DIgitalisierung
Eine Gemeinde baut ihre Verwaltung komplett um
Es gibt nichts Spannenderes, als in der Verwaltung zu arbeiten. Diesen Eindruck zumindest machen die zwei Männer, die sich auch gerne über den Feierabend hinaus mit ihr beschäftigen: Der eine – Dieter Lange – ist Kämmerer, der andere – Marcel Hahne, Digitalisierungsexperte. Die beiden haben dafür gesorgt, dass die klassische Gemeindeverwaltung in Stemwede ausgedient hat. Die neue Denke, die veränderte Mentalität, die agilen Strukturen zeigen bereits Wirkung: „Wir haben aus dem schwerfälligen Ruderboot ein Schnellboot gebaut“, sagt Kämmerer Dieter Lange.
Verwaltung neu organisiert
Alle Fachbereiche sind aufgelöst, viele Hierarchien wurden abgeschafft. Bald schon sollen Aktenordner komplett verschwunden sein. Auch an einem noch besseren Service wird gearbeitet: Im neuen Amtshaus, das bald fertig sein wird, kommt der Sachbearbeiter zum Bürger und nicht mehr der Bürger zum Sachbearbeiter.
Wie die kleine Gemeinde diese Neuorganisation und den Mentalitätswechsel erfolgreich umsetzt, stellte der 58-Jährige gemeinsam mit seinem Kollegen jüngst beim KGST-Forum in Hamburg vor. Besonders stolz sind sie darauf, dass sie den Organisationsumbau ohne externe Hilfe erdacht und umgesetzt haben, betonten die beiden Initiatoren im Gespräch mit KOMMUNAL.
Wir haben aus dem schwerfälligen Ruderboot ein Schnellboot gebaut.“
Dieter Lange, Kämmerer in Stemwede
Kleine Gemeinde Stemwede, große Ideen
Stemwede liegt im Landkreis Minden-Lübbecke (Nordrhein-Westfalen). Die 13.000 Einwohner leben verteilt in 13 Ortschaften. In der Kernverwaltung der Flächengemeinde arbeiten rund 50 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, insgesamt beschäftigt die Kommune rund 100 Menschen. „Wir wollten ein Zeichen für eine neue Mentalität und Kultur setzen. Kein Silodenken mehr, kein: Ich bin nicht zuständig“, beschreibt Kämmerer Lange die Motivation für den gemeinsamen Aufbruch. Stattdessen soll in Stemwede projektorientiert gearbeitet und vor allem die Eigenverantwortung gestärkt werden.
Fachbereiche abgeschafft
Wie sieht die Arbeitsstruktur jetzt aus? Bürgermeister Kai Abruszat und die Verwaltungsführung haben sich für ein kreisförmiges Organigramm entschieden: von außen nach innen und nicht mehr von oben nach unten. Die Fachbereiche wurden abgeschafft, indem vakante Stellen nicht mehr nachbesetzt wurden. Stattdessen wurden Arbeitsgruppenleiter eingesetzt, die sachlich und fachlich verantwortlich sind. Die Bereiche orientieren sich am Produktrahmen, wie etwa Bauen und Wohnen, Schule oder Ver- und Entsorgung. Der Produktverantwortliche ist ein Sachbearbeiter oder eine Sachbearbeiterin.
Die Personalverantwortung liegt hingegen allein beim dreiköpfigen Verwaltungsvorstand. Der besteht aus Bürgermeister Abruszat, seinem Allgemeinen Vertreter Jörg Bartel und Kämmerer Lange.
Team Verwaltungssteuerung für schnelle Entscheidungen
„Wir haben damit eine Ebene komplett neu geschaffen“, erläutert Marcel Hahne. Im Dreier-Team werden alle strategischen und operativen Entscheidungen getroffen. Dort liegt auch die Verantwortung für die Umsetzung der Projekte. Das Tagesgeschäft läuft über das Team Verwaltungssteuerung, das sind Marcel Hahne und die Kolleginnen Theresa Bahr und Andrea Lilie. Was ist nun der entscheidende Vorteil? „Das ermöglicht koordinierte und sehr viel schnellere Entscheidungen“, sagt Hahne. Nicht nur die Digitalisierungsaufgabe ist bei einem Mitglied der Verwaltungssteuerung gebündelt, sondern zum Beispiel auch das Fördermittelmanagement. Die Gemeinde hat eine eigene Fördermittel-Datenbank aufgebaut. „Sonst wären wir längst untergegangen“, meint Kämmerer Lange.
Wie kommt die Organisationsstruktur bei den Mitarbeitern an?
