Tübingen - die Geschäfte in der Altstadt sind geöffnet.
Tübingen hatte bereits an Ostern keine Tagestickets mehr für Touristen vergeben.
© Gudrun Mallwitz

Tübinger Modell

Warum das Tübinger Modell bleiben darf

Das Tübinger Modell darf vorerst weiterlaufen. In weiteren Kommunen in Baden-Württemberg und anderen Bundesländern dürfen hingegen keine weiteren Modellprojekte für Öffnungen in der Corona-Krise starten. Warum Oberbürgermeister Boris Palmer seinen Modellversuch angepasst beibehalten darf und Geschäfte, Theater und Museeen weiter besucht werden dürfen. Die Wissenschaftler sind dafür, das haben sie bislang herausgefunden.

Die baden-württembergische Universitätsstadt Tübingen darf Modellstadt für Öffnungen bleiben. Baden-Württemberg genehmigt in der 3. Welle der Corona-Pandemie aber vorerst keine andere Modellprojekte. Mehr als 50 Kommunen hatten beim Landes-Sozialministerium beantragt, nach dem Tübinger Modell mit entsprechenden Sicherheitskonzepten wie tagesaktuelle Schnelltests Gaststätten, den Handel  und Kulturbetriebe öffnen zu dürfen. "Die aktuellen Entwicklungen in Baden-Württemberg lassen nun aber keine weiteren Öffnungen zu", teilte Sozialminister Manfred Lucha mit. Das Infektionsgeschehen werde von zahlreichen Einzelfällen und Erkrankungshäufungen dominiert, einige wenige Landkreise berichten über größere Ausbrüche.

Tübinger Modell: Universität legt Zwischenbericht vor

Warum darf Tübingen dann das Modell fortsetzen? Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet. Das Universitätsklinikum Tübingen stellte in seinem aktuellen Zwischenbericht fest, dass die bisherigen Ergebnisse des Modellversuchs  „Öffnen mit Sicherheit“  noch kein abschließendes Urteil über die Bremswirkung der breit angelegten Schnelltestkampagne auf die Ausbreitung des Corona-Virus erlauben. "Einerseits ist zu konstatieren, dass die über das Gesundheitsamt erfasste 7-Tage-Inzidenz in der Stadt Tübingen sprunghaft angestiegen ist: Von 34 Fällen pro 100 Einwohner innerhalb von sieben Tagen am 25. März auf 110 am 1. April. Seither geht sie wieder leicht zurück, heißt es in der Stellungnahme. Während der Osterfeiertage werde allerdings in ganz Deutschland weniger getestet, so dass die Aussagekraft dieser Daten eingeschränkt sei, führen die Forscher an. Dass der Inzidenzwert von der Testhäufigkeit abhängt, sei in Tübingen besonders deutlich sichtbar.  "Die Zahl der Teste an Personen mit Wohnsitz in Tübingen ist mit Einführung des Modells sprunghaft angestiegen und liegt nun mit etwa 50.000 Tests pro Woche sehr viel höher als im Bundesdurchschnitt."

Hohe Corona-Testdichte beibehalten

Aus wissenschaftlicher Sicht empfehlen die Forscher, den Versuch mit möglichst hoher Testdichte fortzusetzen. "Sollte die Schnelltestpositivrate weiterhin konstant bleiben, ließe sich ableiten, dass der Anstieg der vom Gesundheitsamt erfassten 7-Tage-Inzidenz wesentlich auf die Ausleuchtung des Dunkelfeldes durch die stark steigende Testzahl zurückzuführen wäre", argumentieren sie.  Der bisherige Versuchszeitraum ist nicht lange genug, um dies sicher zu beurteilen.

Empfehlung: Tübinger Modellversuch nicht abbrechen

Die vorliegenden Daten sprechen aus Sicht der Wissenschaftler nicht für einen Abbruch des Versuchs wegen höherer Infektionszahlen. "Es kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass die gestiegene Zahl der Kontakte in Einzelhandel, Kultur und Gastronomie zu mehr Infektionen geführt hat. Um dies besser beurteilen zu können, wäre es aber notwendig, die Erkenntnisse des Gesundheitsamtes zum wahrscheinlichen Infektionsort der aktuelle in Tübingen als positiv gemeldeten Fällen zu integrieren", heißt es in dem Zwischenbericht. Außerdem raten die Forscher:  "Ebenfalls hilfreich wäre es, allen Personen, die in Tübingen wohnen und sich im Versuchszeitraum infiziert haben, den Fragebogen der wissenschaftlichen Begleitforschung mit der Bitte um Beantwortung zu übersenden. Der Landesbeauftragte für Datenschutz hat hierzu seine Zustimmung erteilt." Hier finden Sie den Zwischenbericht im Original.

