Tourismus
Wie Tourismus-Orte sich neu erfinden
Zu DDR-Zeiten war Jonsdorf im Zittauer Gebirge ein beliebter Wintersportort: Es gibt es einen Skilift und diverse Langlaufloipen. Schnee aber war in den vergangenen Wintern Mangelware: Dem staatlich anerkannten Luftkurort macht der Klimawandel zu schaffen. „Schneesicher“ ist Jonsdorf nicht mehr. „Wir müssen uns als Ferienort neu erfinden“, sagt Kati Wenzel, die seit 2019 als Bürgermeisterin die Geschicke der 1.400-Einwohner-Gemeinde leitet. Zusammen mit Studierenden der Fachhochschule Görlitz-Zittau wurde ein neues Konzept erarbeitet.
Tourismus: Schlechtwettervarianten gesucht
Der aktive Tourismus in der Natur steht in Jonsdorf künftig im Zentrum. „Aber wir brauchen auch eine Schlechtwettervariante“, sagt Wenzel. Und die macht der Kommune Sorgen: Denn in der Euphorie der 1990-er Jahre wurde in Jonsdorf eine Eishalle gebaut, die der Gemeinde nun finanziell auf die Füße fällt. „Damals hatten wir viel mehr Einwohner als heute und waren ziemlich optimistisch“, sagt Wenzel. Erst kürzlich musste die Bürgermeisterin die Notbremse ziehen: Die Kur- und Tourismus GmbH, die neben der Eishalle auch das örtliche Freibad, die Waldbühne und ein Schmetterlingshaus betreibt, in dem Besucher die Insekten im freien Flug beobachten können, wird aufgelöst. Das Parkcafé wurde verpachtet, für das Schmetterlingshaus und die Eishalle werden Investoren gesucht. Und neue Ideen. Eine sommerliche Nutzung der Eishalle als Rollschuhbahn war schon im Gespräch, und auch die Einrichtung eines Fitness-Studios in den Sommermonaten wurde diskutiert. „Wir reden zum Beispiel aber auch mit den Vereinen, die die Eishalle regelmäßig nutzen“, sagt Wenzel.
Wie Jonsdorf geht es derzeit vielen Kommunen. „Der Inlandstourismus muss sich stetig neu erfinden“, sagt Karsten Heinsohn. „Gerade kleinere Kommunen müssen ihre Angebote attraktiv halten, damit die Gäste kommen.“ Heinsohn ist Geschäftsführer eines ausgelagerten Instituts der Universität München. „Mit 487 Millionen Übernachtungen in Deutschland hatten wir 2023 nur 1,7 Prozent weniger Übernachtungen als 2019“, sagt Heinsohn. „Und 2019 war das absolute Rekordjahr bei uns – wir sind also längst wieder auf Vor-Corona-Niveau angekommen.“
Tourismus-Experte: Gaststätten sind wichtig
Damit das so bleibt, müssen Kommunen investieren, sagt der Experte. „Eine zeitgemäße Infrastruktur gehört dazu, damit sich Gäste und Einheimische wohlfühlen.“ Auf gepflegte Parks und Grünanlagen käme es ebenso an wie auf attraktive Ortsbilder. Abbruchhäuser und Leerstand führten nicht dazu, dass Gäste wiederkämen. „Es reicht nicht aus, irgendwie auch eine Tourismusorganisation zu haben, die den Betrieben ein wenig zuarbeitet“, sagt Heinsohn. „Die Gemeinde ist auch selbst verantwortlich dafür, ihre Angebote attraktiv zu halten.“ Dazu zählt beispielsweise auch der Einzelhandel. Campingurlauber und Mieter von Ferienwohnungen wollen sich vor Ort versorgen können. Und Gäste, die keine Lust auf Selberkochen haben, wollen auch in der Nebensaison eine geöffnete Gaststätte vorfinden, bei der sie einkehren können. „Wo es das nicht mehr gibt, hat der Tourismus ein Qualitätsproblem“, sagt Heinsohn. Tourismusorte sollten heute ganzjährig ein attraktives Angebot bieten.
Rad- und Wanderwege nutzen auf Einheimischen
Ist es überhaupt Aufgabe der Kommunen, sich um so etwas zu kümmern? „Der Tourismus ist zunächst einmal eine freiwillige Aufgabe von Kommunen“, sagt Heinsohn. Wer sich im Haushaltssicherungskonzept befindet, hat also ein Problem, wenn er Tourismus fördern will. „Aber die Lebensqualität der eigenen Bevölkerung zu fördern, gehört zu den Pflichtaufgaben jeder Gemeinde – und hier gibt es dann große Schnittmengen.“ Gepflegte und gut beschilderte Rad- und Wanderwege nützten schließlich auch Einheimischen, die auf der Suche nach Erholung seien. „Ich plädiere deswegen dafür, Dinge, die auch den eigenen Einwohnern nutzen, durchaus als Pflichtaufgabe der Kommunen zu sehen.“
Touristische Angebote von Kommunen
Gute Beispiele für Destinationen, die sich weiterentwickeln, findet man beispielsweise beim „Deutschen Tourismuspreis“.
- So erhielt die Baden-Württembergische Landeshauptstadt Stuttgart im vergangenen Jahr eine Auszeichnung für ein „digitales Fußgängerleitsystem“: Smarte Informationsstelen in der Innenstadt informieren Passanten über Veranstaltungen, die gerade in der Nähe stattfinden, weisen den Weg dorthin und bieten überdies einen QR-Code für die spontane Ticketbuchung an. Zudem dienen sie als kostenloser WLAN-Hotspot für Einheimische und Gäste.
- Oder die „Brockenbande“ des Harzer Tourismusverbands: Vier Comicfiguren, die als Kinderreporter den Harz erkunden, und so ein kindgerechtes Marketing für die Region betreiben.
- 2022 wurde mit dem elektrischen Rufbussystem „Emmi mobil“ in Bad Hindelang im Allgäu ein On-Demand-Bus ausgezeichnet, der Urlauber wie Einheimische nach einem Anruf an ihrer Unterkunft abholt und zur nächsten Bushaltestelle oder sogar zum Ausflugsziel bringt.
Und Jonsdorf im Zittauer Gebirge? „Wir sehen, dass die Urlauber jünger und sportlicher werden“, sagt Bürgermeisterin Wenzel. Die Kommune setzt deswegen beispielsweise auf Urlauber, die die Gegend mit dem Mountainbike erleben wollen: Entsprechende Wege sind mittlerweile beschildert, und regelmäßig findet in Jonsdorf der Oberlausitzer Mountainbike-Marathon statt.
Wir müssen uns als Ferienort neu erfinden.“
„Wir planen eine digitale Gästekarte, die in der ganzen Region hier eingeführt werden soll“, sagt Wenzel.Anfang 2025 soll es damit losgehen: Statt eines Zettels, den man beim Einchecken im Hotel oder der Pension erhält, sollen Urlauber künftig einen QR-Code auf ihr Handy bekommen – und damit dann auch den öffentlichen Personennahverkehr in der Region kostenlos nutzen können, was bislang nicht der Fall ist. Denn auch Kati Wenzel ist überzeugt davon, dass nur Orte, die sich regelmäßig um eine Steigerung ihrer Attraktivität bemühen, langfristig im Tourismusgeschäft bleiben können.