Die Zukunft liegt in der Nische - das hilft ländlichen Kommunen sehr, meint Christian Erhardt zur Zukunft der Nahversorgung
Die Zukunft liegt in der Nische - das hilft ländlichen Kommunen sehr, meint Christian Erhardt zur Zukunft der Nahversorgung
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Zukunft in der Nische

Tante-Emma-Laden 2.0: Der neue Treffpunkt Supermarkt

In Corona-Zeiten wird für viele der Einkauf im Supermarkt zum Tageshöhepunkt. War es aber auf dem Dorf schon immer, und vor allem dort kehrt in diesen Zeiten der „Tante Emma-Laden“ als „Supermarkt der Zukunft“ zurück. Das Dorf macht gerade vor, was auch in den Städten bald Alltag sein wird, meint Christian Erhardt.

In Schnega, einem kleinen 1400 Einwohner-Dorf in Niedersachsen drohte der letzte Treffpunkt im Ort zu schließen. Der Supermarkt rentierte sich nicht mehr, die Betreiber gingen in den Ruhestand. Auf der Terrasse eines Ortsbewohners trafen sich deshalb acht Nachbarn, um einen Plan gegen die drohende Isolation vieler Menschen zu schmieden. Die Lösung: Ein digitaler Dorfladen, finanziert als Genossenschaft. Mitten in der Pandemie ging „Tante Enso“, so heißt das Geschäft, dann im Oktober in Betrieb. Mit einer persönlichen Zugangskarte können Besucher rund um die Uhr kommen und mit der Karte auch gleich digital bezahlen. Damit sich auch ältere Menschen nicht ausgeschlossen fühlen, gibt es für einige Stunden am Tag auch Personal in dem kleinen Geschäft, in der Zeit kann auch bar bezahlt werden. Das Sortiment: vor Ort knapp 1000 Artikel, im Hintergrund beliefert jedoch ein überregionaler Zentraldienst aus Bremen das Geschäft. Bestellt werden können somit fast 25.000 Artikel. Inzwischen wird der Dorfladen von mehr als 300 Genossenschaftsmitgliedern getragen, als nächstes ist ein Cafe geplant. Denn der Supermarkt ist längst zum zentralen Treffpunkt des Ortes geworden – und dank der „Rund-um-die-Uhr-Öffnungszeiten“ auch coronatechnisch bestens aufgestellt.

Tante-Emma-Laden wird zum digitalen Dorfladen - Erfolgsbeispiele: 

Auch anderswo etablieren sich neue, digitale Dorfläden. Schon im Jahr 2016 hatten wir an dieser Stelle erstmals über ein vielversprechendes Projekt in Deersheim in Sachsen-Anhalt berichtet. Dort wurde aus einem Ochsenstall ein Dorfladen. Inzwischen ist er längst Begegnungsort und zentraler Treffpunkt des Ortes. Neben dem Supermarkt ist in dem alten Gutshofgebäude inzwischen eine Markthalle, ein Cafe und eine Poststelle untergebracht. Auch dieses Projekt ist als Genossenschaft organisiert. Seit dem Herbst gibt es in der thüringischen Provinz im 1200 Seelen-Dorf Altengottern einen rein digitalen Dorfladen, hier getragen von einem Jungunternehmer. Auch er setzt erfolgreich auf Begegnung und das Schaffen von Treffpunkten – Cafe, Bäcker, Fleischer, kostenloses Internet, eine E-Ladesäule – so wird das kleine Geschäft zum zentralen Treffpunkt.

Was auf dem Dorf funktioniert, wird nun wohl zur Blaupause für die Städte. Denn auch die großen Handelsketten haben die Marktlücke erkannt. Sie testen gerade reihenweise den Supermarkt ohne Personal, nicht zuletzt um dem US-Pionier Amazon zuvorzukommen. Für Kunden hat das viele Vorteile, nicht nur dass sie auch Sonntags und nachts einkaufen können. Die Schweizer Migros-Kette etwa hat inzwischen vier „Teo-Geschäfte“ eröffnet, eine Art digitaler Selbstbedienungsladen. Mindestens 200 solcher Geschäfte will das Unternehmen nach eigenen Angaben in den nächsten Jahren an den Start bringen. Die ersten Geschäfte in der Region um Fulda haben gezeigt: Der Sonntag ist der verkaufsstärkste Tag, in der Woche sind vor allem die Abendstunden bis Mitternacht besonders nachgefragt. Randzeiten also eher. Die Zukunft liegt in der Nische.

Der Erfolg ruft auch die „großen Vier“ Handelsketten auf den Plan. Eine spezielle Zielgruppe etwa hat sich die Schwarz-Gruppe, also die Muttergesellschaft von Kaufland und Lidl ausgesucht. „Shop-Box“ heißt ein Testversuch auf dem Gelände der Hochschule in Heilbronn. Hier stellen Studenten die rund 250 Produkte zusammen. Enge Zielgruppe, kleines Sortiment aber nicht selten Dinge, die es im „normalen Supermarkt“ höchstens als Bückware gibt. Auch hier erfassen Sensoren den Einkauf, Einlass und Bezahlung regelt eine App. Außerdem testet das Unternehmen gerade die „Collect Box“. Wer online bestellt, dem werden innerhalb von 12 Stunden die Waren in einem Ausgabefach hinterlegt. Auch die anderen großen Handelsketten testen ähnliche Modelle an verschiedenen Orten.

Tante-Emma-Laden: Die Zukunft liegt in der Nische! 

Großstadt und Dorf wachsen hier mit Lösungen zusammen. Denn alle Handelsketten betonen, dass das Potential für solche Supermärkte in zwei Bereichen besonders groß ist: Zum einen in sehr zentralen Lagen wie etwa auf Bahnhöfen und zum anderen auf dem Land. Als Spezialgeschäft für bestimmte Zielgruppen in den Großstädten und als Grundversorgung in ländlichen Regionen. Corona spielt Händlern, Genossenschaften und Dorfbewohnern dabei gleichermaßen in die Hände. Denn die Pandemie treibt die Digitalisierung massiv voran. Selbst Kleinstbeträge beim Bäcker können inzwischen oft mit Karte bezahlt werden.  Die großen Ketten haben dabei noch etwas ganz anderes im Sinn: Fachkräfte im IT-Bereich interessieren sich aktuell eben weit mehr für digitale Pioniere und spannende Start-Ups.



Fachkräfte in der Lebensmittelbranche werden aber dringend benötigt. Die Digitalisierung des Supermarktes bietet jungen, digital affinen Menschen neue Chancen. Gerade auf dem Land. Denn bisher sitzen die „hippen Internetriesen“ meist in den Städten. Auch das kann und wird sich ändern. Kurzum, auch hier gilt: Die Zukunft liegt in der Nische – und die Nischen sind die kleinen Kommunen, die bereit sich, sich der Zukunft zu stellen!