Tübinger Modell wird angepasst

Der Modellversuch „Öffnen mit Sicherheit“ wird  allerdings in angepasster Form fortgesetzt - darauf  verständigten sich  die Universitätsstadt Tübingen und das Land Baden-Württemberg. „Wir werden mehr testen und mehr kontrollieren, damit der Einzelhandel und die Kultur in Tübingen weiterhin geöffnet bleiben können, ohne dass die Stadt überfüllt ist“, kündigte  Oberbürgermeister Boris Palmer an. „Indem wir die Testpflichten ausweiten und gegen Situationen vorgehen, in denen erhöhte Infektionsrisiken zu befürchten sind, machen wir unseren Modellversuch noch sicherer.“

Gesundheitsminister Lucha: Modellprojekt derzeit gefährdet

Dazu sagt Gesundheitsminister Manne Lucha: „Es ist zunächst gut, dass Tübingen vor Ort bereits vor Ostern nachjustiert und jetzt noch weitere ergänzende Maßnahmen vorgesehen hat, beispielsweise bei den Tagestickets für auswärtige Gäste oder jetzt der Schließung der Außengastronomie. Klar ist aber auch weiterhin, dass das Modellprojekt derzeit gefährdet ist." Steigen die Neuinfektionen in Tübingen weiter an, müsse  gegengesteuert oder das Projekt möglicherweise unterbrochen werden. "Klar ist aber auch, dass das Pilotprojekt in Tübingen den Weg für weitere Projekte dieser Art geebnet hat, die von den Erkenntnissen und Erfahrungen sicherlich in Zukunft profitieren werden.“

Folgende Regeln gelten in Tübingen ab diesem Mittwoch, 7. April 2021:

  • Der Einzelhandel im  Stadtgebiet und Kultureinrichtungen wie Theater und Kinos dürfen mit Testpflicht geöffnet bleiben. Das bedeutet:  Kunden sowie Besucher müssen weiterhin ein analoges oder digitales Tagesticket vorweisen. Die Testpflicht gilt jetzt auch für den zusätzlich geöffneten Einzelhandel außerhalb der Innenstadt, der in Tübingen geöffnet bleiben darf und in anderen Orten im Landkreis Tübingen wegen der Inzidenz über 50 ab sofort wieder schließen muss.
  • Die bisher geöffnete Außengastronomie in Tübingen schließt. Abhol- und Lieferdienste sind weiterhin möglich (ohne Testpflicht).
  • An den im Auftrag der Stadtverwaltung betriebenen Teststationen erhalten weiterhin nur Personen ein Tagesticket, die im Landkreis Tübingen wohnen oder in der Stadt Tübingen arbeiten. Alle Standorte und Öffnungszeiten sind unter www.tuebingen.de/teststationen abrufbar. Auswärtige Gäste bekommen kein Tübinger Tagesticket. Sie können aber vor dem Besuch einer Kultureinrichtung vor Ort einen Schnelltest machen.
  • Kinder dürfen die Tübinger Kindertagesstätten und die Notbetreuung an den Tübinger Schulen ab Montag, 12. April 2021, nur in Anspruch nehmen, wenn sie mindestens einmal in der Woche einen Schnelltest in der Einrichtung oder zu Hause machen.
  • Die Testpflicht, die für Friseure und körpernahe Dienstleistungen gilt, wird auf alle Tübinger Betriebe mit mehr als 50 Beschäftigten ausgeweitet. Ab Montag, 12. April 2021, müssen die Arbeitgeber ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mindestens ein- bis zweimal pro Woche vor Ort einem Schnelltest unterziehen. Die Stadtverwaltung bietet den Betrieben die dafür benötigten Schnelltests zum Kauf an.
  • Das Alkoholkonsumverbot nach 20 Uhr, das bereits in der Innenstadt gilt, wird ausgeweitet auf die Platanenallee und den Österberg. Die verschärfte Maskenpflicht im Fußgängerbereich wird beibehalten. Die Stadtverwaltung, private Sicherheitskräfte und die Landespolizei kontrollieren.

Land Brandenburg genehmigt vorerst keine Modellprojekte

Das Land Brandenburg hatte bereits vorige Woche mitgeteilt, dass es den Start der Modellprojekte verschiebt. „Verschoben heißt, dass wir uns auf der Grundlage der bereits vorliegenden Vorschläge mit dem Thema erneut befassen werden, wenn es die Infektionslage zulässt“, versprach Regierungschef Dietmar Woidke.

Bayern verschiebt Start der Modellregionen

In einer Sondersitzung beriet das Bayerische Kabinett am Mittwoch, 7. April, über die Modellregionen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hatte angekündigt, das Kabinett werde in der Woche nach Ostern zu den Modellregionen tagen: "Ob überhaupt, wann, vielleicht verspätet". Das Ergebnis: Die Staatsregierung verschiebt den Start der Modellprojekte mit Lockerungen um mindestens zwei Wochen bis 26. April. Der Grund sind die hohen Infektionszahlen.

Bayern will nur acht Modellregionen schaffen, um dort zwei Wochen lang zu erproben, ob Öffnungen bei strikten Auflagen und Schnelltests die Inzididenzen weiter nach oben treiben oder vertretbar sind. "Es kann sich nur um sehr kleine Städte handeln, die eine stabile Inzidenz aufweisen und die eine digitale Kontaktnachverfolgung sicher stellen", nannte Söder die Kriterien.

Städte- und Gemeindebund für Modellregionen

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, warnt - wie berichtet - davor, das Konzept der Modellregionen aufzugeben. "Modellregionen sind ein wichtiges Hoffnungssignal. Das sollte man jetzt nicht rückgängig machen", sagte er zu KOMMUNAL. Die Idee mit den Modellprojekten sei zwischen der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen vereinbart. Es sei nun die Aufgabe der Länder, das Konzept in ein vernünftiges Verhältnis zur Notbremse zu bringen. Er könnte sich auch vorstellen, dass das Modell sich in den ausgewählten Kommunen auf bestimmte Öffnungsperspektiven beschränkt: Nur einkaufen oder nur Kinobesuche  zum Beispiel. "Diese Entscheidung liegt allerdings bei den Ländern", sagte Landsberg.