch hatte ich keine Partei im Hintergrund, die mir unter die Arme gegriffen hat. Meine Wahlkampagne habe ich komplett selbst geplant und organisiert“, sagt Greiber. Ihm war klar, dass er mit möglichst wenig Geld möglichst viele Menschen erreichen muss. Wie seine Mitbewerber auch verteilte Greiber Flyer, zog von Tür zu Tür und sprach mit den Bürgern über das, was er für Wadgassen erreichen will. Anders als die anderen Kandidaten führte Greiber aber auch einen ausgeklügelten Online-Wahlkampf. „Mit der ,I love Wadgassen‘-Kampagne wollte ich auch die jüngeren Menschen ansprechen. Sie fordern zu Recht, dass auch die Kommunalpolitik sich auf neue Kommunikationsformen einlässt“, findet er. Während Patrick Kunkels Leidenschaft Twitter gehört, ist Greiber auch bei Facebook, Xing, Google Plus, Pinterest und Instagram aktiv. „Nicht alle Kanäle sind gleichermaßen wichtig. Aber ich finde es wichtig, dort präsent zu sein“, sagt er. Läuft ein begeisterter Social-Media-Nutzer wie er nicht ständig Gefahr, zu viel von sich preiszugeben? Während Patrick Kunkel bewusst darauf verzichtet, ein Foto seiner Familie unter dem Weihnachtsbaum zu twittern, postet Sebastian Greiber auch mal ein Urlaubsfoto. „Privates ist nicht von vornherein tabu. Aber natürlich muss man gerade als Politiker aufpassen, dass man die Leute nicht mit Belanglosigkeiten nervt oder gar in ein Fettnäpfchen tritt“, betont Greiber. Patrick Kunkel wiederum hat kürzlich eine neue Twitter-Aktion gestartet. Unter dem Hashtag #RettetdieHandschrift ruft er dazu auf, sich für die Rettung der vom Aussterben bedrohten Schreibschrift einzusetzen. Mit Erfolg: Seit Mitte Januar haben Hunderte zu Stift und Papier gegriffen und den Hashtag in ihrer Handschrift getwittert. So wie es aussieht, wird es nicht die letzte Twitter-Kampagne von Kunkel bleiben. „Inzwischen denke ich sogar schon in Tweet-Form“, scherzt der Bürgermeister.