„Die meisten tragen die neue Organisationsform mit, es klappt alles sehr gut. In Meetings werden die Entscheidungen vorher abgestimmt. „Das größte Hemmnis für die Belegschaft war, dass sie umdenken musste. Wo gehe ich jetzt hin, dürfen die mir was sagen?“ Inzwischen hätten sich die Abläufe eingespielt, so Lange. Er räumt ein: „An der einen oder anderen Stelle gibt es natürlich auch Widerstände.“ Da heißt es, Kompromisse zu schließen. Mit dem neuen Modell will Stemwede die wichtigsten Zukunftsthemen bewältigen: die Digitalisierung der Arbeitsweise und der Dienstleistungen, das Prozess- und Wissensmanagement und den Bürgerservice sowie die Personalgewinnung. Und es ist schon vieles umgesetzt: Das Serviceportal für den Bürger ist online, das Dokumenten-Management-System eingeführt. Es gibt den digitalen Bauhof, dort füllen die Mitarbeiter keine Stundenzettel mehr aus, sondern haben Smartphones dafür bekommen. Der digitale Haushalt steht. Bald ist auch der digitale Posteingang umgesetzt. Beim Gebäudemanagement ist bereits alles digitalisiert: von der Maler-Rechnung bis zu Wartungsverträgen.
Digitales Arbeiten vor digitaler Dienstleistung
„Unser wichtigster Grundsatz ist: Digitales Arbeiten geht vor digitaler Dienstleistung“, unterstreicht Marcel Hahne. „Wir wollen verhindern, dass weiterhin im Büro Leitz-Ordner stehen und wir die digitalen Anträge ausdrucken und abheften.“ Die Ratsarbeit funktioniert bereits digital. Das bedeutet: I-Pads für alle Rats- und Ausschussmitglieder, eine funktionale Sitzungs-App, eine komplett papierlose Ratsarbeit. Und es wurden die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, kommunale Gremien auch digital tagen zu lassen.
Was den beiden Machern besonders am Herzen liegt: Sobald das neue Amtshaus fertig ist, wird der Bürgerservice neu geordnet. Dann wird es dort Besprechungsräume geben, der Sachbearbeiter werden zum Kunden kommen. Geplant ist, auch übergeordnete Behördenmitarbeiter beim Landkreis per Video zuzuschalten. Das erspart den Bürgern weite Wege.
Stadt Schorndorf: Weg vom Ämterdenken
Mutige Experimente, ein kreatives Personalmanagement – dafür steht die Stadtverwaltung in Schorndorf. „Unsere Vision war und ist, beste Arbeitgeberin in Schorndorf zu werden“, sagt Personalchefin Cornelia Dietrich. „Bei uns soll der Mensch im Mittelpunkt stehen. Das bedarf eines Kulturwandels.“ Seit sechs Jahren arbeitet die Stadtverwaltung an diesem Kulturwandel, für die Leitsätze wie „Wir wollen in Lösungen denken und nicht mehr in Zuständigkeiten“ stehen. Also weg vom Ämterdenken hin zum Prozessdenken.
Wunschtagewoche geplant
In der baden-württembergischen 40.000 Einwohner-Stadt besteht die Kommunalverwaltung mit den Stadtwerken und Eigenbetrieben aus rund 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Bei einer Klausurtagung wurden sechs Hauptfelder für die gemeinsamen Werte definiert: Vertrauen, Offenheit, Wertschätzung, Verantwortungsübernahme, positive Grundeinstellung, Gemeinwohlorientierung. Es gibt eine Kreativschmiede für Vorstellungsgespräche, Ideenwerkstätten, Rückzugsorte zum ungestörten Arbeiten und Räume für Gespräche.
Unsere Vision war und ist, beste
Arbeitgeberin in Schorndorf zu werden.“
Führungskräfte, aber auch die Mitarbeiter untereinander, verteilen Lob-Karten an Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für besonderen Einsatz, und sie bekommen dann auch eine finanzielle Anerkennung. Geplant ist die Wunschtagewoche – Vollzeit auf sechs Tage verteilt wäre dann auch möglich. „Die Arbeit muss sich an Lebensphasen orientieren“, sagt Cornelia Dietrich. Für die Azubis werden Fortbildungen angeboten. „Da geht es auch darum: Wer grüßt zuerst?“
Prämien für Empfehlung neuer Mitarbeiter
Die andere Kultur macht sich auch bei den Auswahlgesprächen bemerkbar. „Wir nehmen uns viel mehr Zeit als früher für die Auswahl von neuen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern“, sagt die stellvertretende Fachbereichsleiterin Franziska Schott. „Nur so finden wir heraus, wer zu uns passt.“ Empfehlen Mitarbeiter Freunden, sich zu bewerben, bekommen sie bei Erfolg Prämien von 40 bis 400 Euro. Auch die Stellenausschreibungen zeigen, dass es nicht nur darum geht, Leistungsträger zu finden, sondern der Mensch wichtig ist. Gesucht wird etwa ein „Manager (m/w/d) mit Herz“